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Titel
Diokletian und die Epoche der Tetrarchie. Das römische Reich zwischen Krisenbewältigung und Neuaufbau (284-313 n. Chr.)


Autor(en)
Kuhoff, Wolfgang
Erschienen
Frankfurt am Main 2001: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
IX, 1048 S.
Preis
DM 198,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heil, Matthäus Prosopographia Imperii Romani, Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Email:

Die Spätantike läßt man für gewöhnlich mit Diocletian beginnen. Dessen Herrschaft umfassend und ausgewogen darzustellen, ist das Ziel von Wolfgang Kuhoffs Buch (S. 3; 8). Der Umfang ist gewaltig: 937 sehr eng bedruckte Seiten Text mit 1711 fortlaufend durchnumerierten Anmerkungen, 56 Seiten Literaturverzeichnis mit 2300 Titeln, 47 Seiten Indices, 32 Abbildungen. Dies weckt die Erwartung auf ein grundlegendes Werk.

Kuhoff geht zunächst die Ereignisgeschichte von Diocletians Kaiserherrschaft durch (284-305 n. Chr.: S. 17-326), stellt dann in einem langen Mittelteil Diocletians Reformen vor (gegliedert in die Bereiche Verwaltung, Heer, Wirtschaft und Selbstdarstellung des Kaisers: S. 327-783) und bespricht schließlich noch 'Niedergang und Auflösung' von Diocletians Regierungssystem, d. h. die Ereignisgeschichte von Diocletians Abdankung bis zum Tod des Maximinus Daia im Jahre 313 n. Chr. (S. 784-934). Dabei versteht es Kuhoff offensichtlich als seine Aufgabe, das Material möglichst vollständig vorzulegen und die Fachliteratur zu den Einzelfragen anzugeben. Dies wurde mit bewundernswertem Fleiß geleistet, und darin wird der bleibende Nutzen des Buches liegen. Aus der Aufhäufung von Wissen entsteht aber kein kohärentes Bild der Epoche, zumal der Autor auch keine Leitfragen verfolgt, selten dezidiert Stellung bezieht und kaum zusammenfassende Deutungen bietet. Auch fehlt es an der Arbeit am Begriff (vgl. S. 5 f. zu 'Dominat'). Es scheint fast so, als habe Kuhoff in der Fülle der Einzelheiten die Aufgabe aus dem Auge verloren, den Stoff auch gedanklich zu durchdringen und dem Leser Orientierung zu vermitteln.

Bei der Publikation des Buches scheint es Reibungen gegeben zu haben. Eigentlich hätte es bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erscheinen sollen. Diese wollte es in seinem jetzigen Umfang aber offensichtlich nicht drucken, und so ist es nun in der vom Autor gewollten Form bei Peter Lang veröffentlicht worden (die Druckvorlagen sind selbst erstellt). Trotzdem soll eine kürzere Version bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft folgen (S. 3). Man mag dies für einen originellen Kompromiß halten. Aber wer die knappe Kasse einer Seminarbibliothek zu verwalten hat, wird darum bitten, von einer Nachahmung abzusehen. Immerhin versetzt die geplante Doppelung den Rezensenten in die Lage, nicht nur nachträglich beckmessern zu müssen, sondern einige konstruktive Vorschläge für die Neubearbeitung unterbreiten zu können.

Also: Das Buch ließe sich auch unter Beibehaltung der bisherigen Konzeption ohne weiteres auf etwa die Hälfte kürzen - einfach indem man unnötige Längen auf das Wesentliche zusammenstreicht. Dies käme nicht nur dem Leser entgegen, sondern würde auch dem Autor die Handhabung seines Textes erleichtern, vor allem in der Schlußredaktion (vgl. z. B. fehlende Textstücke S. 187 und 887).

Hingegen würde man sich ein paar Worte mehr zur Forschungsgeschichte wünschen. Zweieinhalb Seiten (ca. 0,2 % des Textes) mit ein paar Forschernamen sind zu wenig. Wenn auch Diocletian immer etwas im Schatten seines Nachfolgers Constantin stand, so ist er doch nicht unumstritten. Debattiert wurde und wird besonders um die Tetrarchie: die ungewöhnliche kollegiale Herrschaft zweier Augusti und zweier Caesaren, die Diocletian aufgebaut hat. Im 19. Jahrhundert galt Diocletian als der originäre Schöpfer des Dominats, des spätantiken Absolutismus, und die Tetrarchie als neuerdachtes (aber realitätsfremdes) System. Demgegenüber wurde seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts betont, Diocletian habe lediglich die Ansätze seiner Vorgänger pragmatisch weiterentwickelt.1 Zuletzt hat Frank Kolb wieder argumentiert, daß die Tetrarchie durchaus als System intendiert gewesen sei.2 Dies alles müßte wenigstens reflektiert werden. Und schön wäre es, wenn einem neuen Diocletian-Buch auch eine neue Synthese gelänge.

Warum das nicht einfach ist, würde wohl besser verständlich, wenn man bei der Auflistung der Quellen auch deren Probleme erläutern würde: Die wichtigen literarische Quellen sind alle hochgradig tendenziös. Ihnen stehen zahlreiche dokumentarische Quellen zur Seite, die aber immer nur einzelne Punkte beleuchten können und oft schwierige Datierungsfragen mit sich bringen. Schon die elementaren Tatsachen zu rekonstruieren, bereitet daher viel Mühe. Entsprechend dominiert die Forschung am Detail, wobei gelegentlich der Blick fürs Ganze verlorengeht. Um so willkommener wäre eine neue Zusammenschau, die die Proportionen zurechtrückt.

Da auch Kuhoff über Diocletian als Reformer spricht, würde man ferner ein Kapitel über die Zeit vor ihm erwarten: über die Übel, die er abzustellen versuchte und die Traditionen, in denen er notwendigerweise selbst wurzelte. Vielleicht würde sich dann noch deutlicher zeigen, daß es Diocletians größte Leistung war, über zwanzig Jahre an der Herrschaft geblieben zu sein und damit den Teufelskreis von Usurpationen, äußeren Kriegen und ökonomischem Raubbau durchbrochen zu haben. Dazu wird er all seine 'astutia', seine Schläue und Gerissenheit benötigt haben, die ihm in den Quellen nachgesagt wird.

Daß Kuhoff die Reformen von der Ereignisgeschichte abkoppelt, wirkt etwas wie eine Notlösung. Die Frage nach dem inneren Zusammenhang wird damit umgangen. In einigen Bereichen - das ist wahr - kann man gar nicht feststellen, welche Maßnahmen Diocletian und welche seinen Vorgängern oder Nachfolgern zuzuschreiben sind. Dazu gehört das Militärwesen und der Ausbau der Limites (den Kuhoff seltsamerweise unter der kaiserlichen Selbstdarstellung behandelt), die Neuordnung der Provinzverwaltung sowie die Überhöhung des Kaisers durch das Hofzeremoniell (das Kuhoff nur beiläufig erwähnt; das klassische, gerade auch Diocletian betreffende Werk von A. Alföldi3 fehlt sogar im Literaturverzeichnis). Eigentlich kann das nur eines bedeuten: Auf diesen Feldern war Diocletian kein revolutionärer Neuerer.

Anderes zeigt durchaus Diocletians Handschrift. In seine mittleren und späten Jahre gehören die Anfänge der iugatio-capitatio, des komplizierten neuen Steuersystems der Spätantike. Dessen offensichtliches Ziel sollte man noch deutlicher herausstellen, nämlich die zuletzt recht willkürlich auferlegten öffentlichen Lasten gleichmäßiger und berechenbarer zu verteilen. Auf die Reformen im Münzwesen geht Kuhoff ausführlich ein. Zu diskutieren wäre aber auch, inwieweit das Reich unter Diocletian überhaupt zur Geldwirtschaft zurückfand. Und die Nachrichten über Steuererhöhungen sollte man nicht vorschnell beiseite schieben. Denn die ständigen Münzverschlechterungen, mit denen frühere Kaiser ihr Defizit gedeckt hatten, hörten auf, aber wenig deutet darauf hin, daß der Staat nun eisern gespart hätte. Vielmehr entstanden u. a. zahlreiche (von Kuhoff breit dokumentierte) Großbauten.

Eindeutig in Diocletians letzte Regierungsjahre gehören dann die Maßnahmen, mit denen er nicht nur auf offensichtliche Mißstände reagierte, sondern selbst die Initiative ergriff. Nach der Überwindung der großen Krise machte sich Diocletian offenbar daran, die Welt für die Zukunft besser einzurichten. Zu nennen ist der berühmte Maximaltarif von 301 n. Chr., der reichsweit gültige Höchstpreise für über 1200 verschiedene Waren und Dienstleistungen festlegte und von dem wir heute ca. 140 inschriftliche Kopien kennen. Kuhoff bleibt etwas unentschieden, wie das Gesetz einzuordnen sei. Doch richtete es sich nicht nur gegen punktuelle Marktverzerrungen; sein erklärter Zweck war die Bekämpfung der Habgier an allen Orten. Merkwürdigerweise geht Kuhoff kaum darauf ein, daß Diocletian das Gesetz widerrufen mußte. Aber gerade im Scheitern wird deutlich, was Diocletian als Ziel vorschwebte: die paternalistisch-fürsorgliche Ordnung des Reiches mit den Mitteln der staatlichen Bürokratie.

Den Reformen wäre wohl - entgegen Kuhoffs Gliederung - auch die Christenverfolgung zuzurechnen, die 303 n. Chr. begann. Einen handfesten Anlaß gab es nicht, und vom Christentum ging keine ernste Gefahr für das Reich aus. Doch offenkundig meinte der Kaiser auch hier, seine Untertanen zu einem moralischen Lebenswandel zwingen zu müssen - oder jedenfalls zu dem, was er selbst darunter verstand. Bekanntlich hat er auch damit nichts erreicht, sondern dem Reich lediglich einen vermeidbaren inneren Konflikt aufgebürdet.

Hierher würden schließlich auch Diocletians Abdankung im Jahre 305 n. Chr. und die tetrarchische Herrschaftsordnung gehören. Die 'Viererherrschaft' war sicher nicht von Anfang an als Nachfolgesystem konzipiert, wurde aber schließlich wohl doch dazu ausgestaltet (das scheint auch Kuhoff zu meinen). Diocletians Abdankung implizierte die Auffassung des Kaisertums als eine Art Amt, und das tetrarchische System wäre quasi die Dienstordnung gewesen. Kuhoff vermeidet es zu sagen, daß Diocletian damit völlig Schiffbruch erlitten hat. Auf den ersten Blick erscheint Diocletians Idee als geradezu bestechende Alternative zur herkömmlichen Monarchie. Doch eine Chance hätte sie wohl nur gehabt, wenn man die römischen Kaiser einer wirksamen Dienstaufsicht unterstellt hätte - was nach Lage der Dinge unmöglich war. So aber verursachte das System eine Reihe blutiger Bürgerkriege: die Ausscheidungskämpfe unter den Nachfolgern, die Kuhoff im letzten Teil seines Buches nacherzählt. Erst die Alleinherrschaft Constantins und die Rückkehr zum 'dynastischen Prinzip' brachten wieder klare Verhältnisse.

Am Ende des Buches würde man sich - statt zweieinhalb Seiten über Diocletians Nachleben (S. 935-937) - eine prägnante Bilanz wünschen. Sie könnte zum Beispiel lauten, daß Diocletian einer der klügsten und einfallsreichsten Männer gewesen ist, die je das Diadem des römischen Kaisers trugen, daß er aber gerade seine Lieblingspläne nicht so weit zu Ende gedacht hat, um sie seinen Untertanen zu ersparen.

Es ist sehr zu hoffen, daß Kuhoff die Kraft und die Zeit findet, für die geplante Zweitausgabe seine überreiche Materialsammlung nochmals gedanklich durchzuarbeiten und zu einer gut lesbaren Darstellung zu formen. Sie könnte dann zu einem wirklichen Meilenstein in der Diocletian-Forschung werden.

Anmerkungen

1 W. Seston: Dioclétien et la tétrarchie I: Guerres et réformes 284-300, Paris 1946; W. Enßlin, RE 7 A, 2 (1948), s.v. Valerius Diocletianus, Sp. 2419 - 2495.

2 F. Kolb: Diokletian und die Erste Tetrarchie: Improvisation oder Experiment in der Organisation monarchischer Herrschaft?, Berlin/New York 1987.

3 A. Alföldi: Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, 3. Aufl., Darmstadt 1970 (zuerst zwei Aufsätze in MDAI(R) 49 (1934) 3-118 und 50 (1935) 3-158).

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