Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft, Nationalität und Einwanderung, das Verhältnis von Staatsbürgern und Fremden, sind in Deutschland und in anderen europäischen Staaten wichtige Stichworte einer aktuellen Debatte, die um die innere Verfassung des Staates, um Partizipation und Integration von Ausländern in die jeweilige Nationalgesellschaft kreist. Auch die Geschichtswissenschaft reagiert auf die gesellschaftliche Nachfrage. Andreas Fahrmeirs sorgfältige und behutsam argumentierende Studie thematisiert historische Voraussetzungen aktueller politischer Kontroversen. Das in dieser Hinsicht für die deutsche Seite wichtigste Resultat sei gleich vorweggenommen: Der Streit um die Prinzipien von ius sanguinis versus ius soli, um territoriale und ethnische Zugehörigkeitskriterien, ist vergleichsweise jung und beschreibt gerade nicht die Ausgangslage für die deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts, sondern war ein Produkt der Reichsgründung, die den Siegeszug eines auf Abstammung beruhenden Rechts sowohl in der gesetzgeberischen Praxis als auch in der politischen Mentalität erst möglich machte.
Für das 19. und 20. Jahrhundert ordnet die Geschichtswissenschaft Fragen von Staatsbürgerschaft und Ausländerstatus einerseits dem Kontext einer europäischen Migrationsgeschichte zu, in der die - freiwilligen und erzwungenen - Wanderungsbewegungen vor allem der Arbeitsbevölkerung von Ost nach West, von Süd nach Nord im Mittelpunkt stehen. Dabei geht es meist um zeitlich begrenzte oder unbegrenzte rechtliche und politisch-soziale Diskriminierung, um gelungene oder gescheiterte Integration in der Generationenfolge. Andererseits spielen Rechtsfragen von Ausländeraufenthalt und Einbürgerung, Ausweisung und Auslieferung ihre Rolle in der Geschichte der Nationsbildung als Geschichte des Zusammenhangs vor allem von politischer und kultureller Identität.1 Fahrmeirs vergleichender Blick auf Großbritannien und die deutschen Staaten im Jahrhundert vor der Reichsgründung kann jedoch zeigen, wie sehr der Kontext des "nation-building" für eine Geschichte des Verhältnisses von Staatsbürgern und Ausländern eine spezifisch deutsche Perspektive darstellt, die noch dazu erst im Rückblick auf das 19. Jahrhundert konstruiert worden ist. Die Entwicklung vor 1871 wurde so auf eine "Vorgeschichte" des Kaiserreiches reduziert. Der internationale Vergleich, das ist mittlerweile beinahe ein Gemeinplatz, stellt einmal mehr diese nationalen Konstruktionen von Modernisierungswegen in Frage. Der Vergleich der deutschen Staaten mit Großbritannien erweist sich dabei - im Gegensatz zum Vergleich mit Frankreich - zunächst als Vergleich sehr unterschiedlicher Entwicklungen. Hier die liberale, politisch stabile und selbstbewußte Nation, die sich von den "polizeistaatlichen" Methoden auf dem Kontinent abgestossen fühlte, dort die bis auf Preußen und Österreich höchstens mittelgroßen deutschen Staatengebilde mit territorialen Zugewinnen jüngeren Datums, offenen Grenzen und ungefestigter Identität.
Fahrmeir konzentriert sich auf vier Themenkreise - Definitionen von Staatsbürgerschaft, Einbürgerung, Entwicklung von Pässen als Instrumente zur Identitätskontrolle und das jeweilige Recht für Ausländer. Für Deutschland werden die hessischen Staaten (Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Frankfurt, Hessen-Nassau, Hessen-Homburg) in den Mittelpunkt gestellt, stets aber durch Informationen über Preußen, Bayern und Württemberg ergänzt. Die nähere Betrachtung von Einzelproblemen rückt dabei den Eindruck fundamentaler Verschiedenheit zwischen Großbritannien und Deutschland zugunsten von überraschenden Ähnlichkeiten in den Hintergrund. Die politischen Motive, die für rechtliche Neuregelungen im Ausländerrecht oder in bezug auf Einbürgerungen wichtig waren, lassen sich gerade nicht säuberlich nach "nationalen" Staaten scheiden. Viele Gesetze und Verordnungen sind nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Armengesetzgebung zu verstehen, mit der Gemeinden, aber auch Staaten versuchten, die eigene Verantwortung für die nichtseßhafte Armenbevölkerung zu begrenzen. Bestimmungen zu Aufenthalt und Ausweisung von Nichtstaatsbürgern reagierten eher auf die Bedingungen internationaler zwischenstaatlicher Beziehungen und machten Prinzipien von Gegenseitigkeit zumindest für west- und mitteleuropäische Staaten vermehrt zum Maßstab.
Staatsbürgerschaft als Kombination von politischen und sozialen Rechten ließ sich in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur auf die Einzelstaaten bezogen denken. Aus bayerischer Perspektive war ein Dresdener damit eindeutig "Ausländer", und vieles weist darauf hin, dass es sich nicht bloß um die Wahrnehmung der Staatsbürokratie handelte. Demgegenüber einte die Einwohner Großbritanniens ihre Identität als "British subjects", die, unabhängig von der Zugehörigkeit zu verschiedenen Nationen und jenseits der Sprachgrenzen, im "Vereinigten Königreich" zusammengehörten. In Großbritannien und den deutschen Staaten existierten daneben wichtige Gemeinsamkeiten. Während in Großbritannien die Feststellung des Geburtsortes für die Staatsangehörigkeit ausreichte, machten die deutschen Staaten den Wohnort bzw. die Aufenthaltsdauer zum entscheidenen Kriterium. Abstammung aber spielte also in beiden Ländern (noch) keine Rolle. Für die Themen Einwanderung und Einbürgerung ergibt sich ein ambivalenter Befund. Großbritannien beendete 1836 Einwanderungskontrollen in seinen Häfen. In den letzten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts bestand damit in Großbritannien eine Freizügigkeit, die sich mit dem "klassischen" Einwanderungsland USA vergleichen läßt. Von solcher Liberalität konnte in den deutschen Staaten keine Rede sein. Der Vergleich der Einbürgerungsfolgen erweckt allerdings den gegenteiligen Eindruck. In den deutschen Staaten machte die Einbürgerung zum Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten, während die Prozedur in Großbritannien nur den Großteil der Restriktionen für Ausländer aufhob, vor allem den Erwerb von Land ermöglichte.
Pässe benötigten britische Staatsbürger ausschließlich für Auslandsreisen. Die zunächst hohen Kosten für die Ausstellung von Pässen in Großbritannien wurden umgangen, indem sich die Reisenden an andere Regierungen bzw. an die eigenen Auslandskonsulate wandten. In den deutschen Staaten dienten Pässe und Passkontrollen vor allem der Kontrolle von Vaganten, Hausierern und Schaustellern sowie der Suche nach Banditen. Großbritannien kannte keine Deportationsrichtlinien für Ausländer und installierte damit faktisch ein Asylrecht, das im Gefolge der Revolution von 1848/49 zahlreiche politische Emigranten nach London führte. Die deutschen Staaten deportierten dagegen mittellose Ausländer, d.h. vor allem Angehörige anderer deutscher Staaten, in großer Zahl. In Großbritannien galt das Recht auf Armenhilfe grundsätzlich auch für ansässige Ausländer, allerdings nicht für die nach Schottland und England immigrierenden Iren, die doch zweifellos britische Staatsbürger waren. In den deutschen Staaten blieb Armenhilfe von vornherein auf eigenen Staatsbürger beschränkt. Von der Durchsetzung grundsätzlicher liberaler oder illiberaler Prinzipien kann damit kaum die Rede sein. Vielmehr reagierten die Staaten auf die konkreten Probleme mit unerwünschter Mobilität jeweils pragmatisch im Sinne der Begrenzung finanzieller Lasten.
Fahrmeirs Untersuchung konzentriert sich im wesentlichen auf die Rechtsfragen, also zunächst auf die geltenden Normen und die Geschichte ihrer Entstehung. Er bemüht sich auch, die jeweilige Rechtspraxis zu berücksichtigen. Trotzdem bleibt die soziale Bedeutung von Rechtspolitik und Rechtspraxis an manchen Stellen blass. Zu den rechtlichen Folgen der Ehe gehörte im späteren 19. Jahrhundert auch, dass die Ehefrau ihre Staatsangehörigkeit bei der Eheschließung verlor. Im Fall eines Ehekonflikts oder gar der Ehescheidung konnten die Folgen dramatisch sein. Sozial- und mentalitätsgeschichtliche Bezüge werden zwar hergestellt, aber nicht ausführlich thematisiert. Die Sichtweisen der "Betroffenen", die Motive der Antragsteller und ihrer Familien für ein Einbürgerungsgesuch und die Reaktion der britischen oder deutschen Bevölkerung auf die "Fremden" finden - wahrscheinlich nicht zuletzt wegen der schwierigen Quellenlage - wenig Berücksichtigung. So weist Fahrmeir darauf hin, dass sich britische und deutsche Ausländer- und Einbürgerungsgesetzgebung aus unterschiedlichen Bildern der "Fremden" speisten. Während man in Großbritannien den wohlhabenden Kaufmann vor Augen hatte, der die einheimische Wirtschaft bereicherte, sahen die deutschen Staaten in Ausländern vorrangig Landstreicher, Bettler und Kriminelle.
Die unterschiedlichen Umgangsweisen mit Ausländern näherten sich im übrigen zu Beginn des 20. Jahrhunderts einander an. Der Aliens Act von 1905 beendete zumindest im Prinzip beinahe ein Jahrhundert unreglementierter Einwanderung in Großbritannien. Im Kaiserreich befand sich das Abstammungsrecht als Grundlage für die Staatsangehörigkeit auf dem Vormarsch. Es sollte eine nationale, deutsche Identität konstruieren und damit festigen, was bis dahin allenfalls lose zusammengehört hatte. Wer sich als HistorikerIn für die aktuellen Debatten um Staatsangehörigkeit und Einwanderung interessiert und die Beschäftigung mit den gelegentlich spröden Materien des Rechts nicht scheut, sollte Fahrmeirs Buch lesen.