R. Pergher: Mussolini's Nation-Empire

Cover
Titel
Mussolini's Nation-Empire. Sovereignty and Settlement in Italy's Borderlands, 1922–1943


Autor(en)
Pergher, Roberta
Reihe
New Studies in European History
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 286 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fernando Esposito, Universität Konstanz

In den borderlands, die Italien in den Alpen und in Nordafrika nach dem Ersten Weltkrieg in Besitz nahm, galt: Souverän ist, wer vermittels Siedler Boden nationalisiert. So ließe sich in Anlehnung an die vielzitierte Rede vom Ausnahmezustand die zentrale These von Roberta Perghers Studie zur faschistischen Siedlungspolitik auf den Punkt bringen. Während die Legitimität der Imperien in der Folge des „Wilsonian Moment“ nicht zuletzt von einem aufkeimenden Antikolonialismus in Frage gestellt wurde, mutierte der ethnisch-kulturell homogene Nationalstaat zum Goldstandard internationaler Ordnung. Im „postimperialen“ Zeitalter eines gesteigerten Imperialismus war es ungleich schwerer geworden, Souveränität über fremdes Territorium und dessen autochthone Bevölkerung zu begründen und zu sichern. Selbst wenn sie durch internationale Verträge gewährleistet war, schien diese Souveränität prinzipiell fraglich, und von dieser Fragwürdigkeit blieben auch die auf imperiale Expansion sinnenden Faschisten nicht unberührt. Sowohl die libysche Kolonie, seit 1912 in italienischem Besitz, als auch die 1919 vermeintlich „erlösten“ Regionen am Brenner und im Karst stellten die Faschisten also vor eine drängende Herausforderung: Wie ließ sich der Herrschaftsanspruch über das Alto Adige und die Venezia Giulia, welche eine mehrheitlich deutsch- und ladinisch- beziehungsweise slowenisch- und kroatischsprachige Bevölkerung aufwiesen, oder über die von Arabern, Berbern und Juden bewohnten osmanischen Provinzen Tripolitanien, Kyrenaika und Fessan begründen? Die Antwort lautete: durch italienische Besiedlung. Perghers wichtiges Buch widmet sich den Versuchen seitens der Faschisten wie der von ihnen entsandten Siedler, das „Grenzland“ zu italianisieren und zum Teil eines faschistischen „nation-empire“ zu machen. Zugleich fragt es, was Faschisten und Siedler überhaupt unter italianità, Souveränität, Nation und Imperium verstanden.

Das erste Kapitel, The Boundaries of Sovereignty, widmet sich den Kontexten der italienischen Herrschaft über und der Besiedlung von Libyen und Südtirol. Pergher verdeutlicht, wie vor dem Hintergrund der neuen Pariser Weltordnung und der Rhetorik der Selbstbestimmung die Notwendigkeit erwuchs, den Kolonialismus neu zu erfinden. Mit den Statuten des Jahres 1919 erprobte die italienische Regierung einen – von Franzosen und Briten kritisch beäugten – „‚progressive‘ imperialism“ (S. 41), der den lokalen Eliten weitreichende Befugnisse und der indigenen Bevölkerung zumindest auf libyschem Boden die italienische Staatsbürgerschaft zugestand. Diese Statuten wurden freilich nie umgesetzt, denn bereits im Juni 1922, also noch vor Mussolinis Ernennung, begann die vermeintliche ‚Pazifizierung‘ der Kolonie. Den von Umar al-Mukhtar unter dem Banner des Senussi-Ordens geführten Guerillakrieg vermochten Rodolfo Grazianis und Pietro Badoglios Truppen erst 1931 zu ersticken. Von den etwa 100.000 Libyern, welche in die Konzentrationslager der Wüste deportiert wurden, starben mindestens 40.000. ‚Fortschrittlich‘ an diesem neuen, genozidalen Imperialismus war nur noch die Technisierung brutalster Gewalt.1 Im zweiten Kapitel, Settlement and Sovereignty, stehen die in den 1930er Jahren entworfenen Pläne, staatlich gelenkter Besiedlung wie die daran beteiligten Institutionen im Vordergrund. Pergher erinnert daran, dass die Ansiedlungen verlesener italienischer Bauernfamilien, sei es in den Pontinischen Sümpfen, in den nordöstlichen Provinzen, in Libyen oder aber, so die sich alsbald als utopisch erweisende Hoffnung der Faschisten, in „Italienisch Ostafrika“, Teil eines gigantomanischen social engineering-Projekts waren. Es galt, nicht nur das Land, sondern auch die italienische „Rasse“ einer bonifica, einer Aufwertung, zu unterziehen und vermittels einer „anthropologischen Revolution“ den neuen italienischen Menschen zu schaffen. Ein Reiz von Perghers Studie liegt darin, das „koloniale“ Libyen mit der Grenzregion Südtirol zu parallelisieren. Hier wie dort galt: Erst eine große Zahl an ‚ethnischen‘ Italienern vor Ort würde aus fraglicher vertraglicher echte Souveränität machen.

Ertragreich ist auch der von Pergher im dritten Kapitel, Divided by a Common Language, vollzogene Wechsel von der Makro- zur Mikroperspektive. Nebst umfangreichen Archivrecherchen fußt ihre Arbeit auch auf Oral History-Interviews mit ehemaligen Siedlern, aus denen man gerne noch mehr erfahren hätte.2 Gemeinsam waren dem Regime, den Funktionären wie den Siedlern vor Ort nationale wie imperiale Begrifflichkeiten. Doch diese geteilte Sprache täuscht einen Konsens vor, der von den Kolonisten vielfach untergraben wurde. Denn sie verfolgten eigene Ziele, die auf der semantischen Oberfläche zwar denen des Regimes zu gleichen schienen und doch die allumfassende staatliche Planung unterliefen. Das vierte Kapitel, Other Subjects, Other Citizens, ist der Begegnung mit den Anderen, ihrer Stellung in der faschistischen (rassistischen) Ordnung wie dem in sich widersprüchlichen Konzept hierarchischer Staatsbürgerschaft gewidmet. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Frage nach der Essenz der italianità und der gescheiterten Italienisierung der „Allogenen“ wendet sich das fünfte und letzte Kapitel, „Inviolable“ Borders, der zwischen den verbündeten – in der Frage Südtirols indes rivalisierenden – faschistischen Diktaturen vereinbarten Option zu. Die deutschsprachigen Bewohner beziehungsweise die ‚ethnischen‘ Deutschen wurden vor eine erzwungene Wahl gestellt: Italianisierung oder Verlust der Heimat und „Heimkehr ins Reich“ oder vielmehr Besiedlung des neu eroberten Lebensraums im Osten. Auch im nationalsozialistischen Imperium hatten Siedler den Boden zu nationalisieren.

Roberta Pergher hat eine sehr lesenswerte, informative und konzise Studie verfasst, die zu weiterer Forschung anregen wird. Das ist bei einem Buch, das, wie die Autorin im Vorwort (S. ix) sagt, sein Leben als Dissertation begann, keine geringe Leistung. Gleichwohl, eine Schwäche der Untersuchung darf den künftigen Lesern, die dem Buch zu wünschen sind, nicht verschwiegen werden: Das Argument, die Antwort der italienischen Faschisten auf die Frage der Souveränität sei eine neuartige, durch massive staatliche Intervention gekennzeichnete Siedlungspolitik gewesen, welche die Grenzen von Imperium und Nation verwischen ließ, nimmt durch seine im Verlauf des Buches nahezu mantraartige Wiederholung etwas Schaden. Es erscheint auch nicht zwingend notwendig, die Interpretamente ‚Siedlung als demographischer Imperativ‘ und ‚Siedlung im Dienst der Souveränität‘ so streng einander entgegenzusetzen, wie das die Autorin etwa auf Seite 51 tut: „it was not the landless peasants who needed Libya; it was Italian Libya that needed the peasants“. Trotz verschärfter Einwanderungsbedingungen verließen Mitte der 1920 Jahre jährlich noch circa 285.000 Italiener zur Linderung ihrer Not und auf der Suche nach ihrem Glück jenes Land, das sich derzeit so vehement gegen die afrikanischen Arbeitsmigranten zur Wehr setzt. Dass die Faschisten die Siedler benötigten, um fremden ‚Boden‘ zu italianisieren, leuchtet ein, und Pergher führt reichlich Material an, um ihre These zu plausibilisieren. Doch die bereits vor dem Aufstieg des Faschismus beschworene Vision von Afrika als Lösung von Italiens demographischen Problemen verkommt dadurch nicht zwingend zur rein propagandistischen Rhetorik. Ungeachtet dieser Kritikpunkte kommt Perghers beachtlicher Studie das große Verdienst zu, den faschistischen Imperialismus in einer „postimperialen“ Welt in ein neues Licht gerückt zu haben. Das Buch dürfte die Debatte über dessen Spezifika, die Forschung über imperiale Rivalitäten und Wissenstransfers unter den mediterranen wie auch den globalen faschistischen Imperien und damit letztlich die Kontroversen um den generischen Faschismusbegriff beflügeln.3

Anmerkungen:
1 Vgl. Nicola Labanca, Oltremare. Storia dell’espansione coloniale italiana, Bologna 2002, S. 175 sowie Aram Mattioli, Die vergessenen Kolonialverbrechen des faschistischen Italien in Libyen 1923–1933, in: Fritz Bauer Institut (Hrsg.), Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main u.a. 2004, S. 203–226.
2 Siehe dazu Roberta Pergher, Empire, in: Joshua Arthurs / Michael Ebner / Kate Ferris (Hrsg.), Outside the State? The Politics of Everyday Life in Fascist Italy, New York 2017, S. 179–204.
3 Vgl. hierzu etwa Patrick Bernhard, Hitler’s Africa in the East. Italian Colonialism as a Model for German Planning in Eastern Europe, in: Journal of Contemporary History 51 (2016), S. 61–90 sowie Reto Hoffman/Daniel Hedinger (Hrsg.), Axis Empires. Toward a Global History of Fascist Imperialism (Journal of Global History 12 (2017) Special issue).

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