Cover
Title
Wandel durch Tourismus. Spanien als "Strand Europas", 1950–1983


Author(s)
Glaser, Moritz
Series
Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 34
Published
Konstanz 2018: UVK Verlag
Extent
391 S., 8 Tabellen, 14 SW-Abb.
Price
€ 49,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Moisés Prieto, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Seit einigen Jahren erfreut sich die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Tourismus im Nachkriegsspanien eines wachsenden Interesses. Das autoritäre Regime General Francisco Francos, das aus dem Sieg im spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) hervorgegangen war, erfuhr durch den Tourismus seit den 1950er-Jahren einen radikalen Imagewandel und durch die Devisen der Touristen einen wirtschaftlichen Aufschwung. Besonders die Arbeiten von Sasha D. Pack und Justin Crumbaugh1 zeugen von unterschiedlichen Herangehensweisen und Thesen, um die Bedeutung des Tourismus für die Franco-Diktatur zu interpretieren. Die Monografie von Alicia Fuentes Vega2 zur visuellen Vermarktung spanischer Ferienziele reiht sich ebenso in diese vielversprechende Strömung ein.

Auch Moritz Glasers 2016 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel verteidigte Dissertation, die nun in Buchform vorliegt, ist hier zu verorten. Anhand einer Vielzahl von Quellen aus verschiedenen Archiven untersucht Glaser die Auswirkungen des Tourismusbooms in drei spanischen Provinzen mit den höchsten Touristenzahlen zwischen 1950 und 1983: Gerona (Costa Brava), Mallorca (mit Orten wie Magaluf und Calviá) und Málaga (Torremolinos). Glaser vertritt in der Einleitung die These, „dass der ausländische Tourismus in den untersuchten Regionen zum zentralen Dreh- und Angelpunkt sowohl gesellschaftlicher Debatten und Zukunftsvorstellungen als auch struktureller Rahmenbedingungen wurde“ (S. 31). Dies soll mit Ansätzen aus der Globalgeschichte, der Ethnologie im Sinne eines Transfers von Mentalitäten und Haltungen sowie der Raumtheorie belegt werden.

Das zweite Kapitel dient als Überblick und Kontextualisierung des Tourismus innerhalb der franquistischen Politik. Im Zeichen des Kalten Krieges entdeckte der Westen das spanische Regime als neuen Verbündeten im Kampf gegen den Kommunismus, während Spaniens Tagespolitik in die Hände neoliberaler „Opus Dei“-Technokraten gelegt wurde. Diese strebten eine Industrialisierung des Landes an, welche mittels Devisen aus dem Tourismus ermöglicht werden sollte. War das Regime durch die Tourismus-Förderung bestrebt, sein Image im Zeichen von Stabilität und Ordnung aufzubessern, so sollte der autoritäre und repressive Aspekt der Franco-Herrschaft für die Touristen keine Rolle spielen. Vielmehr erlaubte der Spanientourismus eine Reise in eine exotische Vergangenheit, wobei Anfang der 1960er-Jahre ein Spanienbild vermarktet wurde, das ebenso von Fortschritt und Moderne zeugen sollte.

Nach einem kurzen Überblick zum frühen Spanientourismus des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts setzt das dritte Kapitel bei der eigentlichen Touristifizierung der drei ausgewählten Provinzen an. Glaser betrachtet die lokalen und regionalen Akteure (Kommune, Zivilgouverneure der jeweiligen Provinz) und ihre Umsetzungen zentralstaatlicher Förderpläne. Große Bedeutung räumt er auch den baulichen Maßnahmen und den touristischen Infrastrukturen ein. Dazu gesellen sich ausländische Tourismusunternehmer als zusätzliche Akteure. Ein wichtiger Punkt in diesem Kapitel ist der große Handlungsspielraum der Kommunen, die Baupläne genehmigen oder verwerfen konnten (S. 92). Glaser konzentriert sich dann auf die unterschiedlichen Bebauungsintensitäten in den untersuchten Orten. Zu den wichtigsten spezifisch touristischen Infrastrukturen zählt er die Wasserversorgung, den Ausbau öffentlicher Straßen und den Bau des Flughafens von Gerona (1967 eröffnet). Letztere Maßnahme war von entscheidender Bedeutung für die Etablierung der Flugpauschalreisen, die von deutschen und britischen Reiseanbietern offeriert wurden. Aus den Interessen der spanischen Hoteliers und europäischen Reiseunternehmen entwickelte sich eine lukrative Partnerschaft. Bettenkontingentierung und ausländische Kredite an spanische Hotels waren übliche Praktiken. Der enorme Ausbau des Tourismus spiegelte sich auch in der spanischen Demografie – am Beispiel der Binnenwanderung aus ärmeren Regionen in die untersuchten Ferienorte.

Im vierten Kapitel werden die Grenzen der Tourismus-Euphorie anhand von Konflikten aufgezeigt. Der Streit um den Bau einer Ölraffinerie oder eines Lagersilos – zweier Infrastrukturen, welche den Tourismus beeinträchtigen würden –, belegt zwar den unantastbaren Status des Tourismus als gewinnbringende Wirtschaftsbranche und Wachstumsmotor erster Güte, doch zugleich zeigen sich hier zwei Arten, Modernisierung zu verstehen: (klassische) Industrie versus Tourismus. Wichtig ist hier zu bemerken, dass sich die Debatte innerhalb des diktatorischen Rechtsrahmens artikulierte, d.h. das Regime wurde nicht in Frage gestellt (S. 204). Ab den 1970er-Jahren kam das Argument der Umweltgefährdung durch den Tourismus in die Debatte. Wasserverschmutzung, Bedrohung der lokalen Flora und Fauna sowie die Verbauung der Küstenregionen wurden als Schattenseiten einer ungezügelten Tourismusförderung betrachtet. Natur- und Umweltschutzbewegungen setzten sich mit partiellem Erfolg für die Schaffung von Naturschutzgebieten auf Mallorca ein, während sich Bürgerinitiativen gegen die Bebauung von „pittoresken Landschaften“ an der Costa Brava wehrten.

Das fünfte Kapitel untersucht die Wechselwirkung zwischen Touristen und Einheimischen. Die spanische Kirche sah sich in ihrer Rolle als Hüterin der Sitten berechtigt, gewisse Praktiken von ausländischen Reisenden wie das Bikini-Tragen zu verurteilen. Obschon die Polizei anfangs Geldstrafen für das Tragen von Badebekleidung in einer Bar verhängte, wurden solche moralischen Standards allmählich überwunden. Am Beispiel des Stierkampfes und des Nachtlebens (insbesondere der Flamenco-Shows) verdeutlicht Glaser einerseits die Heterogenisierung des Spanienbildes in Bezug auf die ausländischen Tourist/innen, andererseits die Wahrnehmung Spaniens als Konglomerat von Stereotypen vornehmlich andalusischer Herkunft.

Das sechste Kapitel ist ein „Exkurs“ über die „Rückwirkungen des Massentourismus“ auf die Bundesrepublik als besonders wichtiges Herkunftsland der Reisenden. Spanische Restaurants in der Bundesrepublik waren eine Folge der Migration spanischer „Gastarbeiter“, doch wurden hier ausdrücklich touristische Erfahrungen evoziert.

Schließlich fasst Glaser seine Thesen zusammen. Die Kontinuität des Tourismus-Modells wird vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Akteure und Interessengruppen konjugiert und dadurch auch bestätigt. Zur Frage nach dem demokratisierenden Potential des Tourismus vermerkt der Autor, dass die Tourismus-Debatte besonders Anfang der 1970er-Jahre zu einem Vehikel wurde, Kritik am Regime zu üben (S. 352).

Das Buch ist ein exzellent recherchiertes Werk mit einer klaren Struktur und einer eleganten Sprache. Obschon die Verweise auf bestimmte Akteure bisweilen etwas anonym wirken, ist das Buch fern von einer sterilen Verwaltungsgeschichte. Die Bezüge auf unterschiedliche Theorien benachbarter Disziplinen verleihen dem Werk einen anspruchsvollen Charakter. Indessen scheint die Einbettung von raumtheoretischen Hinweisen wie etwa auf Marc Augés „Nicht-Orte“ (S. 235) oder auf Michel Foucaults Heterotopie-Begriff (S. 275) zu wenig ausgearbeitet.

Glaser betont zu Beginn seiner Studie, dass mit „Touristen“ immer Ausländer gemeint waren, zumal sich Inländer generell keine vergleichbaren Ferien hätten leisten können (S. 30). Dies stimmt allerdings nicht für jene Spanier, die sich als „Gastarbeiter“ im Ausland befanden und dadurch über ein höheres Einkommen als ihre Mitbürger im Mutterland verfügten. Zwar war diese Gruppe im Vergleich zur Anzahl ausländischer Touristen eher klein, doch benutzte das Regime ähnliche Marketingstrategien im Umgang mit seinen im Ausland verweilenden Bürgern und animierte sie dazu, in den Ferien andere Orte Spaniens zu besuchen.3

Es ist wichtig, wie Glaser es tut, auf die rechtlichen Handlungsspielräume der Franco-Diktatur hinzuweisen – erwähnt wird hier das Pressegesetz von 1966, das eine gewisse Liberalisierung nach sich zog. Allerdings fehlen wichtige Informationen über den franquistischen Verwaltungsapparat und die Kompetenzbereiche der Zivilgouverneure und Bürgermeister. Es ist auch etwas verkürzt, einen „politischen Bruch von 1975“ (S. 335) anzunehmen, da Francos Tod in diesem Jahr nicht mit dem Abbau diktatorischer Strukturen gleichzusetzen ist. Gerade das Zusammenleben der 1977 im Zuge des Demokratisierungsprozesses wiederhergestellten Generalitat (Regionalregierung Kataloniens) mit Bürgermeistern und Zivilgouverneuren, die noch zu Francos Zeiten ernannt worden waren, wirft Fragen über mögliche Kompetenzkonflikte im Bereich des Tourismus und des Landschaftsschutzes auf.

In der mit ökologischen Argumenten vertretenen Kritik am Tourismus sieht Glaser demokratisierende Effekte (S. 353). Dabei gerät jedoch in Vergessenheit, dass spanische Proteste gegen die Umweltverschmutzung durch die Industrie auf die 1950er-Jahre zurückgehen.4 Sollte man also nicht stärker in diesen Frühformen sozialer Bewegungen, die sich für sauberes Wasser und reine Luft einsetzten, eine demokratisierende Wirkung erkennen?

„Wandel durch Tourismus“ ist ungeachtet dieser kritischen Nachfragen ein wertvoller Beitrag zur Tourismusforschung, der auch einem spanischsprachigen Publikum zugänglich gemacht werden sollte.

Anmerkungen:
1 Justin Crumbaugh, Destination Dictatorship. The Spectacle of Spain’s Tourist Boom and the Reinvention of Difference, New York 2009; Sasha D. Pack, Tourism and Dictatorship. Europe’s Peaceful Invasion of Franco’s Spain, New York 2006.
2 Alicia Fuentes Vega, Bienvenido, Mr. Turismo. Cultura visual del boom en España, Madrid 2017.
3 Luís M. Calvo Salgado, La fotografía en Carta de España, in: ders. u.a. (Hrsg.), Historia del Instituto Español de Emigración, Madrid 2009, S. 277–292, http://www.zora.uzh.ch/id/eprint/34786/1/HistoriaInstiEspEmigr.pdf (28.07.2018).
4 Pablo Corral Broto, Sobreviviendo al desarrollismo. De las desigualdades ambientales a las luchas por la justicia ambiental en la dictadura franquista (1950–1979), Documentos de Trabajo 2009-3, http://www.ceddar.org/content/files/articulof_310_01_DT2009-3.pdf (28.07.2018); Bernat Muniesa, Dictadura y monarquía en España. De 1939 hasta la actualidad, Barcelona 1996, S. 128.