Aus vielerlei Gründen faszinieren Haustiere den Menschen – sei es wegen ihres verbliebenen Rests an Wildheit, sei es durch ihre besondere Nähe zu ihren Haltern. Im engeren Sinne sind Haustiere ein Phänomen der Moderne: Im 19. Jahrhundert fanden sie massenhafte Verbreitung in allen sozialen Schichten. Während beispielsweise zu Großbritannien zahlreiche Arbeiten der Human-Animal-Studies (HAS) vorliegen, ist das Feld im deutschen Fall bisher nur unzureichend bestellt. Amir Zelinger widmet sich in seiner Münchener Dissertation der Beziehungsgeschichte von Mensch und Tier im deutschen Kaiserreich, das er als jene Epoche identifiziert, die der Tierhaltung ohne Erwerbsabsicht und materiellen Nutzen in Deutschland zum Durchbruch verhalf.
Hierfür hat Zelinger neben behördlichem Schriftgut zahlreiche zeitgenössische Zeitschriften von Kaninchen-, Geflügel- und Hundezüchtern beziehungsweise -haltern gesichtet. Dass dabei die „Diversität der Quellen [...] auch eine Diversität der Themen erfordert“ (S. 26), mag jene irritieren, die darin eine Abkehr von Abstraktions- und Strukturprinzipien geschichtswissenschaftlicher Narrationen erblicken. Es geht dem Autor aber darum, seine Quellen gegen den Strich zu lesen und auf Aussagen zu partnerschaftlichen Beziehungen zu sondieren – ohne dabei zu vergessen, dass es sich kaum um Beziehungen auf Augenhöhe handelte. Im Sinne Bruno Latours möchte er dabei „das Soziale flach halten“ (S. 12), also nicht fragen, in welcher sozialen Schicht welche Form der Haustierhaltung dominierte.
Um es vorweg zu sagen: In diesem wie in anderen methodischen Fragen nimmt er es mit dem theoretischen Wortgeklingel Latours und anderer „posthumanistischer“ Ansätze nicht übergenau. Das jedoch erweist sich als großer Vorteil der Studie, denn sie löst einerseits tatsächlich den Anspruch ein, Mensch-Tier-Beziehungen zu analysieren. Andererseits ist sie dadurch aber auch jederzeit anschlussfähig an sozial- und kulturhistorische Forschungen. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die einzelnen Kapitel sehr wohl unterschiedliche gesellschaftliche Schichten in den Fokus nehmen: Bei der Kleinnutztierhaltung (Kapitel 1) sind es die in den Städten lebenden Arbeiter, bei der Bekämpfung der Tollwut (Kapitel 2) und den Wildhaustieren (Kapitel 3) sind es das Bürgertum beziehungsweise dessen Ordnungsvorstellungen und bei der Rassehundezucht (Kapitel 4) ist es der Adel, der traditionsbildend wirken wollte. Auch wenn der Autor die Klassengesellschaft also nicht zum Analyseobjekt macht, so lassen sich doch zahlreiche seiner Befunde hierfür nutzen.
Dazu zählt der erhebliche Einfluss insbesondere der Urbanisierung auf die Haustierhaltung. Viele der auf dem Land zuvor gehaltenen Nutztiere wurden in den Haushalten der neuen städtischen Arbeiterschicht zu Haustieren, auch wenn die Definition des mangelnden Erwerbsinteresses relativiert werden muss. Die Ziegen und Kaninchen in den Selbstversorgerhaushalten der Zechenkolonien spielten dann doch eine andere Rolle als der kuschelige Hund auf dem Sofa eines bürgerlichen Haushalts. Trotzdem kann von einer zunehmenden Integration der Kleinnutztiere in die menschliche Sphäre gesprochen werden – mit entsprechend intensivierten Mensch-Tier-Beziehungen, die Zelinger als „Nutzfreundschaft“ (S. 66) bezeichnet. Diese annähernd kleinbäuerliche Lebensform geriet Ende des 19. Jahrhunderts durch die zunehmende großformatige Ökonomisierung der Tierzucht unter Druck. Diesem Trend begegneten die Züchter mit einer Vielzahl von Vereinsgründungen, die Standards setzten, professionelle Strukturen einführten und damit die Entprivatisierung der Züchtung vorantrieben.
Im zweiten Kapitel widmet sich die Arbeit der Tollwutbekämpfung. Dieses an sich schon ältere Phänomen gewann im Zuge der Urbanisierung ebenfalls an Dynamik. Während man in der Frühen Neuzeit die erkrankten Tiere lediglich tötete, gewann im 19. Jahrhundert die Ursachenbekämpfung durch bessere Pflege und Haltung der Hunde an Bedeutung. Durch die intensivierten Überwachungsmaßnahmen der Behörden und die dem Halter zuwachsende größere Verantwortung vertieften sich die Beziehungen zu den Tieren. Zeitlich und räumlich greift Zelinger hier weiter aus, denn das Phänomen war nicht auf das Kaiserreich beschränkt – viele Quellenbeispiele aus anderen europäischen Ländern und aus der Zeit vor 1871 legen dies nahe. Auch Kontrollmaßnahmen wie die Hundesteuer werteten die Tiere auf beziehungsweise machten sie zu Wertobjekten, denen größere Aufmerksamkeit zuteilwurde.
Im dritten Kapitel betrachtet Zelinger die Haltung von Wildhaustieren. Bei der Frage nach der tierischen Agency wählt er gegenüber strikt posthumanistischen Ansätzen eine gemäßigte Position. Tierische Agency sei bei diesem Thema nicht zu stark zu gewichten; bei der Suche danach müsse man bei der menschlichen Handlungsmacht beginnen. Bürgerliche Hobby-Zoologen, Kinder und Jugendliche machten sich auf, um massenhaft Wildtiere zu fangen. Daheim richteten sie Aquarien, Terrarien und Käfige ein – in diesen Wildheitsnischen fanden dann Domestizierungsversuche statt. Es handelte sich um ein durchaus widersprüchliches Verhalten: Während das Wildtier einerseits in gewissem Rahmen gezähmt wurde, sollte es dennoch auch einen Teil seiner Wildheit beibehalten. Während sich ein Vogelfreund darüber freute, dass sein Tier „Die Wacht am Rhein“ intonierte (S. 222), versuchten andere, aggressives Verhalten anzustacheln. Nicht alle Halter kamen schließlich zu der Erkenntnis, dass Wildtiere auch einen Eigenwert besaßen und eben nicht als Haustiere gehalten werden sollten (S. 241).
Das letzte Kapitel ist den Hundezüchtern vor allem aus dem Adel und dem Militär sowie ihren Rassevorstellungen gewidmet, die sie zumindest theoretisch in ein enges Diskursverhältnis mit menschlichen Eugenikern brachte. Das Ziel bestand in nichts Geringerem als in der Verbesserung des reichsweiten Hundebestandes. Damit einher ging eine klare Trennung: Im Gegensatz zu namen- und herrenlosen „Fixkötern“ wurden Rassehunde zu Partnertieren aufgewertet, was ihre Integration in die menschliche Gesellschaft erleichterte. Als züchterisches Leitbild galt ein vermeintlicher Ursprungszustand, den die Protagonisten des Züchtungsrassismus im Mittelalter verorteten. Ihn galt es zu restaurieren, wobei diese einst rückwärtsgewandte Perspektive Zukunftspotential gewann: Durch eugenische Eingriffe sollten die edlen Rassen gezielt gefördert werden.
Wenn Zelinger abschließend feststellt, dass Mensch-Tier-Beziehungen auf verschiedenen Wegen zustande kamen und pluralistischer Natur waren (S. 350), dann klingt das unspektakulär. Der konkrete Blick auf das Kaiserreich erlaubt jedoch differenziertere Aussagen. So zum Beispiel jene, dass die Menschen unbefangen und offen mit Tieren umgingen. Ob sie allerdings – je nach Klasse – tatsächlich keine Präferenzen für bestimmte Arten und Rassen hatten, darf bezweifelt werden. Hier wäre es dann doch angebracht, das Soziale nicht ganz so flach zu halten. Die Chronologie spielt in Zelingers Arbeit eine eher untergeordnete Rolle. Häufig ist darin von der „wilhelminischen Haustierhaltung“ die Rede, was die Bismarck-Ära ausschließen würde. Tatsächlich scheint es bei den publizierten Zeitschriften eine Häufung in der späteren Phase gegeben zu haben. Was aber wesentlicher erscheint, ist die unvoreingenommene Sicht auf das Kaiserreich, das auch Zelinger pauschal mit dem Begriff des „Obrigkeitsstaates“ versieht. Trotzdem waren auch damals die Menschen offen und neugierig – zumindest gegenüber Tieren: „Partnertiere wurden im Kaiserreich zu solchen, weil ihre Menschen bereit waren, sich in Partnermenschen zu verwandeln“ (S. 351). Das Buch fächert verschiedene Kontaktzonen von Menschen und Tieren im Kaiserreich auf und lässt – auch wenn es nicht zwingend der Anspruch posthumanistischer Ansätze ist – das Denken und Handeln der menschlichen Zeitgenossen klarer hervortreten. Es gibt Einblick in deren Motive und Handlungsweisen und kann als gelungenes Beispiel dafür angesehen werden, dass die Betrachtung von Mensch-Tier-Beziehungen auch etwas über menschliche Mentalitäten aussagen kann.