Mit den vermögensrechtlichen Folgen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges hat sich eine umfangreiche Forschung beschäftigt. Die Aufmerksamkeit war dabei aber höchst ungleich verteilt. Zahlreiche Arbeiten haben sich vor allem auf die Problematik des Raubes und Entzugs von Eigentum durch das NS-Regime und die Versuche konzentriert, die Vermögensverluste seiner Opfer wiedergutzumachen. Auf diese Weise wurden die Praxis des Vermögensraubs sowie die Wege der Verwertung, Weitergabe und Rückerstattung entzogenen Eigentums umfassend untersucht. Währenddessen ist ein anderer Bereich wenig beachtet geblieben: das Vermögen der 1945 aufgelösten NS-Organisationen und des völkerrechtlich untergegangenen Deutschen Reiches. Was passierte eigentlich mit diesem Vermögen? Dieser Frage hat sich die an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg entstandene Dissertation von Marc-Simon Lengowski erstmals ausführlich zugewandt.
Die Arbeit wählt einen regionalgeschichtlichen Zugriff und untersucht den Umgang mit dem NS- und Reichsvermögen am Beispiel des Bundeslandes Hamburg, das sich nach Kriegsende in der britischen Besatzungszone befand, blickt aber immer wieder auch über diesen Rahmen hinaus. Die zentralen Themen der Studie sind bereits im Titel eingefangen: Die Ausgangskonstellation war dadurch gekennzeichnet, dass das Vermögen der NS-Organisationen und des Deutschen Reiches, da diese juristisch nicht mehr existierten, ohne rechtmäßigen Eigentümer dalag. Es gab keinen natürlichen Empfänger, dem es zu übertragen gewesen wäre. Die weitere Entwicklung war also weitgehend offen. Verschiedene Akteure richteten freilich begehrliche Blicke auf das betroffene Vermögen. Die daraus resultierenden Konflikte und Aushandlungen zogen sich bis in die 1970er-Jahre hin und bilden den Hauptgegenstand des Buches.
Die Arbeit ist in drei größere thematische Kapitel aufgeteilt. Im ersten geht es um die Kontrolle des NS- und Reichsvermögens unter alliierter Besatzung. Das britische Militärregierungsgesetz Nr. 52 bestimmte, dass dieses Vermögen unmittelbar nach Beginn der Besatzung zu sperren und zentraler Kontrolle zu unterwerfen war. Die Umsetzung verlief in der unmittelbaren Nachkriegszeit etwas chaotisch, vermutlich wurden zahlreiche Werte gegen Kriegsende geplündert oder entwendet. Schon früh wurden deutsche Stellen in die Erfassung und Verwaltung des NS- und Reichsvermögens eingebunden. Diese Aufgaben übernahmen zunächst die Oberfinanzpräsidien, die in der Nachkriegszeit ein in der Luft schwebendes Überbleibsel der Reichsverwaltung darstellten, aber einsatzbereit und sachkompetent waren. Nach und nach übernahmen dann die in allen Bundesländern geschaffenen Landesämter für Vermögenskontrolle die Aufgabe. Die Struktur des Kontrollvermögens war vielgestaltig: Es bestand aus Immobilien, Bankguthaben, Unternehmensbeteiligungen und offenen Forderungen, aber natürlich auch aus Verbindlichkeiten. Einen scharfen Schnitt bewirkte die Währungsreform von 1948. Die Geldguthaben von NS-Organisationen und des Reiches wurden dabei nicht auf die neue Währung umgestellt, sodass diese erloschen. Allerdings gab es auch Ausnahmen, über deren Anwendung mittlerweile allein deutsche Stellen entschieden. So kam es, dass etwa ein Drittel der betroffenen Guthaben doch noch umgestellt wurden.
Das zweite Kapitel widmet sich dem ehemaligen Vermögen der NSDAP und anderer NS-Organisationen, die von den alliierten Besatzern verboten worden waren. Die Kontrollratsdirektive Nr. 50 unterschied bezüglich dieses Vermögens zwischen Neuvermögen, das erst nach 1933 generiert worden war, und Altvermögen, das die NS-Machthaber seinen ursprünglichen Eigentümern entzogen hatten. Das betraf zum Beispiel das Vermögen von Konsumgenossenschaften und Gewerkschaften sowie von politischen Organisationen, Vereinen und Parteien, die im Zuge der NS-Machtübernahme enteignet worden waren. Mehrere Ausschüsse organisierten die Rückübertragung dieses Vermögens. Anspruch darauf konnten Organisationen erheben, die als Rechtsnachfolger der früheren Organisationen anzusehen waren. Im Falle der Konsumgenossenschaften, die von den britischen Besatzern mit großer Sympathie behandelt wurden, verlief die (Rück-)Übertragung ziemlich reibungs- und konfliktfrei. Etwas anders sah dies bei den Gewerkschaften aus, deren Vermögen 1933 der Deutschen Arbeitsfront zugeschlagen worden war: Es war nicht die Politik der Besatzungsmacht, die unübersichtliche und politisch gespaltene Gewerkschaftslandschaft der Weimarer Republik wieder aufleben zu lassen. Sie bevorzugten daher die nach dem Krieg entstehenden Großgewerkschaften, den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG), die den allergrößten Teil des früheren Gewerkschaftsvermögens unter sich aufteilen konnten. Zahlreiche andere Bewerber, die den Anspruch erhoben, Rechtsnachfolger während der NS-Herrschaft untergegangener Organisationen zu sein, hatten es da erheblich schwerer, weil auch die Bundesländer auf das ehemalige NS-Vermögen schielten und sich letztlich große Teile davon selbst sichern konnten. Individuelle Ansprüche wurden dabei nicht selten hemdsärmelig beiseitegeschoben.
Während die Besatzungsmächte richtungsweisende, aber im Detail wenig präzise Vorgaben gemacht hatten und bis in die 1950er-Jahre hinein mitredeten, wurde der Handlungsspielraum der deutschen Akteure im Umgang mit dem NS- und Reichsvermögen im Laufe der Zeit immer größer, bis dieser in den 1960er- und 1970er-Jahren eine rein deutsche Angelegenheit wurde. Das betraf vor allem das ehemalige Reichsvermögen, um das es im dritten Kapitel geht. Unter den Alliierten bestand zunächst Uneinigkeit in der Frage, was mit diesem Vermögen passieren sollte. Amerikaner und Franzosen erließen in ihren Besatzungszonen Gesetze, die das Reichsvermögen den Ländern übertrugen, und wollten damit die föderale Struktur eines zukünftigen deutschen Staates stärken. Die Briten hingegen beließen die Verwaltung des Reichsvermögens vorerst bei den Oberfinanzpräsidien, um es einer kommenden Zentralregierung zu sichern. Das bundesdeutsche Grundgesetz bestimmte im Artikel 134 jedoch, dass das ehemalige Reichsvermögen grundsätzlich in Bundesvermögen zu überführen sei. Vermögen allerdings, das für Zwecke eingesetzt wurde, für die nun die Bundesländer zuständig waren, sollten diesen übertragen werden. Wie dieser Regelungsrahmen zu interpretieren sei, darüber ergaben sich nun jahrzehntelange Verhandlungen zwischen Bund und Ländern und zahlreiche Streitfälle im Einzelnen. Letzte Ansprüche Hamburgs gegen den Bund wurden in einem Vergleich 1974 geregelt, und über einige verfallene Bunkeranlagen, die keine der Streitparteien übernehmen wollte, musste noch in den 1980er-Jahren der Bundesgerichtshof entscheiden.
Im Ergebnis tritt klar zu Tage, dass die Verteilung des NS- und Reichsvermögens nach 1945 nicht die Wiederherstellung eines früheren Zustandes darstellte, sondern eine Neu-Vergabe von Vermögen bedeutete, die zeitgenössischen Interessen und Machtverhältnissen folgte. Die Besatzungsmächte nahmen zunächst eine prägende Rolle in diesem Prozess ein, zogen sich aber schließlich immer stärker zurück. Wichtige Entscheidungen der frühen Nachkriegszeit erzeugten indes eine starke Pfadabhängigkeit, die unter anderem bewirkte, dass unterm Strich die Bundesländer als Gewinner aus dem Rangeln um das NS- und Reichsvermögen hervorgingen. Sie waren schlichtweg zuerst da und verfügten über einen Verwaltungsapparat, der große Teile des betroffenen Vermögens bereits in Beschlag genommen hatte, als andere Akteure auf der Bühne erschienen. Während das beschlagnahmte Vermögen einzelner prominenter Nationalsozialisten in der deutschen Medienöffentlichkeit immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich zog, spielten sich im Übrigen die hier untersuchten Verhandlungs- und Verteilungsprozesse weitgehend ohne öffentliche Resonanz ab. Dies war auch ein Grund dafür, warum die oftmals problematische Herkunft des Vermögens darin kaum eine Rolle spielte, wenn sich Bund und Länder gegenseitig mit zum Teil ziemlich fragwürdigen Manövern einzelne Vermögensteile abzujagen suchten und auch wenig nachvollziehbar begründete Ansprüche hartnäckig weiterverfolgten. Das Verdienst der Arbeit ist es vor allem, die zum Teil juristisch komplizierte Materie verständlich aufbereitet und das mitunter etwas trockene Geschehen in eine gut lesbare Darstellung gebracht zu haben. Diese schließt eine Forschungslücke im klassischen Sinne.