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Titel
Bergkameraden. Soziale Nahbeziehungen im alpinistischen Diskurs (1860–2010)


Autor(en)
Backhaus, Wibke
Reihe
Geschichte und Geschlechter 67
Erschienen
Frankfurt am Main 2016: Campus Verlag
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
45,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Reulecke, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Gießen

In ihrer im Rahmen des Freiburger Graduiertenkollegs „Freunde, Gönner, Getreue“ entstandenen Dissertation geht es – so die Autorin – um eine Analyse „der Verhandlungen sozialer Nahbeziehungen am Berg“, ausgehend von jener zu Beginn des Bergsteigens geschaffenen und bis heute zum Teil noch nachwirkenden Vorstellung, dass das Bergsteigen selbstverständlich mit dem Ideal männlicher Härte und männlichen Durchhaltevermögens verknüpft sei und deshalb Frauen ausschließe (S. 10f.). Die Quellenbasis ihrer Recherchen waren insbesondere die seit etwa 1860 entstandenen „Bergbücher“, das heißt die vielen „Geschichten über Freundschaft am Berg“, über dramatische Ereignisse beim Bergsteigen, Expeditionen zum Himalaja usw., aber auch Fotografien und Filme, wobei es Wibke Backhaus von vorn herein nicht nur um die jeweils vorherrschenden zeittypischen Männlichkeitskonstruktionen ging, sondern ausdrücklich auch um „die Frage nach der Vergeschlechtlichung der alpinen Freundschaftserzählung“.

In einem ausführlichen Einleitungskapitel werden zunächst die zwei zentralen Ebenen der Analyse erläutert: einerseits die „Kulturgeschichte alpinistischer Gemeinschaftsentwürfe“ und andererseits die in diesem Kontext bedeutsamen „Verhandlungen von Geschlechterdifferenz und -hierarchie“. Dabei identifiziert Backhaus den „Alpinismus“ als eine „moderne Kulturbewegung“, wobei sie vor allem auch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfreundschaften anspricht und die für ihre Arbeit zentrale Frage nach der „Herstellung und Legitimation von Geschlechterhierarchien“ stellt. Die folgenden sechs Hauptkapitel verfolgen chronologisch die von ihr in den Blick genommenen „zentralen Wendepunkte alpinistischer Gemeinschaftskonzeptionen“ der Bergkameradschaft. Im zweiten Kapitel des Buches geht es zunächst um die „gängige Praxis des geführten Bergsteigens“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann um den Beginn einer „risikoorientierten Form des Kletterns ohne Bergführer“ (S. 284) gegen Ende des Jahrhunderts.

Dem Ersten Weltkrieg in den Alpen, speziell den maßgeblichen militärischen Hierarchien und Kameradschaftserzählungen sowie der Entstehung des neuen Prototyps „Gebirgskrieger“ ist das nächste Kapitel gewidmet, ehe es dann mit Blick auf die Entwicklung seit den 1930er-Jahren – Stichworte zum Beispiel „deutsche Treue“ und „Männerbund“ – um einen neuen, am Modell der Volksgemeinschaft orientierten Begriff der Bergkameradschaft geht, der nun auch durch die „Grenzfiguren der Bergkameradin und des Trägerkameraden“ ergänzt wurde. In diesem Kontext spielten auch Nanga-Parbat-Expeditionen mit Unterstützung einheimischer Sherpas als kameradschaftliche „edle Wilde“ in Richtung auf ein Idealmodell kolonialer Beziehungen eine bemerkenswerte Rolle.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es dann, so Wibke Backhaus, bei der Infragestellung der vorherigen Kameradschaftskonzepte um – so lautete nach 1945 ein Slogan – einen „Sieg menschlicher Brüderlichkeit“ am Berg, doch es blieb, wie die Autorin zeigt, letztlich die bisherige alpinistische Geschlechterordnung im Kontext der damaligen „De- und Remontagen des Kameradschaftsideals“ erhalten: „Frauen blieben auf den Platz der mitgenommenen Seilzweiten verwiesen.“ (S. 285) Dass diese Haltung seit den 1970er-Jahren einen nun entstehenden „alpinistischen Feminismus“ vehement herausforderte, ist dann zwar ein bemerkenswerter Gegenstand des folgenden Kapitels, in dem Backhaus ausgehend von der Analyse der damaligen Bergliteratur jedoch auch zeigt, wie bestimmend dennoch weiterhin „Entwürfe gefühlsorientierter, an Selbsterfahrung und Persönlichkeitswachstum interessierter Bergmännlichkeit“ blieben. Bergsteigerinnen, so belegt dann das abschließende Hauptkapitel, seien zwar in der Folgezeit durchaus sichtbarer geworden, doch kreise dennoch die bis heute andauernde alpinistische Beschäftigung mit Geschlechterfragen viel stärker um aktuelle männliche Identitätskrisen als um die Diskriminierungserfahrungen von Bergsteigerinnen.

Ihre detailreiche Darstellung von Kameradschaft, Bruderschaft und Freundschaft beim Bergsteigen im Hinblick auf die Werthierarchien, aber auch auf die historischen Kontexte mit ihren zeittypischen Widersprüchlichkeiten beendet Wibke Backhaus nicht nur mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis und mit zum Teil ausführlichen Biographien von knapp hundert Personen (darunter etwa ein Fünftel Bergsteigerinnen und einige Sherpas), die im Bereich des Bergsteigens hervorgetreten sind wie zum Beispiel Luis Trenker und Reinhold Messner, sondern insbesondere mit einigen zum Teil allerdings recht abstrakten „abschließenden Überlegungen“ (S. 283–294), in denen die Autorin die bis heute andauernde „innere Widersprüchlichkeit alpinistischer Identitäts- und Gemeinschaftsentwürfe“ auf den Punkt zu bringen versucht und ihre eigene, vor allem auf die Geschlechterhierarchie bezogene Sicht begründet. Ihr skeptischer Blick auf eine angeblich überwundene Männerdominanz im Bergsport, wie sie etwa Reinhold Messner seit den 1970er-Jahren beschrieben hat, lasse sich so auch positiv wenden: Unangefochten und so fraglos selbstverständlich, wie sie in den scheinbar bruchlosen Erzählungen der Bergkameradschaft angesprochen werde, sei diese Dominanz noch nie gewesen, und eine lineare Entwicklung hin zu Partizipation und Gleichheit gebe es nicht! Es gehe stattdessen immer um ein „Wechselspiel“, nämlich das andauernde Aushandeln von Differenz und Hierarchie mit wechselnden Möglichkeiten der Teilhabe und Sichtbarkeit (S. 292f.). Dass dies die vor nun circa 150 Jahren beginnende Geschichte vor allem der männlichen Bergkameradschaft in besonders exemplarischer Weise bestimmt hat und noch in mancherlei Hinsicht bestimmt, ist das Fazit der facettenreichen Darstellung und umsichtigen Interpretation der sozialen Nahbeziehungen beim Bergsteigen bis in die jüngste Zeit in der Freiburger Dissertation von Wibke Backhaus.