Titel
The Balkans in the Cold War.


Herausgeber
Rajak, Svetozar; Botsiou, Konstantina E.; Karamouzi, Eirini; Hatzivassiliou, Evanthis
Erschienen
Basingstoke 2017: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
371 S.
Preis
€ 98,22
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Janis Nalbadidacis, Humboldt-Universität zu Berlin

Bei der Beschäftigung mit Südosteuropa im Kalten Krieg offenbart sich einem ein erstaunliches Desiderat. Arbeiten zu einzelnen Nationen existieren, nur selten wird jedoch die Region selbst in den Blick genommen. Dabei vereinigt sie auf kleinem Raum eine erkleckliche Vielzahl an Akteuren: von NATO-Mitgliedern, wie der Türkei und Griechenland, über die Unterzeichner des Warschauer Vertrags, Rumänien und Bulgarien, bis hin zu Jugoslawien, das federführend für die Bewegung der Blockfreien Staaten war. Eine Untersuchung der Region und ihrer komplexen Verwobenheit verheißt vor diesem Hintergrund in vielerlei Hinsicht Potenzial. So lassen sich hier aufgrund der Diversität insbesondere die Interaktionen der jeweiligen staatlichen Akteure im Einklang oder auch im Widerspruch mit den ideologisch geformten Konfliktlinien und Blockzugehörigkeiten gut untersuchen. Dies verspricht nicht nur Einsichten in die Region und die Politiken der einzelnen Staaten, sondern ermöglicht im besten Fall auch Rückschlüsse auf übergeordnete Dynamiken des Kalten Kriegs.

Eine solcherart beschriebene und in der Forschung zunehmend praktizierte Dezentrierung des Kalten Kriegs ist das Anliegen der vier Herausgeber/innen des Sammelbands The Balkans in the Cold War, Svetozar Rajak, Konstantina E. Botsiou, Eirini Karamouzi und Evanthis Hatzivassiliou. Dabei versprechen sie den Einbezug und die Kombination einer Vielzahl von analytischen Ansätzen, die über rein diplomatie- und politikgeschichtliche Zugänge hinausgehen, sowohl regionale wie auch vergleichende und transnationale Perspektiven berücksichtigen und Einblicke in den gegenwärtigen Forschungsstand geben (S. XX–XXI). Das sind lobenswerte Ziele. Die Absicht eines kohärenten Sammelbands spiegelt sich in der wohldurchdachten Komposition von fünf thematischen Teilen mit je drei Beiträgen wider, die teils von renommierten Historikern wie beispielsweise John O. Iatrides, Ivo Banac oder Mark Kramer verfasst wurden. Neben der vorangestellten Einführung der Herausgeber/innen rundet ein Revue passierendes Schlusswort von Odd Arne Westad das Werk ab. Auch wenn sich der Sammelband in der Anordnung der einzelnen Beiträge nicht strikt daran hält, so folgt er in seinem Aufbau doch einer tendenziell chronologischen Struktur.

Ganz in diesem Sinne nimmt der erste Teil die politische Nachkriegskonstellation auf dem Balkan in den Blick. Vor allem die in der Kombination der drei Beiträge gewonnene Multiperspektivität beeindruckt. In seinem an Quellenmaterial reichen Artikel verdeutlicht Iatrides überzeugend, wie die zunehmenden US-Interventionen in Griechenland auf einer „frühen Version der Dominotheorie“ (S. 20) beruhten. Die Sorge vor destabilisierenden Effekten war Kramer zufolge auch das Motiv für das Handeln der Sowjetunion nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin 1948. Nachdem geplante Attentate fehlgeschlagen waren und sich abzeichnete, dass sich Jugoslawien durch die ökonomische Isolation nicht zu einem Rückgang zum Status quo bewegen ließ, hätte sich die Sowjetunion vor allem auf die Konsolidierung ihrer Einflusssphäre konzentriert. Ähnlich wie in den 1930er-Jahren sei dies insbesondere durch Repressionen, Massenverhaftungen und erhöhte Militärpräsenz erfolgt. Eine Perspektive aus der Region heraus nimmt schließlich der Beitrag von Rajak ein, der auf die jugoslawische Bündnispolitik nach 1948 eingeht. Anhand der Gründung der Bewegung der Blockfreien Staaten und insbesondere auch durch den Abschluss des Balkanpakts 1954 verdeutlicht Rajak, wie es Tito gelang, Jugoslawien erfolgreich zwischen den unmittelbaren Einflusssphären der Supermächte zu positionieren.

Der in Rajaks Beitrag bereits angeschnittene Komplex der Bündnispolitik auf dem Balkan ist explizites Thema des zweiten und dritten Teils. Jordan Baev bemüht sich um eine Zusammenschau des Warschauer Pakts aus bulgarischer Perspektive, deren Fokus von den Entwicklungen in den 1960er- bis zu den 1980er-Jahren reicht. Hatzivassiliou konzentriert sich demgegenüber auf die Einschätzung von Jugoslawien in Berichten und Analysen der NATO. Fundiert arbeitet er heraus, wie die Einschätzungen noch bis in die Mitte der 1960er-Jahre von dem bipolaren Denken der NATO-Analysten geprägt waren und in diesen Jugoslawiens Rolle in der Bewegung der Blockfreien Staaten verkannt wurde. Damit fielen die Einschätzungen weit hinter die manch westlicher Staaten wie den USA oder auch Frankreich zurück. Im Sinne der Kulturgeschichte wäre insbesondere die Frage nach den Hintergründen für solch differierende Einschätzungen interessant. Konkrete Akteure und ihre Hintergründe bleiben letztlich jedoch außen vor. Dies ist anders im Beitrag von Banac, der sich mit den Spannungen zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion im Nachgang des Prager Frühlings 1968 und im Zuge interner Reformen beschäftigt. Dabei nimmt Banac vor allem das diplomatische Kalkül Titos sowie seinen Austausch mit Leonid Breschnew 1971 in den Blick. Das Taktieren der Türkei im Spannungsfeld regionaler Sicherheitsabkommen wie dem Balkanpakt und dem Bagdadpakt einerseits und der NATO andererseits ist das Thema des Artikels von Ayşegül Sever. Laurien Crump wendet sich demgegenüber mit Albanien und Rumänien zwei in diesem Band nicht ganz so prominent vertretenen Staaten zu. Ausgehend von vergleichbarer Forschung zur NATO plädiert sie dafür, den Warschauer Pakt unter dem Eindruck albanischer und rumänischer Widerstände ab den 1960er-Jahren als ein multilaterales Forum zu interpretieren und nicht als schlichtes Zustimmungsgremium zu betrachten. Im Unterschied zu anderen Beiträgen konzentriert sich Effie G. H. Pedaliou nicht auf einzelne Balkanstaaten, sondern wählt einen integrativen und umfassenden Zugang. Sie argumentiert, dass die Entspannungspolitik der USA unter Nixon und Johnson verunsichernde Auswirkungen auf die Region gehabt hätte. In der Folge sei insbesondere die von vielen Ländern geteilte Befürchtung einer Marginalisierung das Motiv für eine Art „Balkan Detente“ (S. 208) gewesen.

In eine ähnliche Kerbe schlägt der etwas holzschnittartige Überblicksartikel von Botsiou, der sich mit den politischen und ökonomischen Umbrüchen auf dem Balkan in den 1970er- und 1980er-Jahren befasst. Die Rolle der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die eigentlicher Bezugspunkt des vierten Teils ist, wird demgegenüber insbesondere in den Beiträgen von Karamouzi und Benedetto Zaccaria beleuchtet. So zeigt Karamouzi in ihrem Artikel auf, dass der Entschluss, Griechenland in die EWG aufzunehmen, maßgeblich von der Motivation herrührte, stabilisierend auf die noch junge griechische Demokratie einzuwirken. Dies galt umso mehr, als dem griechischen Fall von den damaligen EWG-Mitgliedstaaten ein möglicher Dominoeffekt für Spanien und Portugal zugeschrieben wurde. Den Wunsch, mit der Handelspolitik stabilisierend einzuwirken, weist Zaccaria ebenfalls am Beispiel der EWG-Politik gegenüber Jugoslawien in den 1970er-Jahren nach.

Auch Mehmet Döşemeci befasst sich in seinem Beitrag mit der EWG. Er zeichnet die mit einem möglichen Beitritt verbundenen Debatten in der Türkei nach. Sein Beitrag ist jedoch Bestandteil des fünften und letzten Teils, der mit den drei Begriffen Kultur, Identität und Ideologie ein recht breites und nur lose verbundenes Spektrum umreißt. Döşemecis Behauptung, dass der Kontext des Kalten Kriegs durch die Debatten zum EWG-Beitritt in den Hintergrund geraten sei, wirkt bisweilen ein wenig konstruiert. Gerade im Hinblick auf die Belebung der politischen Debatten in der Zeit der zweiten türkischen Republik bietet er jedoch spannende und überzeugende Einsichten. Mit Erkenntnisgewinn liest sich ebenfalls der ausgewogene Beitrag von Spyridon Sfetas, der sich aus einer verflechtungsgeschichtlichen Perspektive der makedonischen Frage nähert. So hätte in den bulgarisch-jugoslawischen Beziehungen die Frage nach der Anerkennung letztlich eine Intensivierung bilateraler Zusammenarbeit verhindert. Zu groß sei die Furcht davor gewesen, dem jeweils anderen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu ermöglichen. Die Beziehungen zwischen Griechenland und Jugoslawien hätten sich vor diesem Hintergrund wesentlich pragmatischer gestaltet. Die kulturelle Öffnung Jugoslawiens in den 1950er-Jahren und in Abgrenzung zur Sowjetunion nimmt schließlich Miroslav Perišić in den Blick.

Der Bruch von Tito und Stalin und das daraus resultierende „Zentrum eines unabhängigen Kommunismus“ (S. 358) dienen auch Westad als Ausgangspunkt seines resümierenden Beitrags. Dabei entfaltet er das Argument, dass regional und national bedingte Konfliktlinien zwischen und innerhalb der Balkanstaaten einerseits und durch die Blockzugehörigkeiten des Kalten Kriegs bedingte Konfliktlinien andererseits teils eine wechselseitig mäßigende Wirkung aufeinander ausübten. Diese Gemengelage stellte sich als stabiler heraus als man auf den ersten Blick aufgrund der politischen Vielfalt vermuten mochte. In besonderer Weise zeige sich dies am Zypernkonflikt zwischen den NATO-Mitgliedsstaaten Griechenland und Türkei.

Die Beiträge überzeugen fast durchweg durch quellenfundierte Argumentationen. Gerade aus politik- und diplomatiegeschichtlicher Perspektive stellt der Sammelband ein gewinnbringendes und multiperspektivisches Referenzwerk dar, das Aufschluss gibt über die teils recht verwobenen und widersprüchlichen Zusammenhänge auf dem Balkan. Ansätze aus der Neueren Diplomatiegeschichte, der Alltagsgeschichte oder auch der Kulturgeschichte bleiben hingegen weitgehend unberücksichtigt. Dies führt zu einem mitunter einseitigen Bild, welches sich in den ausschließlich nationalstaatlich-zentrierten Zugängen widerspiegelt. Jenseits politischer Akteure, so der gewonnene Eindruck, spielte der Kalte Krieg kaum eine Rolle. Alltagsgeschichtliche Dimensionen sowie zivilgesellschaftliche Akteure wie etwa Kirchen, Menschenrechtsorganisationen oder Intellektuelle finden allenfalls am Rande Erwähnung. Gerade im Hinblick auf den eingangs von den Herausgeber/innen formulierten Anspruch, einen fundierten Einstieg in die jeweiligen Themen zu bieten, wäre zudem eine stärkere Reflexion von Forschungskontroversen wünschenswert gewesen, die lediglich von manchen Beiträger/innen berücksichtigt werden. Für die Forschung zu Südosteuropa ist der Sammelband dieser Kritik zum Trotz eine Bereicherung und in seinem integrativen Aufbau sehr zu begrüßen. Den von den Herausgeber/innen in der Einführung formulierten Anspruch, zu weiterer Forschung anzuregen, erfüllt er im doppelten Sinne, bietet er doch nicht nur aufschlussreiche Erkenntnisse, sondern offenbart auch Desiderata.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/