Der vorliegende Band führt auf ein Forschungsfeld, das in großen Bereichen unerschlossen ist: die geschichtswissenschaftliche Erforschung von Jugendmedien. Mit einem Workshop am Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte der Universität des Saarlandes, der 2016 stattfand, und mit dem nun dazu herausgebrachten Tagungsband sollen „erste Schneisen in ein bislang brachliegendes Gebiet der Medienforschung“ geschlagen und die tendenziell „aktualistische“ Jugendmedienforschung um die historische Dimension bereichert werden (S. 12).
Wirft man, wie die Herausgeber/innen1 einleitend, einen Blick auf die sich diversifizierende und dynamisierende Medienlandschaft im Untersuchungszeitraum, so erscheint das Unterfangen berechtigt. Zwar ergibt die mehrperspektivische, mit 85 Referenzen sehr umfangreiche Betrachtung des Forschungsstandes, dass der Jugendmediengeschichte durchaus schon Beachtung geschenkt wurde. Diese Darstellung ist in relevanten Bereichen zwar lückenhaft2, doch ist dem Defizitbefund insgesamt doch zuzustimmen: Wenige umfangreichere Studien mit historischem Anspruch widmen sich hauptsächlich der Jugendpresse.
Ausdrücklich Anschluss nimmt dieser Band an die Arbeiten des britischen Medien- und Kulturwissenschaftlers Bill Osbergy, dessen sozial- und kulturgeschichtlichen Anspruch die Herausgeber/innen des Bandes aufgreifen und fortführen möchten.3 Außerdem folgen sie der Neuorientierung in der Jugendmedienforschung von einer kritischen Sicht auf die als gefährlich und schädigend wahrgenommenen Medien hin zu einer Lesart, die sich vom Credo der „bedingungslosen Wirkmächtigkeit von Massenmedien“ (S. 8) gelöst hat und zugleich der Figur des jugendlichen Mediennutzers als einem „aktiv-eigeninitiative[n] Medienprosumenten“ eine neue Rolle gab.
Schon im Resümee des Forschungsstandes deutet sich an, dass die Herausgeber/innen mit dem Abstecken zugleich auch eine Öffnung des Forschungsfeldes befürworten. Ihre definitorischen Bemühungen zur Klärung des Gegenstandsfeldes führen nicht nur zu Überlegungen, ob Jugendmedien von oder für Jugendliche gemacht wurden bzw. ob sie „tatsächliche Sichtweisen und Bedürfnisse von Jugendlichen“ artikulieren oder vielmehr „ein normativ-intentional gelagertes jugendliches Programm von oben‘“ verfolgen (S. 15). Unterscheidungen werden auch zwischen dem Grad der Kommerzialität von Jugendmedien oder ihrer Funktion als bloß unterhaltendes versus der „Verhaltens-Selbstmodellierung“ (S. 14) dienendes Mittel aufgemacht. Schließlich zeige die Entwicklung im späten 20. Jahrhundert eine deutliche Dynamisierung „in Richtung wachsender Multimedialität, Crossover-Effekten und der Bildung subjektiv autonomer Medienräume“ (S. 14).
Die sich anschließenden theoretischen und methodischen Überlegungen zur Historisierung von Jugendmedien benennen mit Produktion, Inhalt und Rezeption von Medien Leitkategorien der geforderten Analyse, es wird hier aber auch deutlich, mit welchen Problemen ein tendenziell schwer zu konturierendes Phänomen wie das der Medialität4 die wissenschaftliche Bearbeitung konfrontiert.
Der Eindruck, dass die Jugendmediengeschichte zwar Zuständigkeit für eine Vielfalt an Themen und Zugängen reklamiert, dabei aber ein Diffusitätsproblem erzeugt, wird in den programmatischen Passagen der Einleitung eher verstärkt, als dass ihm entgegengewirkt wird. Der Aufgabenkatalog reicht von institutionengeschichtlicher Forschung zu Medienanbietern zur Betrachtung der Innensichten und Aneignungsweisen jugendlicher Akteure, von einer Berücksichtigung der Materialität der Medien und der verschiedenen Formen ihrer Produktion über Forderungen nach einer international vergleichenden Perspektive bis hin zur Rekonstruktion impliziter Kategorien der Jugendforschung in ihren interdisziplinären und selbst schon historischen Zugängen zum Feld der Jugendmedien. Das ist zwar ebenso wenig falsch wie die Forderung nach sozial- und kulturhistorischer Kontextualisierung der Befunde, insbesondere vor dem Hintergrund der generellen Medialisierung der Gesellschaft. Der Versuch zur Systematisierung des Forschungsprogramms überzeugt dennoch nicht restlos, auch weil die Einleitung etwas vorschnell in eine Übersicht einzelner Bandbeiträge übergeht und die Ausführungen dadurch ausschnitthaft wirken.
Dem vielschichtig konstruierten Gegenstandsbereich entsprechend bieten sich diverse methodische Zugänge an: Netzwerkanalysen etwa zu den Verflechtungen mediennutzender / medienreproduzierender Gruppen oder neuere medien- und kulturhistorische Ansätze, die unter Labeln wie "sound history" oder "visual history" firmieren. Teilweise stellen sich neue Anforderungen an die Quellenkritik (z.B. durch gesteigerte Interaktivität in der Autorschaft von Wikipedia-Artikeln). Grundsätzlich plädieren die Herausgeber in der Einleitung für Fallstudien und deren kontextualisierende Einbettung.
Die Beiträge selbst werden zu drei thematischen Blöcken gruppiert, in denen Jugendmedien einmal als „Selbstermächtigungsorgane“, dann „als Erziehungs- und Erbauungsinstrumente“ und schließlich „als Vergemeinschaftungs-Agenten“ behandeln werden. Das gibt eine gewisse Orientierung, sagt aber freilich wenig über die sehr unterschiedliche Qualität und die teilweise sehr spezifischen, eng ausgeschnittenen Gegenstandsbereiche. Allesamt sind sie Einmündungen in ein Forschungsfeld, dessen Breite und Unübersichtlichkeit in der Einleitung bereits deutlich wurde. Indem der Band weitgehend isolierte, oft nur spärlich kontextualisierte Einzelfallstudien aneinanderreiht, wird zudem ein selbst formuliertes Qualitätskriterium, eben dies zu vermeiden und die Einbettung in einen strukturell begründeten historischen Rahmen sicherzustellen (S. 23), unterlaufen. Von Internationalität kann ebenfalls kaum die Rede sein, Vergleiche werden lediglich zwischen Ost- und Westdeutschland (Julia Gül Erdogan) sowie für Deutschland und die Schweiz (Stefan Rindlisbacher) gezogen. Dass Jugendmedien aus der Zeit des Nationalsozialismus thematisch komplett ausgespart werden und auch die Zeit der Weimarer Republik vernachlässigt wird, ist ein auffallendes inhaltliches Manko.
In den Einzeldarstellungen bietet der Band dennoch Interessantes und manchen Erkenntnisgewinn. So informiert der Beitrag von Rindlisbacher über die einsetzende Selbststilisierung von Jugendlichen durch eigene Presseerzeugnisse im beginnenden 20. Jahrhundert anhand von Zeitschriften der Lebensreformbewegung. Der Jugendpresse ist noch ein weiterer Beitrag gewidmet, der beleuchtet, wie kirchliche Jugendzeitschriften der Nachkriegszeit die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht begleiteten und dem Bild von der skeptischen, politisch desinteressierten Generation zuwiderliefen (Friederike Höhn). Leider kommen Schülerzeitungen als von Jugendlichen für Jugendliche hergestellte Massenquelle im Band überhaupt nicht vor.
Dem Hörfunk für Jugendliche sind hingegen drei sehr lesenswerte Beiträge gewidmet. Hier ragt (als letzter im Band) der quellenreiche, hervorragend recherchierte Aufsatz von Nikolai Okunew über Medienpraktiken der Heavy-Metal-Szene in der DDR heraus; auch weil er zeigt, wie ein Blick auf Praktiken (hier des Kassettentausches oder der Rundfunkproduktion) das Wissen über ein Themenfeld nicht nur plakativ, sondern substanziell bereichern kann. Christoph Hilgert wirft ein Licht auf den Wandel im Rundfunkprogramm für Jugendliche der Nachkriegszeit. Hier werden, wie auch in einem Beitrag über die Aneignung amerikanischer Serien aus dem Familienprogrammen durch Jugendliche (Andre Dechert) ungewöhnliche, zum Teil kontraintentionale Nutzungsgewohnheiten sichtbar, die Umgangsweisen von Jugendlichen mit den für sie bestimmten oder eben nicht bestimmten „Jugendmedien“ illustrieren. Hilgert zitiert das Beispiel der Jugendradiosendung „Wir jungen Menschen“ aus den 1950er-Jahren, die aufgrund ihres Sendetermins und des informativen Programms „tatsächlich von vergleichsweise wenigen Jugendlichen, dafür aber in erheblichem Umfang von Senioren angehört“ wurde (S. 140). Man erfährt überdies, dass es eine subkulturell organisierte Computer-Hackerszene nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR gegeben hat (Erdogan) und sogar eine Rezeption von DDR-Jugendmedien durch westdeutsche Jugendszenen vorkam (S. 291). In einem Beitrag zur Sendung „Beat-Club“ als Quelle und Akteur in der Kanonisierung des Rock erliegt der Autor, spärlich kaschiert als methodischer Kniff, der nostalgischen Versuchung autobiografisch legitimierter Deutungshoheit; in einem anderen über Fanzines als Jugendmedien der Punk-Szene fallen methodische Mängel – vor allem überzogene Deutungen respektive ein prätentiöser Begriffsgebrauch5 – so unangenehm auf, dass man diesen Beitrag getrost überlesen kann. Doch auch diese Beiträge geben Einblicke in interessante Quellen und jugendkulturelle Tendenzen und Gruppierungen.
Hervorzuheben sind ein Stichwortverzeichnis sowie eine Zusammenstellung der Abstracts in deutscher und englischer Sprache am Ende der Publikation. Insgesamt handelt es sich bei dem Buch erkennbar um einen Tagungsband, der überwiegend Einblicke in Qualifikationsarbeiten gibt, dem eigenen Anspruch, „Umrisse“ der historischen Jugendmedienforschung „zum ersten Mal in ihrer Gesamtheit sichtbar werden“ (S. 24) zu lassen, aber nicht gerecht werden kann.
Anmerkungen:
1 Herausgeber/innen und die meisten Beitragenden sind Kultur- und Medienwissenschaftler/innen oder arbeiten als (Zeit-)Historiker/innen. Viele von ihnen gehören zum wissenschaftlichen Nachwuchs, den auch bereits der Workshop explizit angesprochen hatte.
2 Zum Beispiel wird die Geschichte des Jugendfilms im 20. Jahrhundert mit Publikationen über die Zeit des Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit nicht berücksichtigt. Vgl. etwa Bianca Dustdar, Film als Instrument in der Jugendpolitik des Dritten Reichs, Alfeld 1996; Barbara Stelzner-Large, „Der Jugend zur Freude“? Untersuchungen zum propagandistischen Jugendspielfilm im Dritten Reich, Weimar 1996; Ingelore König (Hrsg.), Zwischen Bluejeans und Blauhemden. Jugendfilm in Ost und West, Berlin 1995.
3 Bill Osbery, Youth Media, London 2004.
4 Vgl. etwa grundlegend Sybille Krämer, Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität, Frankfurt am Main 2008.
5 In Fanzines dokumentierte Konzertreisen von Münchener Punks aufs Land werden begrifflich als „translokale“, solche in die Schweiz als „transnationale Bezüge“ geadelt, ein Fanzine-Herausgeber, der einmal für das Fernsehen interviewt wurde, verbürgt „intermediale Bezüge“ usw.