Geht man vom Klappentext aus, handelt es sich bei der hier zu besprechenden Veröffentlichung um eine allgemeine Einführung in die Friedens- und Konfliktforschung. Tatsächlich handelt es sich aber um einen Überblick zu Theorien und Konzepten der Internationalen Beziehungen (IB), die sich mit Themen der Friedens- und Konfliktforschung (FKF) überschneiden (S. 12). Ebenso wenig wie dieser spezifische Zugriff ist von außen der Studienbuchcharakter zu erkennen, denn der Band wendet sich mit Lernziel-Definitionen, Marginalien, Aufgaben zur Selbstkontrolle und besonderen Literaturempfehlungen vor allem an Studierende. Nun steht es der Rezensentin nicht zu, die Veröffentlichung im Kontext der Internationalen Beziehungen zu besprechen – aber gleichwohl im „multi-, inter- und transdisziplinären Forschungsfeld“ der Friedens- und Konfliktforschung, zu dem auch die Geschichtswissenschaft beiträgt und deshalb wiederum eine politikwissenschaftliche Handreichung gut gebrauchen kann. Diese Erkenntnis beruht jedoch nicht auf Gegenseitigkeit, denn wenn der Herausgeber Tobias Ide das Forschungsfeld umreißt, fehlt die Geschichtswissenschaft als Impulsgeberin (neben der angeführten Soziologie, Geographie, Psychologie, Anthropologie oder Pädagogik).
Wie sehr ein historisches Verständnis hilfreich sein könnte, zeigt sich schon in der Einleitung bei der Historisierung der Konflikttheorie, die bei Ide nicht hinter Lewis Coser (1964) zurückreicht und gesellschaftstheoretische Fundamente wie die von Georg Simmel schlichtweg ignoriert (S. 9). Fraglich ist auch, ob die IB gut daran tun, die gegenwärtige, allgemeine Gewaltforschung auszublenden und nur diejenigen AutorInnen zu rezipieren, die explizit zu den IB und/oder zur FKF arbeiten (S. 10).
Zum Verständnis der IB-orientierten Friedens- und Konfliktforschung ist zunächst das weitere Forschungsumfeld wichtig, das Ide in kurzen Strichen umreißt. Zum einen wird der Basiskonflikt in der FKF deutlich, der um die Frage kreist, in welchem Maß zwischen physischer und indirekter (besser bekannt als struktureller) Gewalt abgewogen werden muss. Zum anderen verdichtet Ide, welche Grenzen die quantitative und statistische Arbeit in den IB hat, wenn sie nunmehr zu dem Schluss kommen muss, dass weltweit zwar eine sinkende Zahl an „Kriegen“, aber dafür eine stetig steigende Zahl an „Kampftoten“ zu verzeichnen sei (S. 15). Schließlich werden auch weitere Themen und Fragen umrissen, worauf der Inhalt folgt: drei Abschnitte mit je drei Beiträgen, die sich von der theoretischen Makro- über die ursachenorientierte Meso- bis zur gewalthaften Mikroebene von internationalen Konflikten bewegen und zentrale Konzepte und Begriffe der IB für die FKF diskutieren wollen. Theoretische Aspekte betreffen dementsprechend das Konzept der Versicherheitlichung (securatization) und der Hegemonie (im Unterschied zum Imperium) sowie die „Revolution in Militärischen Angelegenheiten“ (RMA). Darauf folgen Beiträge zu den vor allem zwischenstaatlichen Diskussionsfeldern des „liberal peacebuilding“, von Machtübergängen und des Klimawandels. Schließlich tritt im letzten Abschnitt mit den gewaltsamen Konflikten der Terrorismus, private Sicherheitsfirmen und R2P (Schutzverantwortung / Responsibility to Protect) hinzu.
Für HistorikerInnen gibt es bei aller geäußerten Kritik einige Aspekte des Bandes, die für eigene Arbeiten sehr interessant sind, sei es in der internationalen Geschichte, zur Geschichte von Risiken und Waffentechnik oder zu Gewaltkonflikten. Detlef Rothes Beitrag zur „Versicherheitlichung“ beruht auf der These, dass „gesellschaftliche Probleme durch politische Diskurse ‚versicherheitlicht‘ werden“ (S. 35), womit die analytische Frage verbunden ist, wie Themen zu „Sicherheitsproblemen“ werden. In den Ausführungen zur Sprechakttheorie wird das Analysetool zwar sehr kleinteilig und funktional vorgestellt, aber die unterschiedlichen Anwendungsbereiche genauso wie das Fallbeispiel Klimawandel bieten Informationen und Anregungen für historische Fragestellungen. Im Beitrag von Ulrike Esther Franke zur „Revolution in Militärischen Angelegenheiten“ macht es die Struktur nicht leicht zu erkennen, ob militärtechnische „Revolutionen“ diskutiert werden sollen, oder das Für und Wider eines Konzepts RMA. Schließlich wird deutlich, dass die RMA einerseits eine im Kalten Krieg geprägte politische Selbstbeschreibungskategorie westlicher, vor allem US-amerikanischer Militärpolitik darstellt, und dass sie zum anderen einen wenn auch recht statischen Zugriff auf die Geschichte von Rüstung und Militär bietet. Wohl auch deshalb ist mitunter schwer zu erkennen, aus wessen Position die Autorin schreibt, denn wenn etwa davon die Rede ist, dass es seit den 1990er-Jahren bei der „amerikanischen RMA um die Entwicklung und den Einsatz neuer militärischer Fähigkeiten wie der GPS-Ortung und die von ihr abhängigen Präzisionsmunition [usw.]“ geht (S. 74) oder dass „die RMA in Deutschland nie wirklich Fuß“ fasste (S. 81), verschwimmen die Grenzen zwischen IB-Perspektive und militärischer Einschätzung.
In diesem Beitrag wie in dem nachfolgenden von Iris Wurm über „Hegemonie“ bleibt jedoch die größte Unsicherheit die Verbindung zur Friedens- und Konfliktforschung. Bei Franke findet sich kein Hinweis, bei Wurm erst am Ende, wenn sie Forschungslücken benennt, zu der auch die Frage gehört, wie „ein hegemonialer Krieg verhindert“ und „friedliche Machtübergänge“ sich bedingen (S. 120). Zugleich irritiert dann doch (bei aller transdisziplinären Inkaufnahme disziplinärer Unterschiede) die unhinterfragte Bezugnahme auf historische Akteure, die den IB-Konzepten ihren Stempel aufdrückten. Nicht ohne Grund dürften Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder Paul Wolfowitz in den USA zu den größten Fürsprechern einer auf RMA ausgerichteten Militärpolitik gehört haben (S. 82). Und das in den IB bis heute stark rezipierte Hegemonie-Konzept nach Heinrich Triepel dürfte zumindest andeutungsweise auch referieren, dass der anerkannte und streitbare Völkerrechtler Triepel sein Werk 1938 in einer außerordentlichen internationalen und nationalen Konstellation und Anspannung veröffentlichte (S. 98–99).
Von den Beiträgen im zweiten Abschnitt überzeugen aus geschichtswissenschaftlicher Sicht vor allem die Ausführungen von Anna Geis und Wolfgang Wagner zum „Demokratischen Frieden, Demokratischen Krieg und ‚liberalen peacebuilding‘“. Sie zeigen, dass eine genuine Debatte der IB über den „Zusammenhang von Herrschaftsform und Außenverhalten“ (S. 133) sowohl Definitionen und Modelle vorstellen kann, als auch abwägende historisierende Einordnungen. Geis und Wagner diskutieren sehr nachvollziehbar und pointiert, wie die statischen IB-Thesen, dass Demokratien keine Kriege gegeneinander führten bzw. dass Demokratien friedlicher seien als andere Herrschaftsformen, in variationsreiche Analysen von Demokratien und ihren handelnden Institutionen sowie eingeschriebenen Normen transformiert werden müssen. Es folgen in diesem Abschnitt zu den „potentiellen Ursachen gewaltsamer Konflikte“ Beiträge zu Machtübergangstheorien von Carsten Rauch (und die offene Frage, warum diese nicht enger an das Konzept der „Hegemonie“ gebunden wurden) sowie die Diskussion um den Klimawandel von Tobias Ide, der zahlreiche wichtige Informationen zum Stand der Klimaforschung präsentiert. Inwiefern die messbaren Veränderungen klimatischer Lebensbedingungen auch auf Ausbruch und Verlauf von Gewaltkonflikten einwirken, ist nicht endgültig zu beantworten, bietet aber Inspiration für neue historische Fragen an den Zusammenhang von naturbezogenen Lebensbedingungen und der Gewalthaftigkeit von Gesellschaften. Gleiches gilt für die Beiträge zum Terrorismus von Hendrik Hegemann, der u.a. die Kontroverse zwischen traditioneller Terrorismusforschung und den Critical Terrorism Studies ausführt, und zu privaten Sicherheits- und Militärfirmen von Andrea Schneiker, die jedoch aktuelle Literatur zur jüngeren Zeitgeschichte des Söldnertums nicht zur Kenntnis nimmt.1 Schließlich bietet Jan Niklas Rolfs Beitrag über Humanitäre Interventionen und R2P zwar auch „nur“ die Perspektive der IB2, aber damit eine interessante politische Positionierung in der Debatte.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es nicht ganz fair ist, ein Studienbuch aus den Internationalen Beziehungen aus Sicht der Geschichtswissenschaft zu rezensieren. Da dieser Band jedoch uneingeschränkt darauf verweist, „Friedens- und Konfliktforschung“ zu bieten, muss er sich einige transdisziplinär relevante Fragen gefallen lassen. Die Geschichtswissenschaft tut wiederum gut daran, Theorien und Konzepte ihrer angrenzenden Disziplinen zu kennen, um sie nicht nur zu historisieren, sondern auch darüber ins Gespräch zu kommen.
Anmerkungen:
1 Werner Bührer: Rezension zu: Voß, Klaas: Washingtons Söldner. Verdeckte US-Interventionen im Kalten Krieg. Hamburg 2014 , in: H-Soz-Kult, 25.11.2016, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-22169 (03.08.2017).
2 Fabian Klose, The Emergence of Humanitarian Intervention. Ideas and Practice from the Nineteenth Century to the Present, Cambridge 2015.