K. Droß-Krüpe u.a. (Hrsg.): Antike Wirtschaft

Cover
Titel
Antike Wirtschaft und ihre kulturelle Prägung. The cultural shaping of the ancient economy


Herausgeber
Droß-Krüpe, Kerstin; Föllinger, Sabine; Ruffing, Kai
Reihe
Philippika 98
Erschienen
Wiesbaden 2016: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XVI, 320 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Rollinger, Fachbereich III - Alte Geschichte, Universität Trier

Wenn der „altehrwürdige Gegensatz zwischen Primitivisten und Modernisten“ in der Tat, wie Kai Ruffing in seinem Übersichtsbeitrag zu diesem Band konstatiert, „als überwunden gelten“ darf (15), dann ist dies nicht zuletzt der zunehmenden Rezeption der theoretischen und methodischen Zugänge zu verdanken, die als Neue Institutionenökonomik (NIÖ) seit einem knappen Jahrzehnt die Diskussion über Wesen und Effizienz der antiken Wirtschaft auf neue Grundlagen gestellt haben.1 Durch die Einbeziehung nicht nur rechtlicher und politischer, sondern auch gesellschaftlicher und kultureller Institutionen in die Betrachtung der antiken Wirtschaft innerhalb des Rahmengebildes der NIÖ gelang es, die bereits vorher konstatierte ‚embeddedness‘ antiker Wirtschaftsprozesse als analytische Kategorie fruchtbar zu machen, ohne dabei notwendig auf die ‚primitivistischen‘ Ansichten Finleys oder Polanyis reduziert zu werden (vgl. auch den Beitrag von Ruffing in diesem Band, besonders 16). Eingedenk dieser Möglichkeit und der zunehmenden Einsicht, dass „auch in der Antike kulturelle Unterschiede zu erfolgsrelevanten Faktoren“ (xi) werden konnten, ist es das Ziel des vorliegenden Sammelbandes, der aus einer 2014 abgehaltenen Marburger Tagung hervorgegangen ist, eben diese „kulturellen Prägungen“ zum Analyseobjekt zu machen. Im Anschluss an eine knappe Einleitung (xi–xvi) versammeln die Herausgeber zu diesem Zweck 16 Beiträge, die chronologisch vom Hethiterreich bis zur Spätantike beziehungsweise der frühislamischen Zeit reichen. Im Unterschied zur Tagung selbst (xii) sind die Beiträge dabei aber größtenteils chronologisch angeordnet.

Allein eine kurze methodische Sektion fällt aus diesem einfachen Rahmen heraus. Die Beiträge von Evelyn Korn (1–10) und Kai Ruffing (11–22) behandeln trotz sehr ähnlicher Titel zwei unterschiedliche Aspekte: So führt Korn in die wichtigste These der NIÖ und des Bandes ein, dass nämlich das individuelle ökonomische Verhalten in einem Verhältnis zu ‚Institutionen‘ steht, worunter nicht nur wörtlich verstandene staatliche oder rechtliche Institutionen gemeint sind, sondern ebenfalls „internalisierte Normen oder explizite Formen von Regeln“ (2). Den Wert der NIÖ für das Studium der antiken Wirtschaft sieht Korn vor allem im Potenzial, antike Verhaltensweisen als „vernünftig“ zu erklären, indem „die antiken Kontexte“ verstanden werden (8). Dagegen liefert Ruffing einen erhellenden historiographischen Abriss der Forschung zur antiken Wirtschaft und kontextualisiert Aufkommen und Bedeutung von NIÖ in Bezug auf die Bücher-Meyer-Kontroverse beziehungsweise den schon erwähnten Gegensatz zwischen ‚Primitivisten‘ und ‚Modernisten‘. Er formuliert optimistisch, dass die NIÖ als theoretisches Fundament „es erlaubt, die Wirtschaft als kulturell geprägtes und prägendes gesellschaftliches Subsystem einer historischen, interdisziplinären, die gesamte Breite der Altertumswissenschaften umfassenden Analyse zuzuführen.“ (17)

Die chronologisch frühesten Beiträge von Evelyn Korn und Jürgen Lorenz (23–36) beziehungsweise Giulia Torri (37–46) beschäftigen sich beide mit der Frage nach dem Landbesitz im Reich der Hethiter, kommen aber zum Teil zu divergierenden Ergebnissen in Bezug auf die Rolle des Königs als Landbesitzer beziehungsweise Landverwalters. Eine dezidierte Betrachtung unter dem Blickwinkel der NIÖ findet dabei allerdings kaum statt, im Gegensatz zum Kapitel von Laetitia Graslin-Thomé, die sich mit dem mesopotamischen Fernhandel beschäftigt (47–62) und dabei konsequent aus Sicht der NIÖ argumentiert, dass dieser Fernhandel aufgrund von hohen Transaktionskosten und dem Problem der begrenzten Rationalität der Agenten unterentwickelt blieb.

Die folgenden Beiträge widmen sich dem eigentlichen Bereich der Klassischen Antike, wobei eigentümlicherweise – besonders im Hinblick auf das in der Einleitung angekündigte chronologische System – Kerstin Droß-Krüpe mit einer Untersuchung der römisch-kaiserzeitlichen Wirtschaft unter Zuhilfenahme der Prinzipal-Agenten-Theorie den Anfang macht (63–76). In einer Reihe von Fallstudien kann sie aufzeigen, wie Prinzipal-Agenten-Verhältnisse von lokalen soziokulturellen Gegebenheiten und Veränderungen abhängig sind. So treten etwa im römischen Ägypten vornehmlich Netzwerke von „freie[n] Agenten“ (72) auf, wohingegen die italische Oberschicht bei ihrer Wahl von Agenten vorzugsweise auf die traditionellen Abhängigkeitsverhältnisse von Sklaven und Klienten zurückgriffen. Ein drittes Vorgehen, der Fokus auf ethno-kulturell konstruierte Netzwerke, spielt auch in zwei weiteren Beiträgen von Wim Broekaert (163–184) und Eivind Heldaas Seland (223–234) eine Rolle.

Drei Beiträge von Sabine Föllinger (77–86), Vincent Gabrielsen (87–11) und Sven Günther (113–130) widmen sich zunächst aber dem klassischen Griechenland. Der Beitrag Föllingers ist Teil ihrer weiteren Auseinandersetzung mit ökonomischen Aspekten in der Philosophie Platons, die seit der ursprünglichen Tagung in eine beachtenswerte Monographie gemündet ist.2 Sie analysiert die in den Nomoi vorgebrachten wirtschaftsphilosophischen Überlegungen Platons hier konsequent in den Kategorien der NIÖ. Gabrielsen beschäftigt sich mit den spätklassischen und frühhellenistischen Vereinigungen (zu Recht kritisiert Gabrielsen den üblichen Terminus der „professional associations“ als unzutreffend und analytisch einhemmend, vgl. 88–95) und untersucht dabei spezifisch ihre besondere Rolle und Methoden der Generierung und Verbreitung von Vertrauen (spezifisch: „generalized trust“ [98]), als essentiellen Bestandteil der antiken Wirtschaftsordnung. Dass das Konzept des Vertrauens (fides/pistis) zwar jüngst wohl als ‚politische‘3, noch nicht aber als wirtschaftliche Ressource beziehungsweise als analytische Kategorie der Betrachtung antiker Wirtschaftszusammenhänge unter Zuhilfenahme der NIÖ systematisch betrachtet worden ist, ist, nebenbei bemerkt, verwunderlich. Gabrielsens Beitrag zeigt den potentiellen Ertrag einer solchen Ausrichtung deutlich auf.4 Dem spezifischen Wirtschaftsraum des Piräus widmet sich Günthers Beitrag (113–130), der, sich auch explizit gegen das von Polanyi stark gemachte „Ports of Trade“-Modell stellend, im Athener Hafen eine „Sonderwirtschaftszone“ sieht, also einen wirtschaftlichen Raum, in dem die Polis besondere, dem Handel stark förderliche Bedingungen (‚Institutionen‘) schuf. Auf den ersten Blick erscheint dieses Modell durchaus attraktiv; doch gesteht Günther gleichwohl ein, dass das Sonderwirtschaftszonenmodell „definitorisch noch nicht abschließend konzeptionell gefestigt“ sei (126). Die Beiträge zur griechischen Geschichte werden schließlich durch Stefan Schorns Analyse der ‚Beamtenideologie‘ im hellenistischen Ägypten abgeschlossen (131–161), wobei er die besondere Quellenüberlieferung in Ägypten ausnutzt, um das Ethos der ptolemäischen Beamten sowohl „bottom-up“ in Gestalt von Inschriften als auch „top-down“ in Gestalt von papyrologisch überlieferten Beamteninstruktionen von Vorgesetzten (hypomnema) zu untersuchen. Als ‚Institutionen‘ im Sinne der NIÖ sind Beamte wie Dioiketen natürlich wichtige Bestandteile der antiken Wirtschaft und so ist Schorns kleinteilige Analyse ihrer in Teilen auch von hellenistischer Herrschaftsphilosophie beeinflussten Ideologie zu begrüßen. Perspektivisch ließe sich zudem eine Ausdehnung ähnlicher Untersuchungen in das quellenmäßig besser überlieferte römische Ägypten anvisieren, dessen Verwaltungsstrukturen und Beamtenschaft in den Papyri noch deutlich hervortritt als dies für das Ptolemäerreich der Fall ist.

Die restlichen sechs Beiträge des Bandes sind chronologisch allesamt in der römischen Zeit anzusiedeln. Den Auftakt macht Wim Broekaert (163–184) mit seiner wohltheoretisierten – und das ist durchaus positiv gemeint – Untersuchung der kulturellen Prägung der römischen Wirtschaft als solche. Er benutzt dabei das Modell der Shared Mental Models (SMM), also gesamtgesellschaftlich akzeptierter wirtschaftsrelevanter Vorstellungen und Normen, die nur schwer und langwierig wandelbar waren und gemeinsam mit weiteren kulturellen ‚Prägungen‘ als Institutionen im Sinne der NIÖ ökonomisches Verhalten erklärbar machen. Das von Broekaert spezifisch analysierte SSM ist dabei die Vorstellung der Familie (besser: familia) als wichtigster und verlässlichster Einheit (170: „the belief that family connections offer protecting against fraud and market failure“), besonders auch als Antwort auf das Prinzipal-Agenten-Problem. Obwohl Broekaerts Argumentation schlüssig ist, ist dennoch zu bedenken, dass der historische Befund, wie ihn nicht zuletzt auch Droß-Krüpe in diesem Band (zugegebenermaßen exemplarisch) untersucht hat, dennoch zeigt, dass im antiken Sinne familiäre Beziehungen keinesfalls exklusiv genutzt wurden. Auch Selands Beitrag (223–234), der hier ‚außer Reihe‘ angesprochen werden soll, zeigt, dass neben der ‚Familie‘ auch andere, zum Beispiel ethnische oder kulturelle Einheiten von ebenso großer Bedeutung sein konnten, wie etwa im Fall der palmyrenischen Händler, die Seland konsequent als Netzwerk anspricht. Basierend auf der epigraphischen Hinterlassenschaft dieser Händler, argumentiert Seland, dass ethnische Netzwerke zwar logischerweise nicht beliebig erweitert wurden, dafür aber an überlappende, nach anderen Kriterien konstituierte Netzwerke ‚angedockt‘ werden konnten.

Begleitet werden diese theoriegeleiteten Beiträge von Einzelfallstudien, die sich im Erachten des Rezensenten doch zum Teil deutlich von der eigentlichen Stoßrichtung des Sammelbandes entfernen. Wo sich Jesper Carlsens Untersuchung (185–198) des Werkes des Musonius Rufus und dessen Einschätzung von wirtschaftlichen Handlungen, besonders aber von Agrarwirtschaft (die er, in Anbetracht der auch sonst bezeugten römischen Einstellung dazu wenig überraschend, positiv sieht) und der eigenhändigen körperlichen Arbeit (die er ebenfalls positiv konnotiert – was dann doch wieder überraschend ist), noch unter dem Aspekt der Suche nach einer erweiterten kulturellen Rahmung (oder Prägung) subsumieren lässt, so gilt das nur mittelbar für die detaillierte ikonographische Untersuchung des Erotenfrieses im oecus der Casa dei Vettii, die Nicolas Monteix unternimmt (199–222) und die, obschon kunst- und kulturhistorisch und im engen Bezug auf römische Konvivialkultur sehr anregend, doch wenig geeignet ist, unser Verständnis der antiken Wirtschaft zu vertiefen. Unter den letzten beiden Beiträgen des Bandes beschäftigt sich derjenige von Oliver Stoll mit der Rolle des römischen Militärs in den Wirtschaftsräumen des Limes, die er überzeugenderweise als "transkulturelle Wirtschaftsräume“ begreift (235). Die von ihm unter einem sprechenden Titel unternommenen Fallstudien dienen dann auch vornehmlich dazu, diesem Begriff Inhalt zu verleihen, was Stoll durchaus gelingt. In seinen „Schlussbemerkungen und Ausblick“ ist aber, wenn er zu Recht betont, dass die NIÖ „wertvolle Analyse- und Denkmodelle für die antike Wirtschaft liefere“, die „auf breiter Quellengrundlage erarbeitet werden“ und „zunächst kleinere Wirtschaftsräume erfassen“ sollten (250), das Eingeständnis implizit, dass dies auch nach seinem Beitrag noch zu tun bleibt. Ute Verstegens Überlegungen zur Spolierung in Spätantike und Frühislam (267–305) beschließen den Band und sind gleich in doppelter Hinsicht verdienstvoll: Sie zeigen zum einen eindrücklich, dass vermeintlich ökonomisches Handeln, wie das ‚Recyceln‘ von Baumaterialen aus wirtschaftlichen Gründen, durchaus kulturell geprägt sein kann und eigene symbolische oder kommunikative Absichten verfolgen. Zum anderen ist die Beschäftigung mit der Wiederverwertung und dem Gebrauchtwarenhandel in der bisherigen Wirtschaftsgeschichte der Antike ein drastisch vernachlässigtes Feld, in dem noch viel Arbeit zu leisten ist und viele Erkenntnisse zu gewinnen sind.5

Der Band wird von biographischen Skizzen der beteiligten Autoren (307–310) sowie von einem nützlichen Quellenindex (311–320) beschlossen. Sowohl in seiner Gesamtheit als auch durch seine – gleichwohl in Hinsicht auf Herangehensweise, Thematik und methodische Fokussierung durchaus disparaten – spezifischen individuellen Beiträge, weist dieser anregende Band potentielle Wege für die zukünftige Forschung zur antiken Wirtschaft auf.

Anmerkungen:
1 Zu NIÖ und antiker Wirtschaft, siehe vor allem E. Lo Cascio, La „New Institutional Econmics“ e l’economia imperiale romana, in M. Pani (Hrsg.), Storia romana e storia moderna. Fasi in prospettiva, Bari 2005, 69–83; D. Kehoe, Law and the Rural Economy in the Roman Empire, Ann Arbor 2007; A. Bresson, L’économie de la Grèce des cités. I. Les structures et la production, Paris 2007 sowie das von Ian Morris, Richard Saller und Walter Scheidel herausgegebene Handbuch „The Cambridge Economic History of Greece and Rome“, Cambridge 2007.
2 S. Föllinger, Ökonomie bei Platon, Berlin u.a. 2016. Vgl. dazu die Rezension von Anna Schriefl in: H-Soz-Kult, 27.11.2017, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26805 (14.06.2018).
3 J. Timmer, Vertrauen. Eine Ressource im politischen System der römischen Republik, Frankfurt am Main 2017.
4 Als Beitrag zu dieser Forschungsrichtung versteht sich eine internationale Tagung, die, von Patrick Reinard und dem Rezensenten organisiert, im März 2019 an der Universität Trier stattfinden und sich explizit dem Thema „Vertrauen als ökonomische Ressource“ widmen wird.
5 In diesem Zusammenhang sei lediglich auf die in letzten Jahren steigende Beachtung verwiesen, die das Thema erfährt. Den Anfang haben dabei, soweit ich das sehe, Patrick Reinard und Christoph Schäfer mit einer Trierer Tagung zu „Gebrauchtwaren und Second Hand-Markt in der Antike“ im September 2016 (vgl. den Tagungsbericht von Michael Zerjadtke in: H-Soz-Kult, 31.10.2016, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6770 [14.06.2018]) gemacht. Konferenzen mit ähnlicher Thematik fanden seitdem in Frankfurt und Oxford (Februar/September 2017) statt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension