Die Rolle von Frauen im „ukrainischen nationalistischen Untergrund“ wurde bis heute nur unsystematisch untersucht, obwohl sie in der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) wie in jeder anderen durch Männer und Männlichkeit dominierten Bewegung eine wichtige Rolle spielten. Neben Jeffrey Burds haben sich bis heute nur Oksana Kis‘, Marta Havryško und Yoshi Mitsuyoshi explizit mit dem Thema beschäftigt und dazu veröffentlicht. Olena Petrenko hat den Gegenstand nun tiefgehend untersucht und ihn umfassend beleuchtet. Dadurch hat sie die Diskurse über die Rolle von Frauen in OUN und UPA maßgeblich vorangebracht und zum Wissen über diese Bewegung viel Neues beigetragen. Gleichzeitig beinhaltet Petrenkos Buch leider viele problematische und politische Behauptungen, die die Holocaust- und Faschismusforschung längst widerlegt hat und die für die Opfer der Massengewalt der OUN und UPA grundsätzlich beleidigend sind.
Petrenko geht der Geschichte der Frauen in der OUN und UPA in neun Kapiteln nach. Sie untersucht sowohl die praktische als auch die symbolische Rolle von Frauen in der Bewegung und zeigt, welche Aufgaben Frauen in der OUN und UPA übernahmen und wie sie in internen und externen Diskursen verstanden und dargestellt wurden. Neben Dokumenten aus ukrainischen, russischen und kanadischen Archiven analysiert sie Memoirenliteratur und zieht selbst durchgeführte Interviews sowie sowjetische und post-sowjetische Filme und Romane heran. Obwohl im Untertitel der Zeitrahmen mit 1944 bis 1954 angegeben ist, beginnt Petrenko die Analyse in den frühen 1920er-Jahren, was konzeptionell sinnvoll ist.
Petrenko zeigt, dass Nationalistinnen in der 1920 in Prag gegründeten Ukrainischen Militärischen Organisation, aus der 1929 die OUN hervorging, eine durchaus wichtige Rolle spielten. Ihre Aktivitäten waren sogar von zentraler Bedeutung für das Funktionieren der Bewegung. Ol’ha Besarab, die die Kommunikation zwischen dem Kern der Organisation in Polen und der Führung im Ausland übernahm, stieg nach ihrer Ermordung zu einer der wichtigen Nationalheldinnen auf. Grundsätzlich wurde jedoch den Frauen die Rolle zugeschrieben, neue Kämpfer und Helden zu gebären, sie in der nationalen Tradition zu erziehen und die Familie zu versorgen. Da sich Frauen relativ unbeachtet in der Öffentlichkeit bewegen konnten, wurden sie durch die OUN aber auch gerne bei der Durchführung von Terrorakten eingesetzt, nach denen in der Regel Gerichtsprozesse gegen die Organisation stattfanden (S. 102). Bei den Massenprozessen gegen die OUN 1935–1936 in Warschau und Lemberg verbreiteten Frauen ebenso wie Männer die Sichtweisen der Bewegung in der Öffentlichkeit. Nationalistische Frauen organisierten sich aber auch in anderen Organisationen und Parteien wie dem Bund der Ukrainerinnen, der in den 1930er-Jahren 45.000 Mitgliederinnen zählte, zwei Abgeordnete im polnischen Sejm hatte und dank der OUN Beziehungen zu Mussolini unterhielt (S. 85–89).
Frauen waren ebenso für das Funktionieren der Anfang 1943 durch die OUN aufgestellten und bis Anfang der 1950er-Jahre wirkenden UPA unentbehrlich. Viele arbeiteten dort als Krankenschwestern, „Propagandistinnen“, Kurierinnen oder Lebensmittellieferantinnen. Sie bekochten die Partisanen, wuschen für sie und kümmerten sich um ihre Kinder. Sie wurden nach der Verhaftung durch den NKVD gefoltert, erschossen oder jahrelang eingesperrt. Nicht selten wechselten sie die Seite und halfen den sowjetischen Streitkräften, die UPA zu bekämpfen oder spionierten für die UPA die lokalen Strukturen des NKVD aus. Wegen des Verdachts des „Verrats“ wurden einige Nationalistinnen von aufständischen Einheiten exekutiert. Seit 1944 deportierte der NKVD mehrere Tausend Frauen mit ihren Kindern aus der Westukraine in das Innere der Sowjetunion, weil sie mit UPA-Männern verheiratet waren. Frauen wurden in der Ukraine aber auch aus dem Osten in den Westen umgesiedelt. Einige Hundert Lehrerinnen kamen in die Westukraine aus Charkiw und anderen ostukrainischen Städten, um dort das sowjetische Weltbild zu verbreiten, weshalb ein Teil von ihnen durch die UPA ermordet wurde. Frauen wurden auch durch die Propaganda eingenommen, um das gute Nationalistische gegen das schlechte Sowjetische oder umgekehrt auszuspielen. Sie waren für das Funktionieren und das Selbstverständnis der Bewegung schlichtweg unentbehrlich, selbst wenn sie von den Männern marginalisiert und keineswegs als gleichberechtigte Kämpferinnen betrachtet wurden.
Alle diese wichtigen Aspekte der Geschichte der OUN und UPA werden in der Monographie klar, deutlich und sauber erklärt und dargestellt. Das Unbehagen, das bei der Lektüre entsteht, liegt woanders: Die Autorin ist mit der Geschichte des Holocaust und des Faschismus nicht ausreichend vertraut, obwohl beide für das Verständnis des Themas von zentraler Bedeutung sind. Das ist bereits im Untertitel erkennbar. Petrenko gibt den Zeitrahmen 1944 bis 1954 an, um der Problematik des Judenmordes auszuweichen, obwohl sie ihre Analyse in den frühen 1920er-Jahren beginnen lässt, was anders auch kaum machbar gewesen wäre. Beim Lesen entsteht immer wieder der Eindruck, dass Petrenko den Holocaust weitestgehend auslässt. Ebenso wird die Geschichte der Faschisierung der Bewegung nicht behandelt. Die Marginalisierung des Judenmordes, anderer Formen nationalistischer Gewalt sowie der Erfindung des ukrainischen Faschismus durch die OUN zieht sich durch das gesamte Buch und wird unter anderem dann deutlich, wenn Petrenko auf die Gerichtsprozesse gegen die OUN in Warschau und Lemberg eingeht aber das demonstrative Vorführen faschistischer Grüße durch die Angeklagten im Gerichtssaal verschweigt (z.B. S. 64, 133–134) oder wenn sie sich immer wieder auf jüdische Ärzte in der UPA bezieht aber die Leser nicht informiert, wie sie dort hingerieten und was mit ihnen geschah (S. 117).
Weil der Holocaust ausgelassen bzw. marginalisiert wird, wird der Leser nicht informiert, wie sich die Nationalistinnen während des Judenmordes verhielten, obwohl das Schicksal derselben Nationalistinnen von den frühen 1920er-Jahren bis 1939 und dann ab 1944 bis in die späten 1950er-Jahre ausführlich behandelt wird. Des Weiteren äußert sich Petrenko pejorativ über Historiker, die die Schoah untersuchen: John-Paul Himka, der vor acht Jahren grundlegende Forschungsarbeiten zum Lemberger Pogrom vorgelegt hat, wird von der Autorin als „Politiker“ bezeichnet (S. 68). Himkas Publikationen werden ebenso wie jene Omer Bartovs oder die des Rezensenten in der Bibliographie zwar angegeben, aber im Buch nicht rezipiert. Stattdessen verlässt sich Petrenko an mehreren Stellen auf Arbeiten von Historiker/innen, die die Geschichte der Bewegung national und selektiv studieren, Aspekte des Judenmordes leugnen und das Verhalten der OUN und UPA im Holocaust entsprechend bewerten und darstellen.
Stepan Bandera und seine Anhänger werden im Buch mehrmals erwähnt, der Leser wird aber nirgendwo informiert, wer er war; an einigen Stellen werden über ihn falsche Informationen angegeben und an anderen wird seine Verantwortung für Massenmorde verschwiegen (z.B. S. 130–131). In Bezug auf Bandera wie auch auf andere mit ihm zusammenhängende Themen beruft sich Petrenko auf nationalistische Arbeiten und ignoriert wissenschaftliche Publikationen. Der Führer der OUN funktioniert im Buch weitestgehend als ein Symbol ohne Geschichte. Das apologetische Narrativ taucht im Buch anscheinend immer dort auf, wo es um die Massengewalt, Faschisierung und den Holocaust geht. Selbst wenn Petrenko Oksana Zabuzhkos antisemitischen Roman „Das Museum der vergessenen Geheimnisse“ überwiegend kritisch bespricht, gibt sie ihr folgend an, dass UPA-Soldaten einen Deportationszug mit Juden befreit hätten. Die UPA führte eine solche Aktion jedoch nie durch. Das müsste jedem, der die Geschichte der Bewegung kritisch studierte, klar sein. Dafür entstand die UPA ein Jahr zu spät und wirkte überdies zuerst in Wolhynien, wo keine Deportationen stattfanden. Nicht ohne Bedeutung ist auch, dass einige Hundert ihrer Mitglieder die Besatzer 1942 bei den Deportationen nach Bełżec und Massenerschießungen als ukrainische Polizisten unterstützten, bevor sie sich der UPA anschlossen (S. 268).
Die Lektüre dieser Publikation hinterlässt somit sehr gemischte Gefühle. Auf der einen Seite präsentiert Petrenko die erste Monographie über Frauen in der OUN und UPA, in der sie deutlich macht, wie wichtig die Gender- und Frauengeschichte für das gesamte Thema ist. Auf der anderen Seite ist das Narrativ in Bezug auf die Massengewalt, das Verhalten der OUN und UPA im Judenmord und die Faschisierung der Bewegung durchgehend politisch, problematisch und für die Opfer der Gewalt ukrainischer Nationalisten beleidigend. Leider ist diese Herangehensweise an den Judenmord in der Westukraine und die Geschichte der OUN und UPA sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland verbreitet. Die Grundlagen dafür wurden in der Ukraine in den 1940er- und 1950er-Jahren und in Deutschland in den späten 1980er- und 1990er-Jahren gesetzt.