Der Titel, schwer verständlich, ist Programm. Fergusons voluminöser Essay ist eine Kampfschrift gegen die Fukuyamas und Kennedys dieser Welt, die eine ökonomische Eigenlogik am Werke sehen, die entweder der Geschichte ihr Telos vorgibt (Fukuyama), oder die Spielregeln des historischen Prozesses unmißverständlich und unveränderlich festlegt (Kennedy). Derartige Texte mag Ferguson nicht; weder glaubt er, daß sich Kapitalismus und Demokratie gleichsam automatisch durchsetzen und ihr Sieg das Ende der Geschichte markiert, noch teilt er Kennedys Auffassung, daß der Versuch zur politischen Gestaltung der internationalen Verhältnisse im „imperial overstretch“ enden müsse. Fergusons politische Botschaft lautet hingegen: die gegenwärtige Globalisierung bedarf ebenso wie die Globalisierung des 19. Jahrhunderts der imperialen Steuerung; allein auf die ökonomische Entwicklungsdynamik zu vertrauen, sei falsch und fatal. Während heute die Aufgabe des „Weltpolizisten“ auf die USA zukomme, sei sie, so Ferguson, im 19. Jahrhundert von Großbritannien „geschultert“ worden, das hierzu aufgrund der Effizienz seiner politischen und finanziellen Institutionen auch in der Lage und willens war, letztlich aber vor einer offensiven Politik der Stärke gegenüber seinen imperialen Rivalen (insbesondere Deutschland) zurück- und diese daher von ihren kriegerischen Ambitionen nicht wirksam abschreckte. Der Preis für diese „Unterforderung“, so nennt Ferguson Großbritanniens vermeintliche militärische Zurückhaltung, seien zwei teure und verheerende Kriege gewesen, in deren Folge Großbritannien seine politische und wirtschaftliche Bedeutung verloren habe. Fergusons Rat an die USA ist daher, die Globalisierung durch eine imperiale Politik der Stärke zu steuern und zwar so, wie sie es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg getan hätten. Gegenwärtig aber (das Buch ist vor dem 11. September 2001 geschrieben worden!) würden die USA dieser Herausforderung nicht gerecht. Ferguson gibt daher den Rat: „Statt sich wie eine Riesenschnecke hinter ein elektronisches Schutzschild (die geplante Raketenabwehr, W.P.) zurückzuziehen, sollten die Vereinigten Staaten ganz im Gegenteil einen größeren Teil ihrer gewaltigen Ressourcen dafür einsetzen, die Welt für Kapitalismus und Demokratie sicher zu machen. Dieses Buch hat zu zeigen versucht, daß das nicht auf natürliche Weise geschieht, sondern nur auf der Grundlage starker institutioneller Grundlagen von Gesetz und Ordnung. Die angemessene Rolle für ein imperiales Amerika besteht darin, die erforderlichen Institutionen durchzusetzen, wo sie fehlen, wenn notwendig - wie 1945 im Falle Deutschlands und Japans - durch militärische Gewalt.“ (388f) Stichhaltige Gegenargumente mag Ferguson nicht erkennen. Daß die USA in seinen Augen ihrer Rolle gegenwärtig nicht gerecht werden, hat daher auch ganz andere als sachliche Ursachen; im Kern ist es Charakterschwäche: „Die Gründe (für Amerikas Zurückhaltung, W.P.) liegen in einer ideologischen Enttäuschung angesichts der Handhabung imperialer Macht; hinzu kommt eine übertriebene Vorstellung von der Reaktion Rußlands und Chinas und eine kleinmütige (!) Furcht vor dem Verlust von Soldaten. Kurzum, die größte Enttäuschung, mit der die Welt im 21. Jahrhundert konfrontiert ist, besteht darin, daß jener Staat, der über die ökonomischen Ressourcen verfügt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, nicht genügend Charakterstärke besitzt, das Entsprechende zu tun.“ (389)
Diese Charakterschwäche, so legen Einleitung und Schlußkapitel nahe, hat etwas mit der Überschätzung ökonomischer Handlungsmotive und -anreize zu tun, wie sie im ökonomischen Denken vorherrscht. Ferguson plädiert daher dafür, die historische Entwicklung weder strukturell noch individuell auf ökonomische Faktoren oder wirtschaftliche Motive zu reduzieren. Strukturell seien politische und militärische Auseinandersetzungen häufig einflußreicher als ökonomische Faktoren gewesen, individuell, so Fergusons Einsicht, gehe es wohl auch komplexer zu: „Die Grundannahme dieses Werkes lautet, daß diese miteinander in Konflikt liegenden Impulse, nennen wir sie der Einfachheit halber Sex, Gewalt und Macht, einzeln oder gemeinsam wichtiger sein können als Geld, als das ökonomische Motiv.“ (20) Die Befreiung aus der Vorstellung, die Ökonomie sei der entscheidende Faktor, bietet mithin nach des Verfassers Auffassung die Grundlage für ein angemessenes Begreifen institutioneller Strukturen und politischen Handelns. Ob eine derartige Befreiung aus den Fesseln des Geldes dann auch zur Beseitigung der von Ferguson im Falle der USA konstatierten Charakterschwäche beitragen kann, beantwortet er nur indirekt. Nachdem er auf mehreren hundert Seiten die Entstehung des Staates, der unterschiedlichen Besteuerungssysteme, der Staatsschulden etc. und ihrer Entwicklung ausgebreitet und die These vertreten hat, daß eine effiziente (d.h. eine nach dem britischen Vorbild des späten 18. Jahrhunderts angelegte) institutionelle Struktur auch die höchste finanzielle Leistungskraft besitze, kommt er zu dem Schluß: „Wie effizient auch immer das Steuersystem sein mag, wie repräsentativ das Parlament, wie liquide der Anleihemarkt ist und ganz abgesehen von der Qualität der Währungspolitik, die Legitimität des Staates hängt am Ende von Unwägbarkeiten ab: von Traditionen, also den Erinnerungen an Leistungen in der Vergangenheit, von Charisma, also der Wirkung, die von gegenwärtigen Führern ausgeht, von populären Überzeugungen, etwa dem Glauben an materielle oder spirituelle Belohnung in der Zukunft, und schließlich von Propaganda, also der Manipulation der Medien durch den Staat, die all dies unterstützt.“ (396f)
Fergusons Buch ist ein politisches Bekenntnis, das um die Referierung von älteren eigenen Arbeiten (zur deutschen Inflation, zum Ersten Weltkrieg, zum Hause Rothschild) und Lektürefrüchten herum gruppiert die Botschaft sendet, daß es letztlich politische Fehler waren, die Englands imperialen Niedergang bedingten, und daß die USA aus „Charakterschwäche“ dazu neigten, den selben Fehler zu wiederholen. Die mittleren Kapitel des Buches bringen einige wirtschaftshistorisch durchaus interessante, freilich durchweg bekannte Informationen und Diskussionen zur langfristigen Entwicklung von Staatseinannahmen, -ausgaben und Schuldenverwaltung, doch ändern sie den politischen Charakter dieser Schrift nicht. Es wäre daher auch ganz abwegig, ein Buch, das erkennbar keine historiographische, sondern eine rhetorische Leistung aus politischer Absicht darstellt, einer wissenschaftlichen Konsistenzprüfung (die angesichts der Fülle der angesprochenen Themen und der mäandernden Gedankenführung auch nur schwerlich knapp zu leisten wäre) unterziehen zu wollen, etwa ob alle einschlägige Literatur verarbeitet ist oder die Zahlenangaben stimmen, zumal die eigentlichen Aussagen des Buches sich in einer Sphäre bewegen, von der man spätestens seit Max Weber wissen kann, das sie wissenschaftlicher Beurteilung nicht zugänglich ist. Viel würde ohnehin dabei nicht herauskommen: Fergusons theoretisch-methodische Überlegungen zur Bedeutung des Ökonomischen sind doch recht schlicht und erreichen kaum das einschlägige Diskussionsniveau etwa der gegenwärtigen wirtschaftssoziologischen Debatten in den USA und Europa; seine Vorstellung von der Gestaltbarkeit der internationalen Beziehungen ist simpel gewaltorientiert und unterschätzt die interaktive Dynamik der „Staatenkonkurrenz“ vollständig; hier hätte eine Auseinandersetzung mit Charles Tillys bedeutender Arbeit über die Geschichte der europäischen Staaten seit dem Mittelalter weiterhelfen können. Der Gedanke schließlich, es komme nur auf den imperialen Willen der USA an, um die Erfolgsgeschichte der Besetzung Deutschlands und Japans wiederholen zu können, ist historisch abwegig; es liegt nicht allein am Willen der Besatzer, ob die sich anschließende Entwicklung der Besetzten gelingt!
Ferguson zu kritisieren bzw. seine Argumente als „politisch“ zu qualifizieren, heißt nun nicht, den ebenfalls politisierenden Fukuyamas und Kennedys Recht zu geben. Im Gegenteil! Ferusons Kritik an den Großentwürfen, die im angelsächsischen Sprachraum seit einiger Zeit en vogue sind, man denke nur an Landes‘ Apotheose des Westens, ist durchaus nachvollziehbar. Man kann die europäisch-amerikanische Zivilisation auch begrüßen, ohne ihr einen vulgär-hegelianischen Anstrich zu verschaffen. Sie ist und bleibt ein evolutionärer Zufall, den historisch aufzuklären lohnt. Nur: diesen historischen (i.e offenen, singulären und sich nicht wiederholenden) Entwicklungsprozeß auf einen, zumal politischen Faktor zu verkürzen, der dann selbst wiederum nicht erklärt wird, reicht eben als Begründung der Kritik an den Fukuyamas und den Kennedys nicht aus. Und auch als politische Empfehlung gegenüber einer unverfügbaren Zukunft mag man Fergusons Rezept imperialer Politik nicht so recht folgen, fehlt es ihr letztlich doch an der nötigen Subtilität. Mais: que sais je?