Der von Luise Schorn-Schütte herausgegebene Sammelband versteht sich als ein Beitrag zum Epochenverständnis der Frühen Neuzeit. Er soll ein Rückblick auf verschiedene Deutungsmuster dieser Epoche sein, die allesamt aus dem "Krisenbewußtsein der Weimarer Republik" erwachsen sind. Behandelt werden dabei im einzelnen die Neuzeitkonzeptionen des Historikers Paul Joachimsen, des Theologen Ernst Troeltsch, des Kirchenhistorikers Werner Elert, des Historikers Otto Brunner sowie des Juristen Carl Schmitt.
Mit der Frage nach wissenschaftlichen Deutungskonzepten zur Zeit der Weimarer Republik steht dieser Band in der Tradition wissenschaftsgeschichtlicher Untersuchungen. Eine Rückschau auf frühere wissenschaftliche Erklärungsmuster vermag der historischen Forschung auf zweierlei Weise wertvolle Impulse zu liefern. Zum einen lässt sich über eine Interpretation der wissenschaftlichen Debatten ein Zugang zu grundlegenden Fragen der Weimarer Republik gewinnen. Wissenschaftsgeschichte wäre so ein Teil zeithistorischer Forschung über die Weimarer Republik. Zum anderen bietet sich der Rückblick auf frühere Deutungskonzepte immer dann an, wenn diese auch für heutige Fachdebatten der Frühneuzeitforschung innovative und weiterführende Interpretationsmöglichkeiten eröffnen. Der Blick auf die Weimarer Republik gehört allerdings nicht zu den Anliegen des zu besprechenden Bandes. Die Rückschau auf vergangene Deutungsmuster der Vormoderne beansprucht vielmehr "Erkenntnisgewinn auch für die gegenwärtige Frühneuzeitforschung" (10), versteht sich also als Teil der heutigen fachwissenschaftlichen Diskussion.
Paul Joachimsen wird von Notker Hammerstein als ein Historiker vorgestellt, der in der Frühen Neuzeit dem "Beginn der Moderne" (33) auf der Spur war. Wie Ranke sah auch Joachimsen in der Ausbildung der einzelnen Staatswesen in Europa, die sich später zu Nationalstaaten fortentwickelten, den Anfang der Moderne. Die Verschiedenheit der Staaten untereinander lasse sich dadurch erklären, dass die drei den Prozess der Staatenwerdung verursachenden Kräfte, die Renaissance, der Humanismus und die Reformation, bei den werdenden Nationen Europas nicht alle in gleicher Weise wirkmächtig wurden, sondern sich in jeder Nation auf unterschiedliche Weise entfalteten. Dabei sei die Reformation in besonderer Weise ein deutsches Urereignis, durch das alles, was im politischen, geistigen, religiösen und sozialen Denken "deutsch [...] genannt werden kann" (37), seinen Anfang genommen habe. Insbesondere auch das spezifisch deutsche Staatsverständnis hatte laut Joachimsen seinen Ursprung in der Reformation, die hier noch ganz als Werk Martin Luthers verstanden wird.
Luise Schorn-Schütte führt vor, wie Ernst Troeltsch zur Reformation einen diametral entgegengesetzten Standpunkt bezog. Für Troeltsch ging von der Reformation keinerlei modernisierende Wirkung aus. Kennzeichen der Moderne sei zum einen die Historisierung und die damit verbundene Relativierung des Menschen, seiner Kultur und seiner Wertvorstellungen, zum andern das "Prinzip der Autonomie", das die Freisetzung der Individuen von kirchlicher und politischer Bevormundung beinhalte. Diese Freisetzung hatte nach Troeltsch indes nicht die Reformation bewirkt, da der Gläubige weiterhin der Herrschaft einer religiösen Autorität unterworfen blieb. Dies war erst Folge der Aufklärung. Solange der Protestantismus in seiner sozialen Ausprägung der kirchlichen "Zwangskultur" verhaftet blieb, war auch durch die Reformation ein "wesensmäßiger Unterschied" (49) zur alten Kirche nicht auszumachen. Vielmehr seien beide Teil einer "alteuropäischen Einheitskultur" (51), die erst Mitte des 18. Jahrhunderts der Moderne weichen musste.
Der protestantische Kirchenhistoriker Werner Elert bezog gegen Troeltschs Reformationsdeutung Stellung und betonte die Modernität der Reformation, wie Thomas Kaufmann berichtet. Mit Luther habe nicht einfach die Moderne begonnen, er habe die Moderne gleichsam antizipiert: Seine Rechtfertigungslehre sei "durch die Fragestellungen der Kantschen Religionskritik hindurchgegangen" (71), ferner habe er Giordano Brunos These von der Unendlichkeit des Raumes vorweggenommen und das Naturverständnis Goethes vorformuliert (78). Gleichzeitig habe Luther bereits eine kapitalismuskritische Haltung eingenommen, an die es auch im 20. Jahrhundert, so Elert, anzuknüpfen gelte. Kaufmann weist zu Recht darauf hin, dass sich die Elertsche Lutherdeutung als "Projektionsfläche der theologiepolitischen Ansprüche der Gegenwart" erweist (80); einer Gegenwart freilich, die für den heutigen Leser ihrerseits längst vergangen ist.
Standen in den ersten drei Beiträgen unterschiedliche Bewertungen der Reformation im Mittelpunkt, so ist in den folgenden beiden Aufsätzen von Reformation, wenn überhaupt, nur noch am Rande die Rede.
In einem exzellenten Beitrag wendet sich Reinhard Blänkner dem Zusammenhang zwischen dem politischen Engagement Otto Brunners und seinen wissenschaftlichen Deutungskonzepten zu. Insbesondere anhand des maßstabsetzenden Werkes "Land und Herrschaft" hebt Blänkner die methodisch-innovativen Elemente von Brunners Forschungskonzept hervor, betont allerdings zugleich deren teilweise enge Verbindung mit völkischem Denken. Dies trifft insbesondere auf die Verwendung sogenannter "konkreter Ordnungsbegriffe" wie "Reich", "Volk", "Land" und "Haus" zu, mit denen Brunner mittelalterliche Rechtsbeziehungen adäquater beschrieben sieht als mit modernen staatsrechtlichen Begriffen. Ein Effekt dieser quellennahen, der modernen Wissenschaftssprache indes fremd anmutenden Begriffe ist das "Fremdmachen" (104), wodurch die prinzipielle Andersartigkeit der mittelalterlichen Welt veranschaulicht werden soll. Nach seiner Abkehr vom Konzept einer "Volksgeschichte" nach 1945 formulierte Brunner dann den Begriff "Alteuropa", der bis heute zum begrifflichen Inventar der Frühneuzeitforschung zählt. Allerdings weist Blänkner darauf hin, dass Brunner mit diesem Begriff nicht die altständische Epoche vom 13. bis zum 18. Jahrhundert beschreiben wollte, sondern nicht weniger als die "Zeitspanne von Homer bis Goethe" (117). Für ein frühneuzeitliches Verständnis der Vormoderne lässt sich dieses Konzept nicht heranziehen, was Blänkner jedoch nicht als Nachteil verstanden wissen will. Wohl aber erscheint es lohnend, die Geschichtskonzeption Alteuropa nicht nur bei Otto Brunner, sondern in der historischen Forschung allgemein im politischen Kontext der Zeit zu verorten - als "einer intellektuellen Figuration im Zeichen der Krise der Moderne" (133).
Der letzte Beitrag von Günter Meuter und Henrique Ricardo Otten wendet sich Carl Schmitts Geschichtsauffassung zu. Die Moderne deutet Schmitt vor allem als ein Zeitalter der "Neutralisierung" und "Entpolitisierung". Dabei wandelte sich das "geistige Zentrum" im Laufe der letzten vier Jahrhunderte vom "Theologischen" hin zum "Metaphysischen", zum "Humanitär-Moralischen" und schließlich zum "Ökonomischen" (137). Die Moderne erweist sich so geprägt durch den zunehmenden Verfall des Transzendenzbewusstseins, was letztlich mit der Auflösung aller religiösen, politischen und moralischen Bindungen einhergehe. Mit dem Begriff der "Neutralisierung" wird der Vorgang der Rationalisierung, wie ihn Max Weber zu erkennen glaubte, ins Negative umgedeutet. Ein positives Gegenbild sieht Carl Schmitt in einer "werthaften Ordnung", so wie sie in einer Monarchie oder paradigmatisch in der katholischen Kirche verkörpert ist. Es war dieses Gegenbild, das Carl Schmitt dazu verleitet habe, im vom Nationalsozialismus proklamierten "Neuen Reich" eine dialektische Wiedererrichtung des "sacrum imperium" zu erblicken (174), das der Zeit der "Neutralisierung" ein Ende bereite. Es ist nicht ohne Ironie, dass der "Katechon", der diesen Prozess aufzuhalten trachtete, damit zum Mittäter einer Ideologie wurde, die den Prozess der "Neutralisierung" dramatisch beschleunigte.
Überblickt man alle Aufsätze des Sammelbandes, fällt die Heterogenität der Beiträge ins Auge. Die unterschiedliche Länge der Aufsätze - von zehn (Luise Schorn-Schütte) bis zu fünfzig Seiten (Blänkner) - ist dabei von eher geringer Bedeutung. Allerdings ist auch das thematisch verbindende Element der vorgestellten Autoren nicht klar erkennbar. Wenden sich drei der vorgestellten Deutungskonzepte vor allem der Reformation sowie der Frage nach ihrer Bedeutung für den Ursprung der Moderne zu, bleibt dieses Ereignis bei Otto Brunner wie Carl Schmitt ohne größeren Stellenwert. Und lässt sich von Deutungskonzepten der Frühen Neuzeit sprechen, wenn die behandelten Zeiträume einmal von Homer bis Goethe reichen (Otto Brunner), das andere Mal die gesamte Moderne in den Blick nehmen (Carl Schmitt)?
Zielsetzung des Sammelbandes ist es, einen Beitrag für die gegenwärtige Frühneuzeitforschung zu leisten. Dies wäre dann der Fall, wenn sich aus den vorgestellten Deutungsmustern Anschlussmöglichkeiten für heutige Fachdiskussionen der Frühneuzeitforschung ergeben könnten. Bei den meisten der hier vorgestellten Autoren sucht man nach solchen Anschlussmöglichkeiten leider vergebens. Zwar wird z.B. von Hammerstein (33) und Schorn-Schütte (46) die Bedeutsamkeit der besprochenen Deutungskonzepte postuliert. Zugleich wird aber explizit darauf hingewiesen, dass die Interpretationen von Joachimsen (32), Troeltsch (53) und Ehlert (55 und 84) kaum einen Beitrag in der heutigen Konfessionalisierungsdebatte zu leisten imstande sind. Für Carl Schmitt dürfte ähnliches gelten, auch wenn sich Meuter und Otten gar nicht der Mühe unterziehen, die mögliche Relevanz seines Geschichtsbildes für die heutige geschichtswissenschaftliche Forschung darzulegen. Einzig bei Otto Brunner liegt der Fall anders. Wie Blänkner in einem umfangreichen Kapitel überzeugend darlegt, hat Brunners Begriffsgeschichte auch weiterhin "als elementarer Bestandteil einer historischen Kulturwissenschaft Platz" (135) - allen politischen Irrwegen zum Trotz.
Zweifelsohne ist Luise Schorn-Schütte zuzustimmen, dass die "modernisierungstheoretische Blickrichtung" auf die frühe Neuzeit nicht die richtige Untersuchungsperspektive darstellt. Die hier vorgestellten Deutungsansätze sind indes ebenfalls nicht in der Lage, einen wissenschaftlich nutzbaren Ansatz bereitzustellen, wie die Autoren ja auch betonen. Sicherlich ist wissenschaftsgeschichtliche Reflexion keine bloße "Zutat", sondern "wesentlicher Teil historischer Erkenntnis" (10). Leider trifft diese Feststellung nicht auf jeden wissenschaftsgeschichtlichen Rückblick gleichermaßen zu. Gewiß versichert sich die Frühneuzeitforschung mit diesem Sammelband ihrer eigenen Traditionen ebenso, wie sie den Fortgang der fachwissenschaftlichen Debatte sichtbar macht. Über die vorgestellten Autoren und ihre Leitkategorien wird man in den einzelnen Beiträgen zuverlässig informiert. Was jedoch darüber hinaus als Erkenntnisgewinn zu verzeichnen bleibt, ist leider nur das Bewusstsein der Historizität jeder wissenschaftlicher Erkenntnis. Und dieses Ergebnis ist in der Tat "ebenso selbstverständlich wie banal" (10).