Auf dem an sich gut bestellten Feld der Forschungen zur keltischen Religion fehlt es an einer zuverlässigen Darstellung der keltisch-römischen Heiligtümer. Sowohl eine Übersicht über die heiligen Orte als auch eine Untersuchung ihrer räumlichen Bezüge sucht man vergebens. Dieser ambitionierten Aufgabe hat sich nun Julia Budei in ihrer Heidelberger Dissertation zugewandt. Dabei möchte sie die genaue Lage der Heiligtümer untersuchen und explizit neben der vorherrschenden Forschungsmeinung auch neuere Ansätze der Raumforschung berücksichtigen. Eine notwendige Eingrenzung erfolgt zunächst anhand der publizierten und bereits erforschten Heiligtümer. Nicht ergrabene Tempelanlagen werden bis auf wenige Ausnahmen nicht in die Untersuchung aufgenommen. In der Studie wird somit eine Vielzahl von Heiligtümern in den nordwestlichen Provinzen behandelt, ohne jedoch eine vollständige Aufnahme der bekannten Kultorte anzustreben.
Neben Zielsetzung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes gibt Budei im einleitenden Kapitel noch einen äußerst knappen Überblick zur Forschungsgeschichte (S. 6). Einführende methodische oder terminologische Überlegungen fehlen. Begriffe wie Akkulturation und Assimilation werden im Verlauf der Arbeit dann auch nicht einheitlich oder systematisch verwandt. Und wären grundlegende Termini wie „Romanisierung“ oder „gallo-römisch“ reflektiert worden, dann wäre es nicht zu der Aussage gekommen, dass Götter wie Sucellus, Vesunna, die Matronen und Epona „unter ihren ursprünglichen Namen – das heißt ohne interpretatio Romana – zum Teil bis in das 3. Jh. n. Chr.“ verehrt worden seien (S. 126). Diese Götternamen sind latinisiert, und wir erfahren diese überhaupt erst dadurch, dass sie in lateinischen Inschriften erwähnt werden. Die Übernahme römischer Kultpraktiken muss aber als ein Aspekt der Romanisierung angesehen werden, zumal die Dedikanten oft auch Römer waren.
Dies ist besonders schade, da die vielfältigen Beobachtungen zu den einzelnen Kultorten im dritten Kapitel (S. 26–89) so ohne eine theoretische Klammer bleiben und begrifflich nicht klar gefasst sind. Da hilft es auch wenig, dass im abschließenden sechsten Kapitel Betrachtungen zu den gallo-römischen Tempeln und zur Romanisierung nachgeschoben werden (S. 125–127). Die in diesem Zusammenhang diskutierten Ausführungen zur Romanisierung von Greg Woolf aus den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts sind gewiss noch immer grundlegend und nach wie vor zu beachten, aber nicht mehr State of the Art.1 Auch die im zweiten Kapitel (S. 9–26) zuvor behandelten allgemeinen Überlegungen zur Orientierung gallo-römischer Tempel in der Landschaft, der inneren Ausrichtung derselben innerhalb des heiligen Bezirks sowie der Trennung von profanem und sakralem Raum können eine theoretische Grundlegung nicht ersetzen, dienen sie doch allenfalls als Analysewerkzeuge.
Die hervorzuhebenden Ergebnisse der Untersuchung verbergen sich dann auch in den einzelnen Abschnitten des dritten Kapitels, das in die Kategorien Bergheiligtümer, Wasserheiligtümer, Heiligtümer und Villen, städtische Heiligtümer sowie Heiligtümer und Straßen gegliedert ist. Vor allem Raum- und Sichtbezüge werden hierbei untersucht. Eine anschließende Darstellung der Vorgängerbauten (S. 89–106) und der Folgebauten (S. 107–123) runden die Analyse der Befunde ab. In Auseinandersetzung mit der Forschung, den literarischen Quellen und dem archäologischen Befund behandelt Budei Lage, Gottheiten und Besonderheiten des jeweiligen Heiligtums. Ein Erkenntnisfortschritt ist aber nur schwer zu erkennen, da die eigene wissenschaftliche Leistung hinter der bloßen Aufzählung von Beispielen und der Literaturdiskussion zurücktritt. Kaum ist ein Heiligtum besprochen und ansatzweise analysiert worden, wird der nächste Tempel in die Untersuchung eingeführt. Da auch kein Zwischenfazit gezogen wird, muss sich der Leser bis zu den abschließenden Betrachtungen im sechsten Kapitel durcharbeiten (S. 124–128), um die Ergebnisse der Untersuchung zu erfahren.
Budei unterstützt ihre Argumentation mit zahlreichen Abbildungen der Topographie oder des archäologischen Befundes. Zudem veranschaulicht sie ihre Ergebnisse zu den Sichtbezügen der Bergheiligtümer durch eigene Fotos. Inwieweit allerdings populärwissenschaftliche Rekonstruktionen von Heiligtümern als Argumente in eine wissenschaftliche Diskussion einfließen sollten, mag jeder selbst entscheiden.
Das Buch ist weitgehend gut zu lesen, bisweilen verursachen jedoch unglückliche Formulierungen unfreiwillig ein Schmunzeln: So kann ein gallo-römischer Umgangstempel nicht in irgendeiner Form behilflich sein (S. 126), auch sind die gallischen Provinzen nicht von den Römern eingenommen worden, sondern die Römer eroberten Gallien und richteten dann Provinzen ein (S. 5). Ärgerlich sind hingegen Literaturverweise auf Arbeiten, die im Literaturverzeichnis nicht genannt werden, etwa ein mehrfach zitierter Band von Ralph Häussler aus dem Jahre 1992 (S. 89) oder ein Werk von Michael Zelle aus dem Jahr 2000 (S. 79–82), da nicht nachvollzogen werden kann, auf welches Werk der genannten Autoren sich Budei bezieht. Weniger schwer wiegen kleinere Unstimmigkeiten, wie etwa Irrtümer in der Schreibweise von Autorennamen, falsche Erscheinungsorte oder Zahlendreher.2
Der Band bietet einen guten Überblick über die gallo-römischen Heiligtümer in den nordwestlichen Provinzen des Imperium Romanum. Die Beobachtungen zu den Sichtbezügen und der räumlichen Einbettung der Heiligtümer dürften der weiteren Forschung von Nutzen sein. Hier zahlt es sich aus, dass Budei viele Heiligtümer in Augenschein genommen hat und ihre Beobachtungen unter Berücksichtigung der neueren Forschung zu Raumbezügen einfließen lässt. Die Veränderung der Religion jedoch, sofern sie sich in der Bauform des gallo-römischen Umgangstempels äußert, wird leider nicht erläutert. Was daran ist keltisch, was römisch? Wurden hier keltische Götter im römischen Gewand verehrt oder wurden keltische Vorstellungen auf römische Götter übertragen? Die Antworten auf diese Frage bleibt Budei schuldig. So ist man auch nicht verblüfft, wenn zum Schluss konstatiert wird, dass eine Untersuchung des gallo-römischen Pantheons in Bezug auf die Entwicklung der Charaktere der Götter ein wichtiges Forschungsdesiderat sei (S. 128). Ein Blick auf die jüngere Forschung zu diesem Thema hätte es ermöglicht, die Untersuchung auch in dieser Hinsicht zu vervollständigen.3 Ebenso erscheint die Aufforderung, den Untersuchungsraum auf weitere Provinzen auszudehnen (S. 128), verfehlt, da eine systematische und theoretisch fundierte Untersuchung der von Budei vorgestellten Heiligtümer sicherlich die Forschung vorangebracht hätte. Gallo-römische Tempel dürften sich überdies außerhalb der nordöstlichen Provinzen kaum finden lassen. So bleibt es der religionshistorischen Forschung vorbehalten, auf der Grundlage der Materialsammlung und der Beobachtungen von Budei die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen.
Anmerkungen:
1 Hier wäre unbedingt die neuere Forschung zur Romanisierung heranzuziehen gewesen: Leonard A. Curchin, The Romanization of Central Spain. Complexity, Diversity and Change in a Provincial Hinterland, London 2004; Günther Schörner (Hrsg.), Romanisierung – Romanisation. Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele, Oxford 2005; Richard Hingley, Globalizing Roman Culture. Unity, Diversity and Empire, London 2005; Géza Alföldy, Romanisation – Grundbegriff oder Fehlgriff? Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Erforschung von Intergrationsprozessen im römischen Weltreich, in: Visy Zsolt (Hrsg.), Limes XIX. Proceedings of the XIXth International Congress of Roman Frontier Studies, Pécs 2005, S. 25–56.
2 So z.B. Ankersdorfer nicht Ankersdorf (S. 130). Die Dissertation von Elena Köstner, Tod im Trevererland. Interkulturelle Beziehungen zwischen Römern und Kelten. Eine historisch-archäologische Gräberanalyse in der civitas Treverorum zwischen 150 v. und 100/120 n. Chr. (Pietas 3), 2011, erschien in Gutenberg und nicht in Regensburg (S. 133). Das Buch von Fernand Benoit, Mars et Mercure, Nouvelles recherches sur l’interprétation gauloise des divinités romaines, Aix-en-Provence, erschien 1959 und nicht 1595 (S. 130).
3 Hier hätte vielleicht ein Verweis auf die Forschungen von Ton Derks und Wolfgang Spickermann ausgereicht; auch wären die Forschungsergebnisse des Projektes Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae (F.E.R.C.AN.) heranzuziehen gewesen, wie etwa Wolfgang Spickermann / Rainer Wiegels (Hrsg.), Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. internationalen F.E.R.C.AN.-Workshops vom 4.–6.10.2002 an der Universität Osnabrück, Möhnesee 2005 oder Manfred Hainzmann (Hrsg.), Auf den Spuren keltischer Götterverehrung. Akten des 5. F.E.R.C.AN.-Workshop, Graz 9.–12. Oktober 2003, Wien 2007.