Nachdem Peter Burke vor einigen Jahren die "fabrication of Louis XIV" untersucht hat, widmet sich die Dissertation seiner Schuelerin Maria Goloubeva jetzt der "glorification" von Ludwigs dauerhaftem Rivalen Leopold I. und schliesst damit eine Forschungsluecke. Sie stuetzt sich auf sehr unterschiedliche Quellen aus dem Bereich der hoefischen Repraesentation - "image, spectacle and text" -, legt allerdings den Schwerpunkt auf die Hofopern, die, wie sie nachdruecklich herausstellt, das Herzstueck der kaiserlichen Selbstdarstellung bildeten (21-25 u. 46-47). Damit ist bereits angedeutet, dass der methodische Zugriff zwischen (Selbst-) Darstellung und Propaganda unterscheidet und der Blick auf die letztere nur gelegentlich ergaenzend hinzutritt. Dies ist auch schon anders gesehen worden (Vocelka), und die Grauzonen sind der Verfasserin bewusst, doch der so gewaehlte und definierte Zugriff garantiert eine Konsistenz des Quellenmaterials, schuetzt vor dem Abdriften ins unendlich Ungefaehre und kommt der Arbeit daher zweifellos zugute.
Auf die Thema und Methode reflektierende Einleitung folgen vier inhaltlich strukturierte Hauptteile, die dabei allerdings auch einer groben Chronologie folgen: Teil 1 ("The Settings", 29-81) blickt auf die Traditionslinien hoefischer Repraesentation bei den oesterreichischen Habsburgern und arbeitet die Rahmenbedingungen heraus, unter denen sich Leopolds "glorification" vollzog. Diese war im Vergleich zu Ludwig XIV. weniger zentral gesteuert, weniger genau ueberwacht, operierte mit vielfaeltigeren Urhebern und Uebermittlern - ein Zufallsprodukt war sie aber nicht (66).
Teil 2 ("Peacetime Representations", 85-120) zeigt, wie der Kaiser vornehmlich in seiner ersten Regierungshaelfte herausgestellt wurde als Friedenswahrer (auch konkret auf 1648 bezogen, 88) und Stuetze der goettlichen Ordnung. Immer wieder wurde auch in dieser Phase relativer Schwaeche auf die Stellung des Kaisers als Haupt der Christenheit zurueckgegriffen (93). Militaerisches Dekor und Gepraenge vermied man in Reaktion auf den Dreissigjaehrigen Krieg offenbar gezielt, um statt dessen das Bild von Freude und Frieden zu verbreiten (89). Das Ausbleiben eines Erben schien die dargestellte Stabilitaet allerdings in zentraler Weise in Frage zu stellen, so dass hier zu ihrer Aufrechterhaltung im hoefischen Fest nachdrueckliche Anstrengungen unternommen wurden - eine Strategie, die auch in anderen Krisensituationen Anwendung fand, und die die Verfasserin als recht erfolgreich einschaetzt (118).
Teil 3 ("Leopold at War", 123-163) zeigt dann ein veraendertes "Buehnenbild", vor dem Leopold nicht mehr als Dulder, sondern als Sieger agierte. Das Jahr 1683 markierte hier naturgemaess einen Wendepunkt. Der "unmilitaerischste aller Habsburger" (Aretin) wurde zum Tuerkensieger und Beschirmer der Christenheit ausgerufen; das dabei bestehende Problem der militaerischen Enthaltsamkeit des Kaisers spiegelte sich zwar wider, wurde aber aufgefangen durch die Berufung auf die ueberragende "Tugend" Leopolds. Dieses Motiv verklammerte alle Aspekte seiner oeffentlichen Darstellung. Auch der triumphierende Leopold wartete weniger mit 'gloire' als vielmehr mit 'vertu' auf (141). Eindrucksvoller und erfolgreicher noch als im Kontext der Tuerkenkriege liess sich dies dann in die Auseinandersetzung mit Frankreich einfuegen, in der Leopolds "moralische Ueberlegenheit" Ludwig XIV. programmatisch entgegengestellt wurde (152). Moralisch ueberlegen musste auch der strafende Kaiser sein, der den ungarischen Rebellen gegenuebertrat. Merkmal seiner Groesse war exemplarische Festigkeit, vor allem aber "Clemenz" (163).
Der dritte Teil macht zweifellos eine besonders interessante Partie des Buches aus, da er den Kaiser von einer sonst weniger akzentuierten Seite zeigt, der eigentliche inhaltliche "Kern" ist aber wohl Teil 4, der unter Rueckgriff auf die vorher erarbeiteten Ergebnisse "The Ideal Leopold" skizziert (167-228). 'Clementia' und 'pietas', 'prudentia' und 'fortitudo' machten als leopoldinische Tugenden den Monarchen zum "model of virtue" (189) und erschienen als Grundlagen seiner von Gott verfuegten politischen Erfolge. Unter diese Erfolge waren aus Wiener Sicht auch die der Rekatholisierungsmassnahmen in Ungarn zu zaehlen, doch blieb das Kaiseramt sogar vor diesem Hintergrund nicht ohne Ausstrahlung auf die reformierte Christenheit (192), die im Uebrigen partiell auch den Gedanken vom Tuerkenkrieg als 'bellum domini' rezipierte (210). Der Stellenwert der 'pietas austriaca' fuer Dynastie und Land ist seit langem bekannt, Goloubeva weist indes zudem differenziert darauf hin, dass im Wettstreit mit Versailles Wien weltliche 'grandeur' zwar gleichfalls reklamierte und inszenierte, an der spezifischen habsburgischen 'pietas' aber weiterhin mit besonderem Nachdruck festhielt. Dies war im Uebrigen weit ueber Leopold hinaus der Fall, doch auch in der langen Traditionslinie setzte die Stilisierung des "fast heiligmaessigen Kaisers" einen besonderen Akzent (201-202). Die Rezeption des so erzeugten Bildes Leopolds wird in einer Art "Ausblick" untersucht (213-228), der die Frage zwar nicht abschliessend beantwortet, aber bereits klar erweisen kann, dass Leopold offenbar im Reich "ankam" (wie gleichfalls in Italien und Spanien). Denn auch in unterschiedlichsten Schriften wurden die in Wien vorgegebenen Muster der "glorification" nachvollzogen, und dies galt nicht nur fuer den katholischen Reichsteil oder kaisernahe oberdeutsche Reichsstaedte, sondern, zumindest ab 1683, ebenso fuer das protestantische Norddeutschland. Dort wurde das Bild zwar von den ungarischen Religionsquerelen ueberschattet, nicht aber wirklich verdunkelt (219f.).
Die Zusammenfassung buendelt dann nicht nur die Ergebnisse - Leopold als moralisch ueberlegener Monarch, Stuetze der goettlichen Ordnung und, dem Anspruch nach, weiterhin Haupt der Christenheit -, sondern zeigt auch noch einmal ausdruecklich auf, inwieweit dieser Kaiser in der Tradition habsburgischer Selbstinszenierung stand und in welchem Masse "Leopold der Grosse" sie auch ueberragte.
Die "glorification" Leopolds war wesentlich Antwort auf die "fabrication" Ludwigs, und Goloubeva zeigt die Wechselbeziehung allenthalben auf, sie hat jedoch aus gutem Grund keine Geschichte der blossen hoefischen Konkurrenz zwischen Wien und Versailles geschrieben, denn ein blosser Reflex der franzoesischen Sonne war, wie sie gleichfalls hinreichend deutlich machen kann, der Wiener Glanz nicht.
Die Arbeit ist klug dimensioniert, praegnant wie zugleich sorgsam abwaegend formuliert, und wenn sie vielleicht nicht alle moeglichen Aspekte des Themas mit gleicher Entschlossenheit angeht, so bietet sie weiteren Forschungen doch Anregungen, neue Grundlagen und Erkenntnisse. Das ist es auch genau, was eine Dissertation leisten kann, soll, und was die Verfasserin selbst will. Wer sich kuenftig mit Leopold I., seinem Hof und mit dem Herrscherbild seiner Epoche beschaeftigt, wird gerne und mit Gewinn nach dem Buch von Goloubeva greifen.
Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass diese in Deutschland erschienene, am Mainzer Institut fuer Europaeische Geschichte fuer den Druck bearbeitete Cambridger Dissertation einer lettischen Historikerin ein schoenes Beispiel fuer einen gesamteuropaeischen akademischen Austausch ist.
Am Rande angemerkt: Der Rezensent schaetzt sich gluecklich, auf S. 157, Fussn. 8, einen Druckfehler gefunden zu haben (lies: Wagner). Es war der einzige.