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Titel
Hans Adolf von Moltke. Eine politische Biographie


Autor(en)
Wiaderny, Bernard
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Jehne, Institut für Geschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Über die Jahrhunderte prägten viele Krisen das deutsch-polnische Verhältnis. Die Schwerste erlebte dieses in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, angefangen mit den nationalistischen Gebietskonflikten in der Zeit nach Ende des Ersten Weltkriegs bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs, als nach sechsjähriger brutaler Terrorherrschaft der Deutschen in Polen sechs Millionen polnische Opfer zu beklagen waren.

Genau mit dieser verhängnisvollsten Periode deutsch-polnischer Geschichte befasst sich Bernard Wiaderny im Zuge seiner Biografie über Hans Adolf von Moltke, der von 1931 bis 1939 zunächst Gesandter, dann erster deutscher Botschafter in Polen war. Damit war Moltke durch seine berufliche Funktion an einer zentralen Schnittstelle polnischer und deutscher Politik angesiedelt. Wiadernys Biografie über Moltke orientiert sich im Kapitelaufbau nachvollziehbarerweise an dessen beruflicher Karriere. Dies wird verbunden mit makrogeschichtlich entscheidenden Ereignissen und Zäsuren wie dem Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, von dieser zum „Dritten Reich“ sowie über dessen „Friedensjahre“ bis hin zum Zweiten Weltkrieg. So schildert er zunächst Moltkes Kindheit und Ausbildung im späten Kaiserreich, dann seine ersten prägenden Erlebnisse als deutscher Diplomat. Moltke entstammte einer alteingesessenen schlesischen Aristokratenfamilie – sein Vater war in den 1900er-Jahren kurzzeitig preußischer Justizminister gewesen –, studierte Jura und bewarb sich 1913 für den diplomatischen Dienst. Anfängliche Stationen waren in Konstantinopel, Belgien und Vorarlberg. In Vorarlberg exponierte er sich – wie Wiaderny zutreffend konstatiert – aus seiner deutschnationalen politischen Gesinnung heraus in extremer Art und Weise gegen die drohende Angliederung dieser Region an die Schweiz. Anschließend trat Moltke im Zusammenhang des Oberschlesienkonfliktes Anfang der 1920er-Jahre erstmals im deutsch-polnischen Kontext auf. Seine offizielle Aufgabe bestand in diesem Konflikt darin, den Kontakt zwischen dem deutschen „Selbstschutz“ und der Interalliierten Kommission zu vermitteln. Moltke offenbarte hierbei – so Wiaderny – äußerstes diplomatisches Geschick, indem er gute Kontakte zum päpstlichen Nuntius aufbaute, der ihn mit Informationen versorgte. Es gelang ihm zudem, den 1921 auf deutscher Seite in Oberschlesien gegründeten sogenannte Zwölferausschuss bei der Interalliierten Kommission anerkennen zu lassen (S. 22).

Anschließend analysiert Wiaderny Moltkes Wirken in der Weimarer Republik, um dann – dies bildet den Schwerpunkt der Arbeit – seine Rolle im Nationalsozialismus in Polen in den Fokus zu rücken. In der Weimarer Republik machte Moltke Karriere in der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes, die er ab 1928 selbst leitete, bis er 1931 zum deutschen Gesandten in der polnischen Hauptstadt Warschau ernannt wurde. 1934 wurde er mit der Errichtung der deutschen Botschaft in Polen der erste dortige Botschafter, was er bis zum deutschen Überfall blieb. Danach reüssierte Moltke im mittlerweile gänzlich nationalsozialistisch dominierten Außenministerium und beteiligte sich in leitender Funktion am NS-Dokumentenraub und der propagandistischen Verwertung dieses Materials, ehe er ab 1943 bis zu seinem plötzlichen Tod in diesem Jahre kurzzeitig als Botschafter in Madrid eingesetzt wurde.

Die zentralen Fragestellungen, die Wiaderny bezüglich Moltke antreiben, sind nachvollziehbarerweise auf dessen „politische Verortung“ ausgerichtet – insbesondere gegenüber den dominierenden Personen und Positionen in der deutschen Außenpolitik der späten Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ sowie auf sein „Polenbild“ (S. 8). Auch möchte Wiaderny das Verhältnis von Moltke zum Widerstand klären und ihn diesbezüglich einordnen. Überzeugend versteht es Wiaderny, Moltkes Grundeinstellungen zu skizzieren und ihn sorgsam als Individuum während der Weimarer Zeit in den jeweiligen Zeitgeist einzuordnen. Er charakterisiert ihn als durch und durch revanchistisch und deutschnational, der sich verhielt, wie es seine preußisch-aristokratische Herkunft nahelegte. So sah Moltke in der Novemberrevolution von 1918 und den Gebietsverlusten die fundamentale Katastrophe der jüngeren deutschen Geschichte. Gleichzeitig zeichnete er sich aber immer durch „Takt, Höflichkeit und kultiviertes Auftreten“ (S. 248) gegenüber politischen MitstreiterInnen aber auch GegnerInnen aus. Dies manifestierte sich zum Beispiel in realpolitischem Pragmatismus und diplomatischer Geschicklichkeit gegenüber Polen, obwohl er die für einen deutschnationalen Politiker typischen antipolnischen Ressentiments besaß. Von diesen ließ er sich in seinen politischen Handlungen aber offenbar nicht notwendigerweise leiten. Allerdings grenzt Wiaderny Moltke vom Nationalsozialismus ab, was aus quellenkritischer und analytischer Sicht nicht immer überzeugt. So konstatiert Wiaderny zum Beispiel, Moltke habe nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ernsthaft in Erwägung gezogen, von seinem Posten zurücktreten und den Dienst im Auswärtigen Amt generell zu quittieren. Letztlich sei er aber dennoch auf seinem Posten verblieben, da Fachmänner benötigt wurden und er das Feld keinem Laien überlassen wollte (S. 52). Als Beleg hierfür zieht Wiaderny die in der Haft 1950 verfassten Memoiren des ehemaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäcker heran, in denen dieser im für die Nachkriegszeit typischen Rechtfertigungsduktus versucht, seine eigene Rolle im Nationalsozialismus zu verharmlosen und sich gar zum Widerstandskämpfer zu stilisieren. Als Nachweis für Moltkes angebliche Überlegungen, den Dienst zu quittieren, erscheint diese Quelle wegen der hohen Gefahr einer retrospektiven Verfälschung somit als wenig geeignet. Zwar reflektiert Wiaderny in der dazugehörigen Anmerkung richtig, dass Weizsäckers Memoiren „eine unsichere und parteiische Quelle“ (S. 290) seien, versucht die Aussage für sein Argument jedoch damit zu plausibilisieren, dass sich Weizsäckers Aussage mit den Erinnerungen von Moltkes Ehefrau Davida decken würden. Allerdings sind die Erinnerungen von Angehörigen wiederum ebenfalls eine problematische Quellengattung, die – wie Wiaderny in seiner Einleitung zu Recht bemerkt – stets „im Vergleich mit anderen Quellen betrachtet werden“ (S. 10) sollen. Auch sieht Wiaderny in den Überlegungen Moltkes, sich für den ehemaligen polnischen Premierminister und Kollaborateur Leon Kozłowski zu exponieren, einen Einsatz für die Milderung der deutschen Besatzungspolitik in Polen, der gleichbedeutend mit einer Absage an die „Rassen- und Vernichtungspolitik des NS-Regimes“ sei (S. 191). Diese Schlussfolgerung erscheint aus dem geschilderten Sachverhalt heraus keineswegs zwingend.

Weiterhin hält er bis zu seinem abschließenden Resümee über Moltke an der Behauptung fest, dieser sei politisch durch die sogenannte „Mitteleuropa“-Ideologie des nationalliberalen Stolper-Kreises aus der Weimarer Zeit geprägt gewesen. Mit den Nationalsozialisten habe er nur in Beziehung auf identische Ziele wie die Restitution von an Polen verlorene Gebiete, die Konservative mit diesen gemein hatten, übereingestimmt. Gleichzeitig kann Wiaderny aber selbst aufzeigen, dass sich Moltke nicht nur aktiv am NS-Aktenraub beteiligt hatte, sondern ebenso nicht davor zurückschreckte, Dokumente ganz im Sinne der Propaganda der Nationalsozialisten zu verzerren und zu verfälschen. Dies wiederum – so Wiadernys eigenes Resümee – spräche auch für eine inhaltliche Identifizierung mit den außenpolitischen Zielen des NS-Regimes. Darüber hinaus erwähnt Wiaderny im Teilkapitel über die Zeit Moltkes als Botschafter in Madrid nicht den in „Das Amt und die Vergangenheit“ geschilderten Vorgang, dass Moltke im Auftrag des Auswärtigen Amtes spanischen Vertretern unmissverständlich deutlich machte, dass Jüdinnen und Juden mit spanischem Pass außerhalb Spaniens entweder dorthin wiederaufzunehmen seien oder sonst „‚die allgemein geltenden Bestimmungen‘ in Frage käme[n]“, was die Deportation implizierte.1 Dieser Fall ist ein weiteres Indiz für Moltkes klaren Einsatz für das NS-Regime.

Neben der einen oder anderen bereits dargestellten semantischen Unausgewogenheit leidet das Werk leider darunter, dass verschiedentlich Tippfehler herausstechen. Insgesamt hat Bernard Wiaderny aber sehr wohl eine grundsätzliche Forschungsleistung erbracht, indem er die Biografie eines Botschafters rekonstruiert und damit einen Beitrag zur Historiografie über eine zentrale politische Gruppe beigesteuert hat. Der Einfluss dieser politischen Gruppe ist in den internationalen Beziehungen nicht zu unterschätzen, dennoch hat sie allerdings in wissenschaftlichen Abhandlungen bisher wenig Beachtung gefunden.

Anmerkung:
1 Eckart Conze / Norbert Frei / Peter Hayes / Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, 4. Aufl., München 2010, S. 273.

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