Die Päpste. Mitten im Reformationsjubiläumstrubel thronen sie, und das ausgerechnet im Lande Luthers. Die große Ausstellung zu den römischen Bischöfen im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum läuft vordergründig der Logik kalendergesteuerten Erinnerns munter zuwider. Sie scheint als sperriger Fels in der Flut der christlichen Selbstvergewisserung zu stehen, die in der Reformation nicht weniger sieht als den Aufbruch in die Moderne, der nicht auf die Religion beschränkt blieb.
Man muss eine solche kontrajubilare Aktion nicht mögen, mag in ihr Ablenkung vom Hauptereignis sehen oder ihr gar heimliche Apologie vorwerfen, doch geht das am Kern vorbei; die intensive Beschäftigung mit Päpsten und Papsttum im Jahr 2017 setzt die 1517 initiierte Reformation erst richtig in Geltung. Denn die exakte Vermessung der mittelalterlichen römischen Kirche lässt erst erkennen, wovon Luther und seine Anhänger sich absetzten, macht die Dimensionen und die Schroffheit der Veränderung differenziert deutlich, die ansonsten in der üblichen plakativen Polemik der Zeiten zur Nebensache werden.
Der Mannheimer Ausstellung gingen mehrere wissenschaftliche und dezidiert konfessionsübergreifende Tagungen voraus, die je unterschiedliche Aspekte des Papsttums in seiner historischen Ausprägung in den Mittelpunkt stellten. An erster Stelle stand im Oktober 2014 der Themenkomplex Amt und Herrschaft, den es hier vorzustellen gilt.
Bernd Schneidmüller umreißt in seinem einleitenden Beitrag Chancen und Hypotheken, die der Jahrhunderte währende Aufstieg der römischen Bischöfe von den Sachwaltern ihrer Ortsgemeinde zur universalen Autorität der lateinischen Kirche des Mittelalters als kohärenten Kult- und Kommunikationsraum mit sich brachte. Schneidmüller konturiert zugleich die Leitfragen des Sammelbandes, der mehr bieten will als eine Vorgeschichte und Abgrenzungsfolie für 1517. Christianisierung des Kontinents, Emanzipation von weltlicher Herrschaft und komplementär dazu stehende Institutionalisierung der Kirche selbst, Denkfiguren des universalen päpstlichen Leitungsanspruchs und dessen zum Ende des Mittelalters immer lauter werdende Anfechtungen lauten die Hauptetappen der Lektüre.
Am Anfang steht Petrus. Die in ihrer Aussagekraft jüngst kontrovers bis skeptizistisch diskutierten Spuren seines römischen Wirkens werden von Hugo Brandenburg klärend nachgezeichnet, das Bild des „Menschfischers“ in der Kunst von Carola Jäggi skizziert. Sible de Blaauw vermag die Entwicklung vom Petrusgrab zur Papstgrablege bei St. Peter überzeugend herauszuarbeiten, in der Leos des Großen Bestattung die Rolle des Magneten gespielt zu haben scheint, der die Nachahmer anzog. Die kollektive Grablege der römischen Bischöfe illustrierte postmortal den Gedanken der Sukzession auf dem Petersthron.
Roms spätantiken Weg in die papstkirchliche Einzigartigkeit kartiert in gewohnt souveräner und quellennaher Weise Hartmut Leppin. Er hebt die Abgrenzung zunächst von Konstantinopel, dann vom Kaiser hervor und setzt etwa das berühmte Schreiben Gelasius’ I. (492–496) in den rechten historischen Kontext. In der Summe waren es diese schriftlich fixierten spätantiken Ansprüche auf Vorrang und Lehrautorität, die sich in den wechselnden politischen Konstellationen im Dienste eines Positionsausbaus aktivieren und aktualisieren ließen. Wie dies im Mittelalter zumindest punktuell zur Ersetzung des Herrschers auch in weltlichen Belangen gesteigert wurde, erläutert Florian Hartmann unter dem Signet des „Petruskaisers“. Weitere Facetten des Prozesses der Autoritätsbildung lassen sich in der schrittweisen Konkretisierung der Papstwahlordnung (Agostino Paravicini-Bagliani) oder in der hierarchischen Neuformulierung der Rollen von Königtum und Kirche im Investiturstreit (Gerd Althoff) beobachten.
Die Instrumente der raumgreifenden Intensivierung dieser Vorrangstellung mit zentralistischen Zügen haben stets Aufmerksamkeit gefunden, so dass die Beiträge von Claudia Zey zu Boten und Legaten und von Lotte Kéry zum kanonischen Recht dank ihrer souveränen Prägnanz willkommene Orientierungspunkte in unübersichtlichem Gelände setzen. Dies gilt auch für die Professionalisierung der hochmittelalterlichen Kurie, die Jochen Johrendt anhand der Finanzadministration betrachtet; dabei verweist er auf die Kapläne als multifunktionale Einsatzgruppe und „geradezu blinde[n] Fleck“ (S. 244) der Forschung. Recht selten thematisiert wird auch die Predigt als Medium der romgesteuerten pastoralen und theologischen Konformierung der lateinischen Kirche, der sich durch die Verbreitung der Bettelorden ganz andere Möglichkeiten eröffneten (Viola Skiba). Dasselbe gilt für den Ablass, dessen explosionsartige Entwicklung im 13. Jahrhundert mit der Förderung ebendieser Mendikanten zusammenhängt, wie Etienne Doublier in einer Skizze der Ergebnisse seiner Dissertation zu zeigen vermag.1 Die Intensivierung der Indulgenzgewährung durch Rom verwies die Nutznießer der Privilegien stets an die Kurie zurück.
Wenn nach dem Ablass über die Exkommunikation gehandelt wird, dann lässt sich die Nähe zur Reformation geradezu spüren. Nirgends ist Luthers Auflehnung gegen den Zuständigkeits- und Machtvollkommenheitsanspruch des Papsttums sinnfälliger als in der Verbrennung der Exkommunikationsbulle gegen ihn. Christian Jaser geht das Thema grundsätzlicher an. Er stellt die Generalexkommunikation in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, mit der Häretiker und Feinde der Kirche – teils in kasuistischer Präzision – aus der papstgeführten Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen wurden. An drei festen Terminen und in ausgeklügelter zeremonieller Begleitung verkündet, erzeugten diese Akte Öffentlichkeit – und bedurften ihrer zugleich so sehr, um den Anspruch auf universale Leitung und Zensurgewalt deutlich zu machen. Dass Luther, dessen Name 1521 in den Häretikerparagrafen der Exkommunikationssentenz aufgenommen wurde, diesen Strafspruch ignorierte und sogar verunglimpfte, markiert weniger dessen persönliche Widersetzlichkeit als die demonstrative Taubheit gegenüber dem Ordnungsruf einer behaupteten römischen Führung.
Damit ist die Brücke geschlagen zu weiteren typischen Anfechtungen des Papstamtes aus reformatorischer Perspektive. Karl Ubl arbeitet anhand der Frage, ob der Papst Simonie begehen könne, kirchenrechtlich und theologisch scharfsinnig heraus, dass die päpstliche Vollgewalt (plenitudo potestatis) als Metapher das Selbstbild des Papsttums im 13. Jahrhundert prägte, aber lange darüber hinaus wirksam blieb, nicht nur als Zielpunkt fundamentaler Kritik. Auf gut 25 Seiten bietet Claudia Märtl eine konzise Nachzeichnung des kurialen Ämterapparats und seines Finanzbedarfs sowie der Forderungen nach Reform und Reduzierung beider. Der Beitrag ist Organisationshandbuch und Problemanalyse zugleich; er sollte Pflichtlektüre für jeden sein, der das Problemfeld von Kurienkritik und Kurienreform betreten will. Zu diesen Fundamenten päpstlichen Regiments gehört auch das Kardinalkollegium, dessen Zusammensetzung und korporativen Charakter Jürgen Dendorfer für das 15. Jahrhundert umreißt. Der enorme Bedeutungszuwachs, den das Kolleg in den und durch die Reformdiskurse der Zeit erfuhr, vermochte freilich dennoch – je weiter die zweite Jahrhunderthälfte voranschritt – immer weniger, der erstarkenden päpstlichen Monarchie Zügel anzulegen.
"Paradies" und "Mühsal" sind die abschließenden Schlagworte des rund 500 Seiten starken Opus – eine Dichotomie, die auf die gesamte Geschichte des Papsttums gut zu passen scheint. Die Sixtinische Kapelle als Ort der künstlerischen Himmelsinszenierung (Ulrich Pfisterer) und die Nachfolger Petri nicht nur als leitende Angestellte der Kirche, sondern als buchstäblich auch an ihrer Aufgabe und Überforderung Leidende (Stefan Weinfurter) symbolisieren den fortwährenden Spagat, den Papsttum und Päpste von der Nachfolge des zweifelnden Fischers im Apostelamt über das orbisweite Geltung beanspruchende römische Bischofsamt bis hin zu dessen Anfechtungen in Renaissance und Reformation auszuhalten hatten.
Ein ausführlicher Abbildungsnachweis und ein Namenregister beschließen den Band, wobei letzteres grundsätzlich sorgfältig, aber schwankend und mitunter fast zu reich gestaltet wirkt. So werden für eine einzige Nennung des (Gegen-)Papstes Felix’ V. im Band immerhin drei komplette Registerzeilen Beschreibung aufgewandt, zu denen eigentlich auch noch der weltliche Name des Betreffenden gehört hätte. Bei den Päpsten wird nach dem Amtsnamen durchgängig „römischer Bischof, Papst“ als Erläuterung verwendet, mitunter Papst sogar in Anführungszeichen gesetzt. Demgegenüber müssen Herodes und Isaak genauso ohne jede Erläuterung stehen wie „Luther, Martin“. Das Lemma „Genezareth, See“ zaubert ein Schmunzeln ins Gesicht des Lesers. Dieser legt den Band mit Gewinn und Freude zur Seite, denn nur selten werden in einer Vortragssammlung die Kernthemen der historischen Auseinandersetzung mit dem Papstamt derart niveauvoll und gekonnt charakterisiert. Zwar stehen die kunsthistorischen Beiträge ein klein wenig abseits, doch leugnet der Band keineswegs, dass gerade die Bilder eine der mächtigsten Waffen päpstlicher Wahrnehmungssteuerung waren und sind. Der auch physisch gewichtige Band taugt sicherlich nicht zur flüchtigen Jedermann-Lektüre; er gehört in Reichweite derjenigen, die sich ernsthaft mit dem universalen römischen Bischofsamt bis zur konfessionellen Spaltung im 16. Jahrhundert beschäftigen wollen.
Anmerkung:
1 Etienne Doublier, Ablass, Papsttum und Bettelorden im 13. Jahrhundert, Köln 2017.