C. Michels: Antoninus Pius und die Rollenbilder des römischen Princeps

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Titel
Antoninus Pius und die Rollenbilder des römischen Princeps. Herrscherliches Handeln und seine Repräsentation in der Hohen Kaiserzeit


Autor(en)
Michels, Christoph
Reihe
Klio. Beihefte, Neue Folge 30
Erschienen
Berlin 2018: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 419 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Schipp, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Antoninus Pius gilt als der große Langweiler unter den römischen Kaisern. Sein Umfeld war nicht skandalträchtig, er tyrannisierte nicht den Senat, ja nicht einmal eine liebenswerte Marotte ist von ihm bekannt. Der Mann ohne besondere Eigenschaften wurde zudem nie an der Front gesehen. Daran kann auch Christoph Michels in seiner nun publizierten Habilitationsschrift grundsätzlich nichts ändern. Gleichwohl vermag er, die bislang vernachlässigte oder doch zumindest einseitige Darstellung des „frommen“ Kaisers zu differenzieren und damit dem (vermeintlich?) langweiligen Antoninus Pius neue Seiten abzugewinnen.

Dies gelingt, obwohl das erste Kapitel, welches der Darlegung der methodisch-theoretischen Grundlagen dient, nicht stringent formuliert ist und eher verwirrt, als eine übersichtliche Arbeitsgrundlage zu bieten. Der Leser erfährt lediglich, dass die Ansätze von Millar, Lendon und Ando (S. 18) trotz ihrer Plausibilität nicht angewandt werden sollen.1 Angestrebt werde vielmehr die Rekonstruktion der Herrschaftsgestaltung durch Antoninus Pius, und es soll ein Beitrag zum Gesamtbild kaiserlicher Handlungsspielräume und Repräsentation geleistet werden. Welchen Weg Michels dabei einzuschlagen gedenkt, bleibt zunächst offen, da zwar alle möglichen Theorien und Konzepte beschrieben werden (S. 7–17), Michels sich aber nicht auf eine zu präferierende Methode festlegt. Die Vorüberlegungen spielen dann auch in der Untersuchung keine große Rolle.

Der problematische Herrschaftsübergang von Hadrian auf Antoninus Pius und die Übertragung des Titels pius stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Die für die eigene Legitimation notwendige Konsekration des Vorgängers gestaltete sich schwierig, da der Senat die Ermordung der vier Konsulare zu Beginn der Regierungszeit Hadrians nicht vergessen hatte. Ferner wurde Antoninus anfänglich kaum akzeptiert, weswegen es auch zu zwei Usurpationen gekommen sei. Erst durch geschickte Kommunikation mit den Senatoren habe er diese anfänglichen Schwierigkeiten überwunden, wie die Ehrung mit dem Titel pius belege. Pietas war schon eine wesentliche Herrschertugend des Augustus. Dass Antoninus diese bereits kurz nach seinem Herrschaftsantritt zugesprochen wurde, sei innovativ. Die multivalente Bedeutung des Titels pius, wie etwa die Pflichterfüllung dem Adoptivvater gegenüber, die Aussöhnung mit dem Senat und die Ehrung der verstorbenen Gemahlin, wird überzeugend herausgearbeitet.

Die Positionierung des Kaisers im Umgang mit Senat, Aristokratie und stadtrömischer Bevölkerung untersucht Michels im dritten Kapitel. Im Spannungsfeld zwischen den Rollen eines Monarchen und eines Mitbürgers fand Antoninus Pius einen Modus Vivendi, der ihn als nicht-autokratischen Herrscher erscheinen ließ, indem er trotz interpersoneller Nähe eine monarchische Distanz zu Standesgenossen und Bürgern wahrte. Michels gelingt es hierbei, die kaiserliche Kommunikation auszudifferenzieren. In persönlichen Begegnungen, per Brief oder in der numismatischen Repräsentation habe Antoninus Pius es verstanden, als civilis princeps angesehen zu werden. Ob dies seinem Charakter oder erlerntem Verhalten entsprach, bleibt dabei offen. In Krisenzeiten, wie während der beiden Usurpationsversuche zu Beginn seiner Herrschaft, habe Antoninus Pius sich durch clementia und modestia ausgezeichnet. Gegenüber der plebs sei der Kaiser freigebig gewesen, wobei er traditionellen Handlungsmustern folge. Nicht erklärbar sei hingegen das Fehlen eines Bauprogramms. Michels hebt zu Recht hervor, dass die civilitas nur ein antoninisches Teilimago sei und nicht zu dem vorschnellen Schluss führen dürfe, Antoninus Pius sei ein durch und durch ziviler Kaiser gewesen.

Nachdem das Bild der kaiserlichen Zivilität abgehandelt ist, wendet sich Michels im vierten Kapitel der kaiserlichen Familie zu. Wichtige Bindeglieder sind hier die Frauen. Die sakrale Überhöhung der verstorbenen Kaisergattin Faustina wie auch die Herausstellung der Kaisertochter und künftigen Kaiserin Faustina habe zum dynastischen Imago beigetragen, die Akzeptanz des Kaisers gefördert und schließlich die Nachfolge Mark Aurels (und des Lucius Verus) gewährleistet. Bei der Repräsentation der Familie rücken die numismatischen und archäologischen Quellen in den Fokus. Während die Münzen zuverlässig besprochen und eingeordnete werden, fehlt bei der archäologischen Bestandsaufnahme die Bautätigkeit außerhalb Roms völlig. Nicht nur die vom Kaiser in Rom initiierte, sondern auch die vom Kaiser gebilligte Bautätigkeit in den Provinzen hätte Michels in den Blick nehmen müssen. Es stellt sich die Frage, wie Antoninus Pius von den Provinzialen gesehen werden wollte. Hadrian war durch seine rege Reisetätigkeit überall im Imperium präsent. Selbst Trajan hielt sich lange Zeit an Rhein und Donau auf. Das Problem der kaiserlichen Präsenz in Abwesenheit kann daher von Antoninus Pius, der Italien nie verließ, in den Provinzen durch die Verbreitung von Münzen nur zum Teil behoben worden sein. Vielmehr müsste doch die Absenz des Antoninus Pius in einer veränderten kaiserlichen Repräsentation ihren Ausdruck gefunden haben. Vor allem die Bildnisse der kaiserlichen Familie und die Inschriften wären zu befragen gewesen.

Schließlich behandelt Michels im fünften Kapitel die Außenpolitik des Antoninus Pius. Das Wort Außenpolitik wird dabei manchmal unnötigerweise in Anführungszeichen gesetzt, denn, dass römische Kaiser Politik im neuzeitlichen Sinn betrieben, nimmt inzwischen niemand mehr an. Leider wird in diesem Zusammenhang die nebulöse Notiz der Historia Augusta (SHA Pius 5,3; 8,6), Antoninus Pius habe die Dauer der Statthalterschaften auf sieben bis neun Jahre erhöht, nicht diskutiert.2 Schon Eck stellte zwar fest, die übermäßige Verlängerung der Amtszeit hätte das ganze Beförderungssystem zusammenbrechen lassen, und auch von Alföldy wurde diese Aussage der Historia Augusta in Zweifel gezogen, aber dennoch kann letzterer eine Reihe von Statthaltern der antoninianischen Zeit nennen, die deutlich länger als die durchschnittliche Dienstzeit von drei Jahren amtierten.3 Da andere Statthalter nur zwei Jahre lang ihre Provinz verwalteten, hatte Antoninus Pius vielleicht doch die Amtszeiten den Bedürfnissen des Reiches und der Fähigkeit einiger Amtsträger angepasst. Auch das Beförderungssystem wäre dadurch nicht, wie Eck behauptet, aus dem Takt geraten, da die verschieden langen Amtszeiten sich ausgeglichen hätten. Auch vor Antoninus Pius waren Statthalter gelegentlich unüblich lange Zeit in ihrer Stellung, man denke nur an Agricola; aber lediglich Antoninus Pius scheint diese Maßnahme, wenn auch nicht auf sieben bis neun Jahre, häufiger und vielleicht auch gezielter angeordnet zu haben.

Die Beweggründe für den britannischen Krieg werden etwas zu weitschweifig und umständlich erörtert. In Anbetracht der fragmentarischen Quellenlage erscheint diese Fragestellung müßig. Ähnlich wie bei der Vorverlegung des Odenwaldlimes dürften in Britannien unter anderem versorgungswirtschaftliche und defensivstrategische Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Der Kaiser nutzte die verhältnismäßig ruhige Situation, um in diesen beiden stets gefährdeten Grenzabschnitten eine bessere Verteidigungsposition einzunehmen. Für Antoninus Pius war die Gebietserweiterung in Britannien zudem von doppelter Bedeutung: Erstens konnte er sich so als siegreicher Kaiser gerieren und zweitens stellte sie einen Kontrapunkt zur Herrschaftsübernahme des Hadrian dar. Beides diente der raschen Herrschaftssicherung des Adoptivkaisers. Die Rücknahme der trajanischen Eroberungen belastete Hadrians Renommee zeitlebens. Antoninus Pius steigerte hingegen sein Charisma durch die sofortige Ausdehnung des Reiches. Er sei daher, wie Michels überzeugend herausstellt, kein Friedenskaiser. Dennoch erlebten die Römer seine Regierungszeit, wohl dem Zufall geschuldet, als weitgehend ruhige und friedliche Periode.

Das anvisierte Ziel, Herrschaftsgestaltung und Repräsentation des Antoninus Pius zu rekonstruieren bzw. darzustellen, hat Michels durchaus erreicht. Zu begrüßen ist ferner der völlige Verzicht auf jegliches psychologisierende Ergründen der kaiserlichen Person. Das Private war bei römischen Kaisern immer auch öffentlich. Oder weshalb erfahren wir sonst Anekdoten ihrer „privaten“ Eskapaden? Nicht systematisch genutzt wurden jedoch die in der Einleitung vorgestellten Theorien: Ein bisschen Winterling hier, etwas Flaig da ist zu wenig für eine theoretisch fundierte Analyse. Auch erscheint unverständlich, dass die legislatorischen und administrativen Tätigkeiten nicht eigens behandelt werden, zeichneten doch diese Tätigkeitsfelder die Herrschaft des Antoninus Pius besonders aus und waren auch für seine Repräsentation von Bedeutung. Daher sind, nicht nur hinsichtlich dieser Aspekte, neben Michels Werk weiterhin die älteren Bände von Hüttel und die jüngste Antoninus Pius-Biographie von Rémy heranzuziehen.4 Was bleibt, ist das Bild eines Kaisers, der doch vieles richtig gemacht haben muss, denn immerhin gelangen Regierungsantritt, Machterhalt und Nachfolgeregelung.

Anmerkungen:
1 Clifford Ando, Imperial Ideology and Provincial Loyalty in the Roman Empire, Berkeley 2000; Jon E. Lendon, Empire of Honour. The Art of Government in the Roman World, Oxford 1997; Fergus Millar, The Emperor in the Roman World (31 BC–AD 337), 2. Aufl., London 1992.
2 Die Quelle wird lediglich in einer Fußnote kurz erwähnt (S. 228, Anm. 1335).
3 Werner Eck, Beförderungskriterien innerhalb der senatorischen Laufbahn, dargestellt an der Zeit von 69 bis 138 n. Chr., in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 1, Berlin 1974, S. 158–228, bes. S. 215; Géza Alföldy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen. Prosopographische Untersuchung zur senatorischen Führungsschicht, Bonn 1977, S. 23f.
4 Willy Hüttel, Antoninus Pius, 2 Bde., Prag 1933/36 (ND New York 1975); vgl. dazu die Rezension von Lothar Wickert, in: Gnomon 14 (1938), S. 219–221. Bernard Rémy, Antonin le Pieux. Le siècle d’or de Rome (138–161), Paris 2005; vgl. dazu die Rezension von Barbara Mary Levick, in: Gnomon 80 (2008), S. 750.

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