Cover
Titel
Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt und Stephan Gebauer-Lippert


Autor(en)
Trentmann, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
1.097 S., 70 farb. Abb.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter-Paul Bänziger, Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld

Wie kann man einem Buch gerecht werden, das ohne Bibliografie (die 365-seitige PDF-Datei kann von der Verlagswebsite heruntergeladen werden1) nicht weniger als 1.097 Textseiten bietet und in dem eine kaum überblickbare Fülle an Quellen und Sekundärliteratur verarbeitet wird? Eine Zusammenfassung der einzelnen Kapitel zu geben, ist ein kaum mögliches Unterfangen. Tatsächlich liefert Frank Trentmanns Buch selbst eine Darstellung eines Großteils der konsumgeschichtlichen Literatur und zentraler Debatten der vergangenen Jahrzehnte. Nicht zuletzt eignet es sich deshalb als Einführung in eine Vielzahl von Einzelthemen. Dank des umfangreichen Registers lassen sich die entsprechenden Passagen auch leicht finden. Der Rezensent hingegen muss das Risiko einer in mancherlei Hinsicht verkürzenden Darstellung auf sich nehmen, um einige allgemeine Linien herauszuarbeiten. Nicht zuletzt wird es dabei um das Verhältnis von Konsum und Arbeit gehen.

Explizit warnt Trentmann vor einer scharfen Gegenüberstellung von Tradition und Moderne in der Geschichte des Konsums. Von der ersten bis zur letzten Seite zeigt sein Buch, wie komplex diese Geschichte ist. Dennoch tendiert er meines Erachtens besonders im ersten, stärker historischen Teil dazu, sein Material durch das Narrativ einer fortschreitenden Modernisierung zu ordnen. Mit Blick auf das frühneuzeitliche Spanien spricht er etwa von einem ungenutzten „Startvorteil im Konsumrennen“ (S. 107), und das Finnland der 1960er-Jahre bezeichnet er als „späte[n] Modernisierer“ (S. 489). „Die Aufklärung des Konsums“ lautet die Überschrift zum Kapitel über die kulturellen Grundlagen dieses Rennens (Kap. 2). Den Ambivalenzen dieser konsumgesellschaftlichen Moderne geht Trentmann im zweiten, systematischen Teil nach. Kenntnisreich behandelt er aktuelle Themen wie die Bedeutung von Kredit und Schulden, den Aufstieg des Fair Trade und die Debatte über die Wegwerfgesellschaft. Der Fokus liegt hierbei auf dem 20. Jahrhundert. Da dieses bereits im ersten Teil sehr zentral ist, kommt den Prozessen in den früheren Jahrhunderten gewissermaßen die Rolle einer Vorgeschichte heutiger Probleme zu.

Trentmann lenkt seinen Blick systematisch über den nordatlantischen Raum hinaus, was eine der großen Stärken des Buches ist. Verschiedentlich macht sich hierbei jedoch wiederum die Problematik der Modernisierungserzählung bemerkbar. Mit Blick auf die chinesischen Pachtbauern der 1820er-Jahre etwa ist von einem verhinderten „Aufstieg auf der Entwicklungsleiter“ von „Spezialisierung und Innovation“ (S. 102) die Rede. Und auf dem indischen Subkontinent des mittleren 19. Jahrhunderts erkennt Trentmann die letzten Überreste „einer orientalischen Konsumkultur“ (S. 187).2 Auch wenn er bezüglich der „afrikanischen Gesellschaften“ des 20. Jahrhunderts zeigt, dass „westliche Güter“ deutlich stärker verbreitet waren, „als man allgemein annimmt“ (S. 336), dient die Gegenüberstellung des „Westens“ einerseits und „Asiens“ oder „Afrikas“ andererseits als Erzählprinzip. Gern hätte man als Ergänzung dazu mehr über die lokalen Ökonomien erfahren. Trotz der Mahnung vor vereinfachenden Gegenüberstellungen von „traditioneller Kultur und westlichem Konsumismus“ (S. 337) bleiben dem Konsum so vor allem die Rollen eines Entwicklungsmotors oder einer ebenfalls von außen kommenden Soft Power, die die gewaltsameren Formen des Imperialismus und der Durchsetzung von Handelsinteressen begleitete. Im zweiten Teil dominiert dagegen das Bemühen, geografische Großräume in nationale und regionale Muster aufzulösen und den vielfältigen Modi nachzugehen, die die Konsumgesellschaften des 20. Jahrhunderts in Ost und West wie in Süd und Nord angenommen haben. Wie zahlreiche Einzelaspekte deutlich machen, hätte diese Perspektive auch für frühere Zeiten stärker betont werden können.

Als Triebkräfte der Modernisierung in der Zeit vor dem ausgehenden 19. Jahrhundert beschreibt Trentmann vor allem zwei miteinander verbundene Prozesse. Wichtiger als die Lohnhöhe oder die Effekte der „Industrious Revolution“ des 17. und 18. Jahrhunderts sei erstens eine Kombination aus imperialistischer Expansion und ökonomischem Liberalismus gewesen: „Auf lange Sicht war der Merkantilismus nicht reif für den Massenkonsum. Es war die Leistung des seit den 1840er Jahren eingeführten Freihandels, dies zu ändern.“ (S. 220) Zunehmend zirkulierten Güter nun in großer Menge und in globalem Rahmen. Wie Trentmann in den weiteren Kapiteln zeigt, gilt dies jedoch vor allem für das britische Empire bzw. nur für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum. Schließlich stand der Aufstieg der Konsumnation während der Jahrzehnte um 1900 in zahlreichen Ländern in einer engen Beziehung zum wachsenden Protektionismus jener Zeit. Und im 20. Jahrhundert wurden auch die öffentlichen Dienstleistungen sowie die wohlfahrtsstaatliche Umverteilung zu zentralen Motoren einer sich weiter ausdifferenzierenden Konsumgesellschaft.

Mindestens ebenso wichtig wie die durch die imperiale Marktwirtschaft ermöglichten Warenflüsse, so argumentiert Trentmann weiter, sei zweitens eine Vielzahl von „kulturellen Faktoren“ (S. 108) gewesen. Dazu zählten die Mode, generell eine verstärkte Orientierung am Neuen und eine zunehmende Bedeutung von Dingen für das Selbstverhältnis der Menschen. In letzterem Zusammenhang relativiert der Autor zugleich die Rolle von Distinktionspraktiken wie dem demonstrativen Konsum. Ebenso kritisiert er die in der älteren Literatur vielfach vertretene Nachahmungsthese, der zufolge Konsumpraktiken der oberen Klassen sukzessive nach unten diffundieren. Im Vergleich zur Rolle der Mittelklassen bleibt die Bedeutung des Konsums der vielen „kleinen Leute“ hierbei allerdings etwas unterbelichtet. Stattdessen verweist Trentmann auf die grundlegende Rolle der modernen Stadt in all diesen Prozessen.

Das Buch basiert auf einem sehr umfassenden Begriff des Konsums. So wird der Handel genauso zum Aspekt des „globalen Siegeszugs der Dinge“ (S. 30) wie der Verbrauch von Elektrizität und die Freizeitgestaltung. Das Gegenstück dieses allgemeinen Konsums ist die Produktion bzw. die Arbeit. Auch wenn Trentmann mehrfach auf die ökonomische Bedeutung der (weiblichen) Hausarbeit hinweist, ist in letzterer Hinsicht vor allem die Welt der Erwerbsarbeit gemeint. Vor diesem Hintergrund werden alle anderen Tätigkeiten und Dinge tendenziell zu Aspekten des Konsums: „Für Männer waren Heim und Garten Rückzugsorte aus der Welt der Industriearbeit. […] Werkzeuge wurden zu Konsumgütern.“ (S. 348) In einem inspirierenden Essay hat David Graeber vor ein paar Jahren auf die Konsequenzen dieser in der Konsumforschung weit verbreiteten Deutung hingewiesen: Der Konsum sei auch deshalb so zentral für heutige Gesellschaften, weil darunter zunehmend all jene Aktivitäten subsumiert würden, die nicht direkt in die kapitalistisch organisierte Produktion involviert sind – vom Essen über die Lektüre eines Buches bis zu den (auch von Trentmann erwähnten) Teenagern, die im Proberaum selbst komponierte Songs einstudieren.3

Abgesehen von solchen Gegenüberstellungen erfährt man eher wenig über die Beziehungen zwischen Produktion bzw. Erwerbsarbeit und Konsum. Ausnahmen sind Einzelthemen wie das Leben in den Fabriksiedlungen oder das Argument, dass die Frage der gerechten Entlohnung der Produzenten ein wichtiger Aspekt der Politisierung der Konsumierenden seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gewesen sei. Eher nebenbei vertritt Trentmann die These, dass es im 20. Jahrhundert zu einer „Verlagerung der gesellschaftlichen Werte von der Arbeit zur Freizeit“ (S. 695) gekommen sei. Zugleich allerdings weist er darauf hin, dass sich die Freizeitgestaltung der Mittelschichten in jüngerer Zeit den Werten der Arbeit angenähert habe. Und so endet das Buch mit einer ökologisch motivierten Kritik an der Übertragung der „Produktivitätsmaßstäbe aus der Arbeitswelt in die Freizeit“. Nötig sei „eine allgemeine Wertschätzung des Vergnügens an einer tieferen und länger bestehenden Beziehung zu weniger Dingen“ (S. 928f.).

Mit Blick auf die Konsumgeschichte des 20. Jahrhunderts tendiert Trentmann dazu, die Bedeutung der Transformationen um und nach 1900 zu unterstreichen, die Auswirkungen von Kriegen und Krisen aber zu relativieren. Stichworte sind etwa die den (Grenz-)Nutzen betonende „marginalistische Wende“ in der Volkswirtschaftslehre des späten 19. Jahrhunderts, die zeitgenössischen Debatten um den Lebensstandard, die bereits erwähnte Nationalisierung des Konsums und nicht zuletzt das damit verbundene Aufkommen der „Konsumenten“ als staatsbürgerliche Subjekte. Solche Prozesse hätten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwar eine deutliche Beschleunigung erfahren; grundlegende Verschiebungen in den „Trente Glorieuses“ oder ein „scharfer Bruch“ (S. 430) um 1968 ließen sich hingegen nicht erkennen. Verändert hätten sich nun vor allem die Selbstbeschreibungen der gesellschaftlichen Eliten: „Was die 1960er und 1970er Jahre von früheren Zeiten unterschied, war eine zunehmende Akzeptanz der Konsumkultur.“ (S. 421)

Nicht nur in dieser Hinsicht lässt sich Frank Trentmanns Geschichte des „Empire of Things“ – wie der Titel des englischen Originals heißt – als State of the Art der Historiografie des Konsums bezeichnen. Wie kaum ein anderes Werk steht das Buch für jenes Programm, mit dem diese Subdisziplin seit den 1970er-Jahren angetreten ist: anstelle der Produktion die Distribution und Nachfrage „zum Leitmotiv der Erzählung“ zu machen.4 Damit verdeutlicht es aber auch die Grenzen dieser Herangehensweise. Wie Trentmann zeigt, kann man das Konsumimperium durchaus bis in die Randbereiche der Unternehmens- und Lohnarbeitswelt ausdehnen. Es stellt sich allerdings die von Graeber angesprochene sozialtheoretische Frage, was damit für die Beschreibung vergangener wie heutiger Gesellschaften gewonnen ist. Aus dieser Perspektive führt das Buch einmal mehr die Notwendigkeit vor Augen, die Historiografien des Konsums und der Arbeit wieder stärker miteinander ins Gespräch zu bringen.5

Anmerkungen:
1https://www.randomhouse.de/content/download/speziell/Trentmann_Bibliographie.pdf (29.11.2017).
2 Problematischerweise wurde „last vestiges“ in der deutschsprachigen Version zudem mit „letzte Zuckungen“ übersetzt.
3 David Graeber, Consumption, in: Current Anthropology 52 (2011), S. 489–511.
4 Manuel Schramm, Konsumgeschichte, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.10.2012, URL: http://docupedia.de/zg/Konsumgeschichte (29.11.2017).
5 Vgl. etwa die Hinweise von Thomas Welskopp, Konsum, in: Christof Dejung / Monika Dommann / Daniel Speich Chassé (Hrsg.), Auf der Suche nach der Ökonomie. Historische Annäherungen, Tübingen 2014, S. 125–152.

Anm. der Red.: Siehe zu diesem Buch auch die Parallel-Rezension von Mark Häberlein aus der Perspektive der Frühneuzeit-Forschung: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-27133 (21.12.2017).