Er ist eine der klassischen ambivalenten Schurkenfiguren der Geschichte: Armand Jean du Plessis, Kardinal de Richelieu (1585–1642). Die ‚rote Eminenz‘ erlangte nicht zuletzt als Antagonist in Alexandre Dumas‘ Roman „Die drei Musketiere“ und deren unzähligen Verfilmungen Bekanntheit. Aber auch die Wissenschaft beschäftigte sich immer wieder mit diesem vielleicht wichtigsten Staatsmann Frankreichs im Grand Siècle. Von den deutschen oder ins Deutsche übertragenen Biografien ist Carl Jacob Burckhardts umfassendes, dreibändiges Werk in die Jahre gekommen, während hingegen Philippe Erlangers jüngere Darstellung sich vor allem auf die Intrigenspiele am französischen Hof konzentriert und andere wichtige Aspekte ausblendet. Der von Uwe Schultz vor zehn Jahren publizierte Band befand sich bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung.1
Ein derartiges Defizit war vom ausgewiesenen Kenner der frühneuzeitlichen französischen Geschichte Klaus Malettke nicht zu erwarten. Der emeritierte Marburger Professor hat nun eine neue, über eintausend Seiten starke Lebensbeschreibung des Prinzipalministers Ludwigs XIII. vorgelegt. Die Faktenfülle und die Präzision, mit der argumentiert wird, sind bemerkenswert. Dennoch ist auch ihm mit der vorliegenden Arbeit nicht der große Wurf gelungen.
Das liegt zunächst daran, dass der Autor sich überwiegend darauf fokussiert, eine diplomatiegeschichtliche Biografie zu schreiben. Diplomatische Vorgänge werden bis ins kleinste Detail geschildert, Aspekte der Wirtschaftspolitik Richelieus oder sein Mäzenatentum dagegen in vergleichsweise kurzen Kapiteln schnell abgearbeitet. In der Beschreibung politischer Hintergründe, Zusammenhänge und Vorgänge verliert Malettke sich in Details, die für die Biografie Richelieus irrelevant sind. So wird die Mutter Ludwigs XIII., Maria von Medici (1575–1642), auf über dreißig Seiten vorgestellt und dabei die Geschichte ihrer Familie bis ins Mittelalter zurückverfolgt. Von dieser Faktenflut wird Richelieu des Öfteren in den Hintergrund gespült. Es ist daher bezeichnend, dass die letzten Seiten des Epilogs nicht ihm, sondern den Ergebnissen des Westfälischen Friedens gewidmet sind.
Über Richelieu erfährt der Leser zudem wenig Neues, denn die meisten Informationen über seine Person und fast alle seiner privaten Korrespondenz entstammenden Zitate entnimmt Malettke den vorhandenen französisch- oder englischsprachigen Biografien. Und auch bei der Darstellung der politischen Vorgänge begnügt sich der Autor, wie aus den Fußnoten hervorgeht, mitunter damit, über mehrere Seiten hinweg eine einzige Monografie zusammenzufassen oder diese absatzlang zu zitieren, teilweise sogar mit Zitaten im Zitat.
Das Gesamtergebnis wirkt daher reichlich unausgewogen. Zum einen kommt gerade in der zweiten Hälfte des Buches beim Leser mehr und mehr das Gefühl auf, dass Malettke lediglich eine Handvoll diplomatiegeschichtlicher Arbeiten zum Dreißigjährigen Krieg zusammenfasst hat und die Thesen und Urteile der Autoren einfach für sich übernimmt. Zum anderen nimmt diese thematische Engführung dem Buch gerade jenen Facettenreichtum, den das Genre der Biografie eigentlich für einen breiten Leserkreis so attraktiv macht. Schließlich zeigt sich auch, dass der Autor – trotz des sehr umfangreichen Literaturverzeichnisses – oft auf einer eher schmalen Quellenbasis arbeitet. So fußen die seitenlangen Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg einzig und allein auf der Monografie von Christoph Kampmann, während das Standartwerk von Peter H. Wilson nicht herangezogen wurde.2
Ein Beispiel für den geringen Grad an Reflektion ist Malettkes Staatskonzept. So definiert er etwa Domänenbesitz als Güter, „die im Eigentum des Staates, der Krone bzw. des Landesherren“ (S. 540) standen, als ob alles drei dasselbe wäre. Insbesondere vor dem Hintergrund der Forschungsdiskussion ob und inwiefern der Staatsbegriff in der Frühen Neuzeit anwendbar ist, hätte der Autor herausarbeiten müssen, was Richelieu genau darunter verstand.
Zu diesen strukturellen Defiziten, die den an der faszinierenden Figur Richelieus interessierten Leser sehr unbefriedigt zurücklassen, gesellen sich formale Mängel. Malettkes Stil ist schwerfällig und von Redundanzen geprägt, die ein sorgfältiges Lektorat hätte beheben können; die Rede ist etwa von dem „spanischen König […] von Spanien“ (S. 702) oder „politischen, finanziellen und politischen“ Maßnahmen (S. 747). Mitunter zitiert Malettke sogar Passagen anderer Autoren mehrfach (S. 733; 744). Überhaupt ist es ärgerlich, dass ein Buch, für das der Verlag den stolzen Preis von 128 Euro aufruft – zu viel für den breiten Leserkreis, den Malettke seiner Einleitung zufolge ansprechen will – offenbar keinem Lektorat unterzogen wurde.
So stellt zusammenfassend die Studie eine faktengesättigte Darstellung der französischen Politikgeschichte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dar, die um mindestens ein Drittel hätte gekürzt und zu einem konziserem bzw. ausgewogenerem Urteil hätte verdichtet werden können.
Anmerkungen:
1 Vgl. Carl Jacob Burckhardt, Richelieu, 4 Bde., München 1935–1967; Philippe Erlanger, Richelieu. Der Ehrgeizige, der Revolutionär, der Diktator, Frankfurt am Main 1975; Uwe Schultz, Richelieu. Der Kardinal des Königs. Eine Biographie, München 2009.
2 Vgl. Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2008; Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Darmstadt 2017.