Cover
Titel
Beyond the Racial State. Rethinking Nazi Germany


Herausgeber
Pendas, Devin O.; Mark Roseman, Richard F. Wetzell
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 533 S.
Preis
€ 93,65
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Süß, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

Manche Bücher haben ihre eigene Geschichte: The Racial State von Michael Burleigh und Wolfgang Wippermann erschien 1991 und stand, mit zahlreichen Neuauflagen, über viele Jahre auf beinahe jeder „reading list“ britischer und amerikanischer Universitäten.1 Ganz anders in Deutschland: Ein deutscher Verlag fand sich für das Buch nicht, und hierzulande galt es in den 1990er-Jahren eher als eine Art „Geheimtipp“ für diejenigen, die sich für das damals noch keineswegs fest etablierte Feld nationalsozialistischer Sozial- und Rassenpolitik interessierten. Zum „Standardwerk“ jedenfalls avancierte es nicht. Und Studierende griffen lieber zu anderen Gesamtdarstellungen. Diese ungleiche Rezeptionsgeschichte, der eigens nachzugehen sich lohnen würde, muss man im Kopf behalten, wenn man den Band von Devin O. Pendas, Mark Roseman und Richard F. Wetzell Beyond the Racial State liest – und das lohnt sich, um es gleich vorweg zu sagen.

Aber noch einmal zurück. Worum ging es bei Burleigh und Wippermann? Ihr Buch war eine sich gerade auch an Studierende richtende Gesamtdarstellung der Geschichte des Nationalsozialismus, gleichwohl aus einer sehr eigenen Perspektive. Im Mittelpunkt ihrer Argumentation stand die Transformation des deutschen Klassen- in einen nationalsozialistischen „Rassenstaat“. Ihr Buch wandte sich mit Nachdruck gegen alle Versuche, den Nationalsozialismus als Teil einer Krisengeschichte der Moderne (Detlev Peukert) zu verstehen, und betonte, das „Dritte Reich“ sei „novel and sui generis“ und „a singular regime without precedent or parallel“2 gewesen.

Das Buch atmete noch ganz den Geist der Debatten um die Modernisierung des Nationalsozialismus und ließ sich auch als Plädoyer für eine intentionalistische Lesart der nationalsozialistischen Massenverbrechen lesen. Zugleich gab die Darstellung aber gerade den neueren Forschungen zur Sozial- und Sexualpolitik des „Dritten Reiches“ einen breiteren Raum – und integrierte die Geschichte der Judenverfolgung in das weitere Themenfeld der „Purification of the Body of the Nation“. Eine besondere Stärke lag sicher in dem umfassenden Versuch, die tiefe Verankerung rassistischer Ideen als Kernmerkmal der deutschen Gesellschaftsordnung besonders zu akzentuieren und die enge Verflechtung von Rassen- und Sozialpolitik zu betonen. Und doch blieb, wie auch die keineswegs nur euphorische Rezeption schon damals betonte, manche blinde Stelle: Krieg und Besatzungspolitik erhielten in der Darstellung nur wenig Raum, und schon beim Erscheinen bemerkten kritische Kommentatoren wie Richard Overy3, dass die Autoren zu wenig darüber nachgedacht hätten, wie die besondere Rolle und Funktion des Rassismus im deutschen Fall zu erklären sei.

Von einem „Racial State Paradigm“ war man zu diesem Zeitpunkt jedenfalls ein gutes Stück entfernt, und man wird womöglich darüber streiten können, ob es ein solches je gegeben habe. Nur ein kleiner Teil der Autorinnen und Autoren des nun erschienenen Sammelbands von Pendas, Roseman und Wetzell nimmt die Debatte über den „Racial State“ in ihren Beiträgen auf, was insgesamt etwas bedauerlich ist, weil damit der Grundimpuls des Bandes ein wenig verpufft. Das ist auch deshalb schade, weil die Einleitung der Herausgeber das Potential andeutet, das in der Auseinandersetzung steckt. Denn Beyond the Racial State verweist auf mindestens vier Problemfelder, die in den vergangenen Jahren Gegenstand intensiver Forschung geworden sind: Die Frage nach der Selbstmobilisierung der deutschen Gesellschaft für das nationalsozialistische Projekt; die Integrationskraft völkisch-rassistischer Ideenamalgame und ihre Breitenwirkung allen voran in den Wissenschaften; die territoriale Weitung des „Racial State“ weit über die Grenzen des „Altreiches“ hinaus, und schließlich die Auseinandersetzung um die kolonialen Wurzeln des Genozids und die analytische Kraft des Vergleichs und der Beziehungsgeschichte autoritär-faschistischer Regime. All diese Aspekte spielten im Racial State keine besondere Rolle – und sie sind der Anlass für die Autorinnen und Autoren, über neue Perspektiven der NS-Geschichte nachzudenken. Mark Roseman beispielsweise macht sich dafür stark, den Nationalsozialismus stärker in den Traditionslinien eines radikalen Nationalismus seit dem Ersten Weltkrieg zu verorten. Der Rassismus alleine könne jedenfalls die Gewalt nicht erklären. Die Beiträger der ersten Sektion, neben Roseman Donald Bloxham, Pascal Grosse und Devin Pendas, argumentieren mit unterschiedlichen Schwerpunkten insgesamt dafür, den Nationalsozialismus stärker vergleichend zu interpretieren und ihn – in unterschiedlicher Weise – in eine Geschichte europäisch-imperialistischer Politik zu integrieren. Wie weit solche Vergleiche führen, wird man sehen. Devin Pendas‘ Versuch jedenfalls, die rassistische Politik des Nationalsozialismus mit dem Apartheid-Regime in Südafrika und den Südstaaten der USA in der Jim-Crow-Ära zu vergleichen, bleibt insgesamt doch recht vage, weil alle methodischen Probleme des Vergleichs unausgesprochen bleiben.

Die Mehrheit der Beiträge ist für sich genommen anregend und basiert auf vorherigen, vielfach größer angelegten Forschungen, die hier noch einmal zusammengeführt werden. Dabei geht es unter anderem um Eugenik und Rassenpolitik, um das Verhältnis von „Emotion and Race“ in der Frauen- und Geschlechterpolitik, die Auseinandersetzung um den Begriff der „Volksgemeinschaft“, um Krieg, Gewalt und Sexualität und die Vorstellung von „Volk“ und „Rasse“ in der Besatzungspolitik. Besonders lohnend ist die Lektüre, wenn die Autorinnen und Autoren (wie Nick Stargardt oder Regina Mühlhäuser) die vielfach widersprüchlichen sozialen Kohäsionskräfte der Volksgemeinschaft und unterschiedliche soziale Praktiken im Krieg thematisieren und dabei deutlich machen, dass gerade in der beständigen Neudefinition von Zugehörigkeiten ein Element der Radikalisierung und auch der Möglichkeit zur Herstellung von Loyalität bestand.

Bemerkenswert bleibt gleichwohl, was gerade nicht Beyond the Racial State liegt: Das weite Feld der Sozial- und Alltagsgeschichte kommt allenfalls am Rande vor (bei Michael Wildt beispielsweise), aber Fragen nach Arbeit, Recht, Glaube und Kultur, nach Wohnen, Konsumieren, Beten, die alle in vielfältiger Weise rassistisch aufgeladen und vielfach neu kodiert werden, bleiben doch recht blass. Sie scheinen nicht so recht im Trend zu liegen. Nicht im Racial State von 1991 – und auch nicht jetzt. Darüber lohnt sich das Nachdenken – und der Band lädt uns dazu ein, über diese neuen und alten Prioritäten mit neuer Energie zu streiten.

Anmerkungen:
1 Michael Burleigh / Wolfgang Wippermann, The Racial State. Gemany 1933–1945, Cambridge 1991.
2 Ebd., S. 306f.
3 Richard Overy, Review, in: History Workshop 35 (1993), S. 254–255.

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