C. Six: Secularism, Decolonisation, and the Cold War

Cover
Titel
Secularism, Decolonisation, and the Cold War in South and Southeast Asia.


Autor(en)
Six, Clemens
Reihe
Routledge Studies in the Modern History of Asia 126
Erschienen
London 2018: Routledge
Anzahl Seiten
XII, 305 S.
Preis
£ 115.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Weiß, Georg-Eckert-Institut, Braunschweig

Die grundlegende Kritik vorweg: Ein kritischerer Gebrauch des Begriffs „Säkularismus“ wäre an mancher Stelle wünschenswert gewesen, auch wenn Clemens Six für einen stärker an außereuropäischen Erfahrungen orientierten Begriff plädiert. Doch ansonsten handelt es sich bei dem hier vorzustellenden Buch zum wichtigen Komplex von postkolonialer Staatsbildung in Süd- und Südostasien, bei der die Frage von Religion eine wichtige Rolle spielte (alle im Buch behandelten Länderstudien umfassen zahlreiche konkurrierende Religionsgemeinschaften) um eine Sammlung durchaus lesenswerter Einzelstudien. Das Buch basiert zwar auf seiner Habilitationsschrift, wurde aber angelsächsischen Gewohnheiten zur Nutzung im Unterricht entsprechend in eigenständige Kapitel mit jeweils eigenem Endnotenapparat umgebaut. Irritierend an dieser Umstellung ist allerdings, dass für den Gesamttext wichtige Argumente immer wieder erst in den jeweiligen Zusammenfassungen auftauchen, anscheinend, da sie durch die Umstellung nicht mehr in den Kapiteln selbst untergebracht werden konnten.

Doch zuerst zum Inhalt. Clemens Six‘ zentrale These lässt sich so zusammenfassen, dass zum einen die neuen Regierungen in den gerade unabhängig geworden Staaten Indien, Malaya, Singapur und Indonesien das Konzept „secularism“1 nutzten, um ihre Handlungsautonomie zu erweitern, sich aber auch als neutrale Instanz „über“ der Gesellschaft stehend darstellten. Zum anderen nutzten die verschiedenen Religionsgemeinschaften (vor allem islamische, christliche und hinduistische) das Konzept, um ihre eigene Autonomie zu verteidigen, aber auch mehr soziale Akzeptanz und den Ausbau von religiöser Infrastruktur zu erlangen. Gleichzeitig eigneten sich verschiedene soziale Gruppen, Frauenbewegungen und Minderheiten das „secularism“-Projekt zur Emanzipation und zur Überwindung von Machtasymmetrien an.

Six beginnt mit einem ausführlichen theoretischen Überblickskapitel, das viele weitere Themen anreißt. Darauf folgt eine Studie zur Besetzung des öffentlichen Raums in Delhi in Folge der Massaker während der Partition (Kapitel 2). Vor allem Nehru sah im „secularism“ die Möglichkeit, die durch die Partition und während ihr erfolgten Gewaltexzesse aufgerissenen Wunden und Gräben zu heilen und zu überwinden. Während Six hier vor allem auf die neuen staatlichen Akteure blickt, wendet er sich im folgenden Kapitel den Hindunationalisten des Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) zu, die gezielt versuchten, andere Religionsgemeinschaften, vor allem Muslime, aus dem öffentlichen Raum, ja sogar aus ganz Indien, zu vertreiben – und somit auch Nehrus Projekt einer säkularen, aber dadurch auch inkludierenden gesamtindischen Gesellschaft zu torpedieren. Dies macht dieses Kapitel im Gesamtkontext des Buches auch zum schwierigsten, da hier das Handeln einer dezidiert anti-säkularen Gruppe beschrieben wird, die damit im Kontrast zu allen anderen Beispielen steht. Wie dieses durchaus sehr spannende Kapitel daher in den Gesamtkontext passt, erschließt sich dem Rezensenten nicht ganz. Hieran schließt ein Kapitel (4) zu christlichen Missionen im Rahmen der Niederschlagung der Emergency auf der malaiischen Halbinsel 1948 bis 1960 an. Mit diesem Kapitel eröffnet Six die spannende Debatte um die konfligierenden Vorstellungen von Religion im (anti-)kommunistischen Diskurs, religiöser Hilfe für den „Westen“ im „Kalten Krieg“ und die Frage von Religion und Ethnizität; denn Christen, vor allem aber die Missionare, standen nach der Dekolonisierung immer unter dem Verdacht, heimliche Agenten eines westlichen Neo-Kolonialismus zu sein. Ähnliche Fragen werden auch im Anschluss in der Diskussion der Rolle von Christen und orthodoxen Muslimen bei den Massakern an den Mitgliedern der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI), die allerdings auch zur „Bereinigung“ privater Konflikte genutzt wurden, in Indonesien beim Regimewechsel von Sukarno auf Suharto 1965/66 aufgeworfen. Das letzte Kapitel (6) zeigt dann auf, wie religiöse Akteure auf Java, Singapur und in Indien „secularism“ nutzten, um, auch aufgrund der finanziellen Schwäche der neuen Staaten, ihr eigenes Schulsystem auszubauen. Allerdings führte das gesellschaftliche Bedürfnis nach Bildungsexpansion und neuen Bildungsabschlüssen dazu, dass diese Schulen zusätzliche Lehrer, die eine andere Religion (oder gar keine) besaßen, einstellen mussten; ebenso wurde der Lehrplan immer „säkularer“. Gleichzeitig zeigt Six hier aber auch auf, wie unterschiedlich die neuen Staaten ihre Rolle bei der Kontrolle von Religion definierten. Während Indien jeglichen Religionsunterricht, auch an den Privatschulen, aus den gewaltsamen Erfahrungen der Partition verbot, behielt sich der indonesische Staat nur eine Kontrolle vor, bestand aber auch auf neutralem Unterricht an den religiösen Schulen. Abschließend folgt eine alle Argumente nochmals systematisierende Zusammenfassung vor einem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis plus Index.

Clemens Six fördert mit dieser Arbeit neue, spannende Ergebnisse zu Tage, auch wenn er sich hier in einer aktuell breiteren Forschungsdebatte zur Rolle von Religion und religiösen Akteuren im heißen „Kalten Krieg“ in Asien bewegt.2 Besonders die Rolle des Staates als Schiedsrichter in interreligiösen Konflikten scheint ihm bisher unterrepräsentiert; allerdings zeigen etliche seiner Beispiele immer wieder die Problematik auf, dass Minister und Bürokraten durchaus religiöse Bindungen hatten und daher diese Säkularisierungsprojekte nie zur vollen Entfaltung gelangten – oder sogar untergraben wurden. Die Studie(n) zeigen aber immer wieder auf, wie auch nicht-staatliche und religiöse Akteure dieses Projekt für ihre eigenen Interessen nutzten. Allerdings bleibt hier der „Kalte Krieg“ als Folie, bis auf einzelne Fallbeispiele, schwach. Dies liegt auch an dem offen gehaltenen „secular“-Konzept, das für ihn vor allem darin besteht, dass der postkoloniale Staat eine Äquidistanz zu den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften hält (so S. 2). Für Six spielt es keine Rolle, dass im „Kalten Krieg“ auch eine dezidierte Auseinandersetzung um Religion stattfand, da hier eine dezidiert säkulare Ideologie, der Kommunismus, gegen ein System antritt, das vorgeblich freiheitlich-liberal ist, seine historischen Verbindungen zum Christentum aber nie verleugnen kann – und will.

Trotz all dieser Kritik hat Clemens Six hier ein lesenswertes Buch zu einer immer noch global unterschätzten Region vorgelegt. Ihm sind viele Leser zu wünschen, die sich kritisch mit seinen Anregungen auseinandersetzen und diese weiterentwickeln.

Anmerkungen:
1 Der Rezensent verwendet hier weiter den englischen Begriff „secularism“, um die automatisch aufkommenden Konnotationen des deutschen Begriffs (oder im Deutschen) „Säkularismus“, der viel stärker die Ent- und Aneignung kirchlichen Besitzes und Eigentums durch staatliche Akteure zum Inhalt hat, zu vermeiden. Gleichzeitig schwingt hier eine teleologisch-theologische Vorstellung von Entsakralisierung der Welt mit. Auch scheint der Anspruch, durch eine asiatische Perspektive zum besseren Verständnis des Phänomens „Säkularismus“ in der Moderne beizutragen, etwas hochgegriffen, da viele der hier angeführten Akteure eine durchaus „westliche“ Perspektive einnahmen; auffällig ist dies besonders, wenn Six die Verbindung zwischen Kommunismus und Säkularismus diskutiert – oder eben nicht, wie bei Nehru. Diesen Punkt greift Six ja selbst in seiner Kritik an Talal Asad u.a. auf (S. 240).
2 Trotz einer gelegentlich beeindruckenden Verarbeitung von Literatur aus verschiedenen Sprachen (neben Englisch und Deutsch unter anderem Niederländisch und Bahasa Indonesia) vermisst der Rezensent hier doch einige neuere Titel zu dieser Thematik, zum Beispiel Seth Jacobs, Americas Miracle Man in Vietnam. Ngo Dinh Diem, Religion, Race, and U.S. Intervention in Southeast Asia, 1950-1957, Durham 2004; oder Heather Marie Stur, Hiding Behind the Humanitarian Label: Refugees, Repatriates, and the Rebuilding of America’s Benevolent Image After the Vietnam War, in: Diplomatic History 39/2 (2015), S. 223–244.