K. Baumann u.a. (Hrsg.): Luthers Norden

Cover
Titel
Luthers Norden.


Herausgeber
Baumann, Kirsten; Krüger, Joachim; Kuhl, Uta
Erschienen
Petersberg 2017: Michael Imhof Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Eisentraut, Ausstellungen, Deutsches Historisches Museum

Zum 500. Jubiläum der Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers im Jahr 2017 erschien eine Vielzahl von Publikationen, die sich mit der Person des Reformators und der Reformation befassen. Sonderausstellungen wie auch die großen drei nationalen Ausstellungen „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ (Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt), „Luther und die Deutschen“ (Wartburg-Stiftung) oder „Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt“ (Deutsches Historisches Museum im Martin-Gropius-Bau) luden die Besucher zu ganz unterschiedlichen musealen Rundgängen ein. Die Ausstellung „Luthers Norden“, die in Zusammenarbeit des Pommerschen Landesmuseums und der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf konzipiert und realisiert wurde, war einer Region gewidmet, die Luther selbst zeitlebens nicht besuchte, in der seine Lehren jedoch nachhaltige Wirkung entfalteten.1 Anlässlich der Ausstellung erschien ein Katalog, der sich der Reformation und deren Folgen für Norddeutschland und dem skandinavischen Raum im Besonderen widmet und der hier im Folgenden besprochen wird.

Untergliedert ist die Publikation in acht Kapitel, die jeweils über mindestens einen Essay- (mit Ausnahme des IV. Kapitels) sowie Katalogteil verfügen. Sie schlüsseln sich wie folgt auf: (I.) Kirchliches Leben vor der Reformation, (II.) die politische Welt, (III.) 1517 – Wittenberg und die Folgen, (IV.) herrschaftliche Repräsentation und Glaube, (V.) die Reformation im Norden, (VI.) Verlierer und Gewinner, (VII.) Reformation multimedial und (VIII.) Reformation im Alltag. In ihrem Vorwort merken die Herausgeber bezüglich der Reformationsforschung an, dass vor allem Wittenberg und die deutschen Kernlande im Fokus der Wissenschaft stünden, während der Norden vernachlässig werde. Gemeinsames Ziel der Ausstellung und damit auch des Ausstellungskataloges sei es, diesem Defizit Abhilfe zu schaffen und den Spuren nachzugehen, die die Reformation mit ihrer außergewöhnlichen Dynamik im Norden Europas hinterließ.

Die Lektüre der jeweils zwischen drei und sieben Seiten umfassenden Überblicksbeiträge liefert eine beeindruckende Spannweite. Zunächst wird der Reigen durch Essays zur spätmittelalterlichen Vorgeschichte eröffnet. Uta Kuhl (Schleswig) beginnt mit einem Beitrag über die Kirche im Norden vor der Reformation. Olaf Mörke (Kiel) widmet sich in seinem Grundlagenartikel dem Aufbau und der Rolle des Alten Reiches, vorrangig dessen politischen Konstellation, die für die Reformation später von Bedeutung wurde. Daran anschließend erweitert Jens E. Olesen (Greifswald) die Perspektive und informiert über den Ablauf der reformatorischen Bewegung im dänischen Reich, zu dem bis 1520 auch noch Schweden gehörte.2 Die Motive für die Durchsetzung des reformatorischen Gedankengutes waren dabei nicht immer religiös motiviert: Wirtschaftliche Interessen, in Form der Säkularisierung und Einziehung von kirchlichem Besitz und Ländereien, brachten im Norden stets Vorteile für die Landesfürsten und die weltliche Obrigkeit mit sich. Die Verknüpfungen zwischen Wittenberg und dem Norden, beginnend mit dem Jahr 1517, wird durch Joachim Krüger (Greifswald) anschaulich dargelegt. Dabei wird sowohl Stellung bezogen zu vorherrschenden Mythen und Legenden (Stichwort: Thesenanschlag), als auch der tatsächlichen Bedeutung des Ablasshandels als Mittel zur Schuldenrückzahlung an die Augsburger Fugger, Rechnung getragen.

Der kriegerischen Seite der Reformationsbewegung wird durch die Beiträge zum Thema „Reformation und Krieg“ durch Michael North (Greifswald) als auch zur Parallelität von „Bildersturm und friedlichem Wandel" sowie der „Grafenfehde und ihr Einfluss auf die Reformation“, letztere beide durch Joachim Krüger, nachgegangen. Der kriegerische Aspekt des religiösen Wandels erfährt damit eine angemessene Würdigung: Sowohl die Niederschlagung von Erhebungen als auch die Zerstörung von Kulturschätzen waren ebenfalls Begleiterscheinungen der Reformation. Ein auch auf Verluste und Unterlegene fokussierender Blick wird im VI. Kapitel, das den Titel „Verlierer und Gewinner“ trägt, weiterverfolgt und angemessen vertieft. Hier geht es mit Fokus auf ‚den Norden´ um die Aufhebung von Klöstern, die Entsakralisierung der Landschaft und die Einführung neuer Kirchenordnungen, den Wandel in Kirchenbau und Kirchenausstattung eingeschlossen.

Das IV. Kapitel „Herrschaftliche Repräsentation und Glaube“ weicht von der gewohnten Gliederung ab, verfügt es doch über keinen erklärenden Essay und bricht somit den bisherigen Aufbau der Publikation auf den ersten Blick. Thematisiert werden inhaltlich drei großformatige Objekte, von denen der einzigartige „Croÿ-Teppich“3 und die Hofkapelle von Schloss Gottorf, hervorstechen. Es handelt sich um beachtenswert erweiterte Objekttexte. Ihnen angeschlossen finden sich die „Köpfe“ der Reformation. Anhand von 22 Biografien werden die Akteure der Reformation vorgestellt. Unter ihnen sind auch zwei Frauen: Katharina von Bora (1499–1552) als bekanntes Gesicht und die aus Pommern stammende früheste nachgewiesene Liederdichterin evangelischer Gesangstexte, Elisabeth Cruciger (um 1500–1535). Dass die Reformation über die Handelswege Verbreitung fand und somit zunächst Fuß in den großen Handels- und Hafenstädten fasste, verwundert heute keinen mehr. Umso interessanter ist die Person Johannes Bugenhagen (1485–1558), der als einer der engsten Vertrauten von Martin Luther und Philip Melanchton (1497–1560) heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Mit seiner Person befasst sich der Beitrag von Irmfried Garbe (Dersekow), der der Bedeutung von Bugenhagen als Theologe und Reformator nachgeht. So mag es für viele verwunderlich sein, doch es war Bugenhagen, der 1533 als erster eine vollständige Bibelübersetzung in plattdeutscher Sprache herausbrachte, also knapp ein dreiviertel Jahr vor Luthers hochdeutscher Bibelübersetzung, die sich schließlich durchgesetzt hat (S. 151). Neben dem geschriebenen Wort wurde auch die Sprache – das sei nur am Rande erwähnt – zum wichtigsten Träger der Reformation. Bei einer hohen Analphabeten-Rate, war es letztlich die erfolgreiche Kombination aus Text und Wort, die der Reformation den Siegeszug ebnete, wie Daniel Bellingradt (Erlangen-Nürnberg) in seinem Beitrag folgerichtig schildert (S. 213).

Auch die Cranach-Gemälde, von denen die Darstellungen von Martin Luther und seiner Ehefrau Katharina von Bora zu den bekanntesten Gemälden zählen, finden ihren Platz im Katalog. Speziell den Cranach Gemälden und ihrer oftmals problematischen Entstehungsgeschichte ist der Artikel von Konstanze Köster gewidmet, dem sich eine breite Schilderung moderner Rezeptionsgeschichte anschließt. Der Katalogteil, der sich den ausgesuchten Ausstellungsobjekten widmet, präsentiert gut verfasste und detailliert recherchierte Objekttexte. Auffällig ist der hohe Anteil an Papierobjekten, die sich als Flugblätter, Bücher und Druckschriften in fast allen Themen wiederfinden. Diese Tatsache macht zugleich eines deutlich: Das Medium, welches Luther und seine Mitstreiter am häufigsten nutzen und welches zugleich die Zeit überdauert hat, war und bleibt das gedruckte Wort.

Den Autoren der Publikation ist es gelungen, einen reich illustrierten Überblick zur Reformation im Norden herauszugeben und zugleich deren Langzeitfolgen bis in die heutige Zeit nachzuspüren. Kritik verdient lediglich das Fehlen eines Personenregisters, welches eine biografische Suche oftmals vereinfacht hätte. Dennoch widmet sich der Ausstellungskatalog „Luthers Norden“ auf inspirierende Art und Weise der vielfältigen Ausprägung der Reformation in all ihren Formen, in einer zu Unrecht vernachlässigten Region Europas. Die Publikation wird abgerundet durch ein aussagekräftiges Glossar „95 Schlagworte zur Reformation“ (S. 290–305), welches einer Vielzahl von Lesern hilfreich sein wird und es verdient hätte, als kleine eigenständige Publikation herausgegebenen zu werden. Insgesamt hinterlässt der Ausstellungskatalog durchweg einen ausgezeichneten Eindruck.

Anmerkungen:
1 Die Ausstellung „Luthers Norden“ wurde vom 14. Mai bis 3. September
2017 im Pommerschen Landesmuseum (Greifswald) und vom 8. Oktober 2017 bis zum 28. Januar 2018 in den Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen Schloss Gottorf (Schleswig) präsentiert.
2 Vgl. Otfried Czaika, Das schwedische Reich in der Frühen Neuzeit: Das Werden einer lutherischen Großmacht, in: Der Luther Effekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt, hrsg. vom Deutschen Historischen Museum, München 2017, S. 76–85.
3 Weitere Informationen zum Croÿ-Teppich finden sich auf der Internetseite der akademischen Kunstsammlung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. https://www.uni-greifswald.de/universitaet/einrichtungen/kustodie/akademische-kunstsammlung/croy-teppich/ (27.11.2017).

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