Bis zum heutigen Tag wird von den Frühneuzeitlern über das Verhältnis von Luthertum und Obrigkeit gestritten. Die verbreitete Sicht, dass das Luthertum als obrigkeitshörige Konfession Ursache bzw. begünstigender Faktor einer staatsunkritischen Haltung der Bevölkerung gewesen sei, die bis zur politischen Passivität der evangelischen Kirche im dritten Reich fortgewirkt habe, wird jedoch mehr und mehr von Perspektiven abgelöst, die die Linien nicht so eindeutig ziehen. Chang Soo Park nimmt an dieser Diskussion anhand der Betrachtung des Wirkens von Thilemann Heshusius (1527–1588) teil. Dieser lutherische Theologe, der in Wittenberg studierte (ab 1546 an der Artistischen Fakultät immatrikuliert) und als Lieblingsschüler Melanchthons gelten kann, tat sich in seinem Wirken als Pfarrer, Superintendent und Professor als obrigkeitskritischer Streiter hervor, der die Freiheit der Geistlichkeit pointiert verteidigte.
Nach einer kurzen Darstellung des Lebens von Heshusius blickt Park auf die durch Luther und Melanchthon geschaffenen Voraussetzungen von dessen Obrigkeitsverständnis. Naturgemäß stößt die Untersuchung schnell dort an Grenzen, wo die komplexe Forschungslage zu den verschiedenen Aspekten der beiden Reformatoren zum Thema „Obrigkeit“ wahrzunehmen ist. Deutlich wird jedoch, dass das Konzept der Dreiständelehre eine weitaus wichtigere Rezeptionsgeschichte erfahren hat, als die Zwei-Reiche-Lehre. Folgerichtig bleibt diese in der weiteren Untersuchung weitgehend außen vor, nur als eine der Dreiständelehre inhärente Argumentationsfigur erfährt sie weiterhin eine Berücksichtigung.
In einem ersten Hauptteil ergründet Park nun das Heshusius’sche Obrigkeitsverständnis, indem er die Obrigkeitsterminologie (societas, respublica, respublica christiana, imperia, ordo politicus, magistratus, subditi et cives, status, ordo), seine Vorstellungen von Herrschertugenden (timor Dei, iustitia, clementia, obedientia et honor, pax et salus publica) und die Legitimationsmuster für die erfolgte Obrigkeitskritik (geistliches Sonderbewusstsein, Zwei-Regimenter-Lehre, Dreiständelehre, Unterscheidung von Amt und Person, Recht auf Widerstand, leges divinae, naturae et humanae, Gemeindeprinzip, custos utriusque tabulae) untersucht. Methodische Voraussetzung für die Analyse der Begriffsbildung bildet das Konzept der political languages der Cambridge School (Skinner, Pocock). Park kann zeigen, dass das Denken des Heshusius auf der Grundlage der antiken Tradition Elemente des mittelalterlichen Denkens sowie reformatorischer politischer Theologie aufnimmt. Bei letzterer werden sowohl eigenständige Argumente Melanchthons als auch Luthers identifiziert. Das Ordnungsprinzip für die Integration der verschiedenen Traditionen bildet dabei die Dreiständelehre, in welche das Recht auf Widerstand, Gegen- und Notwehr genuin inkludiert ist und je nach Situation unterschiedlich angewendet werden kann, wie Park heraustellt.
Anschließend werden die Auseinandersetzungen um die Rechte der Obrigkeiten in den zwei norddeutschen Städten Bremen und Emden beleuchtet. In beiden Städten konnte das Reformiertentum die lutherischen Kräfte im Laufe des 16. Jahrhunderts verdrängen. Während sich Heshusius allerdings in die Bremer Streitigkeiten direkt einmischte, war dies in Emden nicht der Fall. Es geht also in diesem Teil des Buches allgemein um Gemeinsamkeiten in den Obrigkeitsvorstellungen der Protagonisten des Streits mit Heshusius sowie eine allen Beteiligten gemeinsame politische Sprache, die auf dem Konzept der Dreiständelehre basiert. Dieses bildet die Grundlage der Wahrnehmung von politisch-sozialen Ordnungen als legitim oder illegitim durch die frühneuzeitlichen Protagonisten. Eigene Rechtsansprüche der jeweiligen politischen Akteure werden mit Verweis auf diese Lehre begründet. Indem auf die Gleichberechtigung der jeweiligen Stände innerhalb der christlichen Gemeinschaft verwiesen wird, werden wahrgenommene Eingriffe der Obrigkeit in die eigenen autonomen Rechte zurückgewiesen. Was jeweilige Rechte und Freiheiten sind, ist dabei allerdings nicht festgeschrieben, sondern wird in Auseinandersetzung mit der gegnerischen Seite eingefordert. Durch den allen Beteiligten gemeinsamen Begründungsrahmen der Dreiständelehre wird somit ein kommunikativer Raum frühneuzeitlicher politischer Entscheidung hergestellt und abgegrenzt. Die Untersuchung zeigt, dass dies nicht nur das frühneuzeitliche Luthertum betrifft, sondern konfessionsübergreifend galt. Sowohl im Luther- wie auch im Reformiertentum begründete die Dreiständelehre also politische Teilhabe und wirkte andererseits herrschaftsbegrenzend.
Zum Schluss geht Park in mehreren kleinen Exkursen auf Konfliktfelder in weiteren Wirkungsstätten Heshusius’ ein. Auch hier zeigt sich die Bedeutung der Dreiständelehre, mithilfe derer die städtischen Protagonisten versuchten, ihre Modelle konsensgestützter Herrschaft gegen die Hegemonialbestrebungen der Fürsten durchzusetzen. Indem Park sich von modern geprägten Verstehensweisen distanziert und stattdessen die Begriffe und Deutungsmuster des 16. Jahrhunderts zu durchdringen versucht, kommt er zu einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen Obrigkeit und lutherischer Geistlichkeit, die die lutherische Konfession als kritischen und herrschaftsbegrenzenden gesellschaftlichen Faktor wahrnahm. Zentral für die Perzeption des Heshusius ist das Konzept der Dreiständelehre, auf die sich der Autor dann auch in der Frage nach dem, was das Verhältnis von Obrigkeit und Luthertum ausmacht, vor allem anderen bezieht und die aufgegriffenen Konfliktfelder auf die Frage nach der Verwendung dieses Konzepts hin beleuchtet.
Parks Arbeit leistet mit dem Fokus auf einen Theologen, der sich aufgrund seines Amtsverständnisses wiederholt gerade in Auseinandersetzungen mit den Obrigkeiten der Städte und Territorien, in denen er wirksam war, begab, einen wichtigen Beitrag zur weiteren Differenzierung unseres Bildes von der lutherischen politischen Kultur im Alten Reich – was zugleich die weitere Revision eines durch Ernst Troeltsch und Max Weber gebildeten Urteils beinhaltet. Wie die gewählten Fallbeispiele zeigen, lässt sich nicht von einem spezifischen Obrigkeitsverständnis des Luthertums sprechen. Auch reformierte Kräfte benutzten ebensolche Argumentationslinien, mit denen auch Heshusius bzw. den lutherischen Vertretern in Erscheinung traten. Somit wird deutlich, dass die frühneuzeitliche politische Kommunikation, welche sich in Abhängigkeit zum System der Dreiständelehre bewegte, durchaus in konfessionsübergreifenden Bezugssystemen geschah. Insofern bleibt zu fragen, ob andere Kriterien konfessionelle Verhaltensweisen deutlicher zum Vorschein bringen können.