H.-J. Bömelburg u.a. (Hrsg.): Polen in der europäischen Geschichte, Bd. 2

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Titel
Polen in der europäischen Geschichte. Bd. 2: Frühe Neuzeit. 16. bis 18. Jahrhundert


Herausgeber
Bömelburg, Hans-Jürgen; Müller, Michael G.
Erschienen
Stuttgart 2017: Anton Hiersemann
Anzahl Seiten
VIII, 924 S.
Preis
€ 364,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maria Ciesla, Tadeusz-Manteuffel-Institut für Geschichte an der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau

Der nun erschienene zweite Band des vierbändigen Handbuchs „Polen in der europäischen Geschichte“ ist der Epoche zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert gewidmet. Das knapp 1.000-seitige Nachschlagewerk, das Beiträge eines 17-köpfigen internationalen Autorenteams (vorwiegend aus Deutschland, Polen und Großbritannien) versammelt, liefert einen gelungenen Überblick zur Geschichte Polen-Litauens in der Frühen Neuzeit. Eine der Stärken des vorliegenden Bandes ist eine kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung und den Quellen, die in allen Beiträgen sehr präsent ist. Der Band besteht aus vier größeren chronologischen Kapiteln, die sich den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen widmen, sowie zwei weiteren Kapiteln, die sich kulturgeschichtlichen Fragen zuwenden. Ein Anhang mit sieben Karten ergänzt die Ausführungen.

Die im Band dargestellte Geschichte der vormodernen Rzeczpospolita beginnt in der späten Jagiellonen-Zeit im Jahr 1506 mit dem Regierungsantritt von Sigmund dem Alten und endet mit der dritten Teilung Polen-Litauens im Jahr 1795. Die ersten vier Kapitel, die chronologisch entsprechend politischen Ereignissen geordnet sind, analysieren die wichtigsten Themen der polnisch-litauischen Geschichte. Im ersten Kapitel „Ständemonarchie der Jagiellonen-Zeit“ wird das 16. Jahrhundert aus der Perspektive der sozialen Strukturen (A. Bues und I. Kąkolewski), der Reformation und der Entwicklung des Humanismus (K. Friedrich, K. Lambert) und des politischen Wandels (K. Lichy) präsentiert. Die Jahre zwischen 1573 und 1609 werden im dritten Kapitel – „Die Durchsetzung der ständischen Monarchie“ – besprochen. Der Schwerpunkt liegt hier auf Verfassungsänderungen hinsichtlich der freien Königswahl (M. Rhode) und Konfessionalisierungsfragen (K. Friedrich). Robert Frosts Beitrag ergänzt das Kapitel um eine internationale Perspektive und bespricht vor allem die Auseinandersetzungen im Baltikum, an denen Polen-Litauen teilgenommen hat. Das vierte Kapitel, „Unionsstaatliche Großmachtpolitik“, widmet sich vor allem den Kriegen, an denen Polen-Litauen im 17 Jahrhundert beteiligt war (Beiträge von: R. Frost, B. Dybaś). Hans-Jürgen Bömelburgs Ausführungen zu den sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen runden diesen Teil ab. Das fünfte Kapitel „Souveränitätskrise“ behandelt das 18 Jahrhundert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf innenpolitischen Problemen (W. Kriegseisen, M. G. Müller) und Reformbewegungen (Y. Kleinmann, M. G. Müller). Diese Beiträge werden, analog zu den vorangegangenen Kapiteln um den sozialen und ökonomischen Kontext ergänzt (die Beiträge von H.-J. Bömelburg, P. Collmer).

Besonders inspirierend sind die beiden letzten Kapitel, die sich mit kulturhistorischen Fragen befassen. Den Anfang macht ein sehr interessanter Beitrag von Bömelburg zum Konzept der „Nation“ in der Rzeczpospolita. Darin analysiert er einerseits die Entwicklung des Begriffs und die Bedeutung, die die Idee der Adelsnation für das politische Leben des Landes hatte. Andererseits geht er auf die ethnische Vielfalt des Landes ein. Im darauffolgenden Beitrag analysiert Mathias Niendorf das Verhältnis zwischen dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen. Der mit seinen 50 Seiten umfangreichste Teil des Kapitels widmet sich der Geschichte der jüdischen Bevölkerung Polen-Litauens. Angesichts ihrer bedeutenden Rolle gerade in den Städten der Rzeczpospolita ist es wenig verwunderlich, dass gerade dieser Minderheit eine breite Beachtung geschenkt wird. Jürgen Heyde geht detailliert auf deren demographische, topographische, wirtschaftliche und rechtliche Lage ein und zeichnet die Entwicklung der jüdischen Autonomie in Polen-Litauen nach. Im letzten Teil des Bandes untersuchen die Autoren die Stellung der Rzeczpospolita im Staatengefüge des frühneuzeitlichen Europa. Sehr interessant ist der Beitrag von Michael G. Müller und Kolja Lichy, in dem die Hypothese vom Sonderweg in der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung (Polen als „Ausnahme“ unter den „normalen“ absolutistischen Staaten Europas) widerlegt wird.

Zu den ausgesprochenen Stärken des Bandes gehört zweifellos die Einbettung der Geschichte Polen-Litauens in einen breiten europäischen Kontext. Zusätzlich erleichtern Vergleiche zwischen der Rzeczpospolita, dem Heiligen Römischen Reich und Westeuropa jenen Lesern die Lektüre, die mit der polnischen Geschichte nicht en détail vertraut sind. Auch wenn sich die Schwerpunktsetzung der einzelnen Beiträge durchaus unterscheidet – manche Autoren legen ihn stärker auf die sozialen und ökonomischen Beziehungen, andere hingegen auf die Analyse politischer Ereignisse –, ist es den Herausgebern gelungen, sie zu einer schlüssigen und zusammenhängenden Darstellung zusammenzufügen. Dadurch ist der Band nicht nur ein Nachschlagewerk, sondern auch ein sehr gut lesbarer Sammelband.

Dennoch sind auch einige Kritikpunkte zu nennen. Insbesondere, und das betrifft den gesamten Band, fällt eine einseitige Fokussierung auf die polnische Historiographie auf, mit der eine Vernachlässigung der litauischen, ukrainischen und belarussischen Forschungen zur Rzeczpospolita einhergeht. Dabei handelt es sich bei den genannten Ländern ebenso um deren Nachfolgestaaten, wie bei Polen. Diese Tendenz wird schon in der Einleitung von Hans-Jürgen Bömelburg deutlich. Bei der Vorstellung der Forschungstendenzen und Quelleneditionen gelingt ihm zwar eine kritische und interessante Darstellung der verschiedenen Konzepte in der neueren und älteren polnischen Historiographie. Litauische, ukrainische oder weißrussische Forschungen werden hingegen kaum erwähnt. In der Liste der Quelleneditionen fehlen viele wichtige litauische Publikationen wie zum Beispiel die Bände der Litauischen Matrikel (Lietuvos metrica) oder der stadtgeschichtlichen Reihe zu den Privilegien verschiedener litauischer Städte mit magdeburgischem Recht, die kontinuierlich in Vilnius veröffentlicht wird.1 Auch fehlt in den Einzelbeiträgen die litauische, ukrainische und belarussische Perspektive. Dies fällt besonders in Kolja Lichys Aufsatz über die polnisch-litauische Union 1569 auf (S. 163–203), wo der Autor ausdrücklich, aber ohne Begründung, betont, dass „ein Eingehen auf die weißrussische und ukrainische Historiographie nicht möglich“ sei (S. 171), aber auch in Hans-Jürgen Bömelburgs Analyse der ethnischen und religiösen Vielfalt (S. 677–695) fehlt diese Perspektive. Auffällig ist diese Tendenz auch in Jürgen Heydes Darstellung der jüdischen Geschichte, wo im Abschnitt zur jüdischen Autonomie die Entstehung des litauischen jüdischen Rates (Wa’ad Meditnat Lite) nur flüchtig erwähnt (S. 760), auf die unterschiedlichen Entwicklungen der jüdischen Gemeinden im Königreich Polen und im Großfürstentum Litauen überhaupt nicht eingegangen wird. In Mathias Niendorfs Beitrag wird, wie bereits oben erwähnt, der litauischen Sichtweise und dem korporativen Charakter des Staats mehr Raum gegeben, da der Autor gezielt die Unterschiede zwischen polnischer und litauischer Historiographie darstellt. Die Wirkung dieses Beitrags wird allerdings dadurch gemindert, dass er am Ende des Bandes lediglich als „kulturhistorische“ Ergänzung firmiert. Dabei hätten viele Aspekte, die hier angesprochen werden, eher in die Beiträge zur politischen Geschichte gehört, etwa die jeweils gesonderte Königswahl im Königreich Polen und im Großfürstentum Litauen oder die polnisch-litauische Union.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist der zweite Band des Handbuchs „Polen in der europäischen Geschichte“ sehr gelungen. Der Leser bekommt eine kritische und nuancierte Darstellung der Geschichte Polen-Litauens, die in einen breiteren europäischen Kontext gestellt wird. Für interessierte Leser bietet er eine sehr gute Einführung, die sehr reichen bibliographischen Anmerkungen helfen, das Interesse an der polnischen Geschichte zu vertiefen. Er eignet sich als Lehrbuch für Studierende sowie als Nachschlagewerk und ist darüber hinaus auch als eine interessante Lektüre für all jene zu empfehlen, die sich für die Geschichte der Frühen Neuzeit interessieren.

Anmerkung:
1 Lietuvos Metrika = Lithuanian Metrica = Литовская Метрика. Knyga Nr. 1 (1380–1584); Užrašymų knyga 1 hrsg. v. Algirdas Baliulis / Romualdas Firkovičius, Vilnius 1998. Seit 1998 sind in der Reihe 50 Bände erschienen. Lietuvos magdeburginių miestų privilegijos ir aktai, hrsg. v. A. Tyla / R. Firkovičius / E. Meilus, Bd. 1–7, Vilnius 1991.

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