M. Krewel: Modernisierung deutscher Wahlkämpfe?

Cover
Titel
Modernisierung deutscher Wahlkämpfe?. Kampagnenkommunikation zwischen 1957 und 1965


Autor(en)
Krewel, Mona
Reihe
Studien zur Wahl- und Einstellungsforschung 31
Erschienen
Baden-Baden 2017: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
512 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Schmidt, Institut für Kommunikationswissenschaft, Ludwig-Maximilian Universität München

In der Politikwissenschaft ebenso wie in der Kommunikationswissenschaft haben Thesen zur Trendentwicklung in Wahlkämpfen seit Jahren Hochkonjunktur, wie die wiederkehrenden Topoi der „Amerikanisierung“ beziehungsweise „Modernisierung“ zeigen. Systematische und vergleichende empirische Studien, die sich dem Wandel von Kampagnen insbesondere aus historischer Perspektive annehmen, gibt es dagegen bislang wenig.

Mit ihrer Dissertation „Modernisierung deutscher Wahlkämpfe?“ legt Mona Krewel eine solche empirische Untersuchung des Kampagnenwandels in der Bundesrepublik vor. In ihrer historisch-komparativen Studie analysiert die Autorin die Entwicklung der Kampagnenkommunikation der Unionsparteien (CDU/CSU) und der Sozialdemokratischen Partei (SPD) in den Bundestagswahlkämpfen der Jahre 1957, 1961 und 1965. Ziel ist es, empirisch nachvollziehbar darzulegen, wie sich die jeweiligen politischen Kampagnen in den 1950er- und 1960er-Jahren entwickelt haben. In Anlehnung an den Titel des Buches geht es somit um die Frage, ob die Wahlkämpfe dieser Jahre bereits als Aufbruch in die Ära der modernen Kampagnenkommunikation bezeichnet werden können. Den Begriff der „Modernisierung“, der den begrifflichen Horizont der Arbeit darstellt, definiert die Autorin dabei als einen Evolutionsprozess, wohingegen das Konzept der „Amerikanisierung“ als Transferprozess angesehen wird.

Das Design der Studie ist als Längsschnittanalyse angelegt. Die Wahlkämpfe 1957, 1961 und 1965 werden intertemporal vergleichend untersucht, um Entwicklungslinien und mögliche Veränderungen im Zeitverlauf nachzeichnen zu können. Ziel der Autorin ist es, so eine „retrospektive Periodisierung von Wahlkampfkommunikation“ (S. 22) vorzunehmen. Dabei geht es ihr einerseits um eine systematische Beschreibung von Entwicklungsprozessen und andererseits um die Identifizierung von Faktoren, die diese Entwicklungen bedingen. Gefragt wird auch nach zeitlichen Unterschieden zwischen den Parteien und danach, welche Ursachen diesen Unterschieden zu Grunde liegen.

Die größte Innovation der Dissertation liegt sicherlich in Kapitel vier, dem theoretischen Rahmen der Arbeit. Hier entwickelt die Verfasserin, auf Grundlage anderer Modelle, ein „Akteurzentriertes Mehr-Ebenen-Modell des Kampagnenwandels“ (S. 110ff.), mit dem sie die Ursachen des Kampagnenwandels aus der Perspektive der politischen Akteure analysiert. Den Ausgangspunkt des Modells bildet auf der Makroebene die Hypothese, dass Modernisierung – verstanden als sozialer, politischer und medialer Wandel – zu einem Wandel in der Kampagnenkommunikation führte. Auf der Mesoebene des Modells wird der parteiliche Kontext der jeweiligen politischen Akteure berücksichtigt. Auf der Mikroebene stehen die zweckrational handelnden Parteimitglieder und ihr individuelles Entscheidungsverhalten im Vordergrund. Darüber hinaus liefert das Modell auch Erklärungsansätze, die, von der Individualebene ausgehend, Entscheidungen auf der Parteiebene betrachten, die wiederum Auswirkungen auf den Wandel der Kampagnenkommunikation auf der Makroebene haben.

Mit Hilfe dieses Modells legt die Autorin nicht nur die Entwicklungszusammenhänge zwischen den verschiedenen Ebenen dar, sondern bietet auch Argumente und Überlegungen an, die eine Veränderung auf einer oder mehrerer Ebenen erklären können. Das akteurszentrierte Modell des Kampagnenwandels, so Krewel, diene als grundsätzlicher Rahmen für die nachfolgenden empirischen Untersuchungen, „um die interpretative Analyse der qualitativen Daten zur Wahrnehmung und Bewertung der makro- und mesostrukturellen Rahmenbedingungen zu strukturieren und allzu willkürliche[n] ex-post Erklärungen vorzubeugen“ (S. 143). Die Arbeit leistet somit einen relevanten theoriebildenden Beitrag für zukünftige Forschung.

Die Quellenbasis besteht aus Wahlkampfstrategiepapieren und Protokollen der Sitzungen der Parteivorstände bzw. Fraktionssitzungen und Fraktionsvorstandssitzungen auf Bundesebene aus den Wahlkämpfen von 1957, 1961 und 1965. Für den Wahlkampf 1961 kommen Experteninterviews und Veranstaltungsprotokolle aus der Kölner Wahlstudie hinzu. Zusätzlich analysiert die Autorin auch die Wahlwerbespots und Wahlkampfanzeigen der Parteien in den entsprechenden Wahljahren. Somit wird nicht nur die strategische Ebene der Wahlkampfkommunikation untersucht, sondern auch der Inhalt der Kampagnen. Methodisch bedient sich die Verfasserin hierfür einer qualitativen Inhaltsanalyse der Experteninterviews und Protokolle sowie einer quantitativen Inhaltsanalyse der Fernsehwahlwerbespots und der Wahlkampfanzeigen in Printmedien. Die qualitative Inhaltsanalyse liefert Einblick in die Wahlkampforganisation der CDU und der SPD, in Strategien und Motive der unterschiedlichen Akteure ebenso wie in die mesostrukturellen Rahmenbedingungen. Mit der quantitativen Inhaltsanalyse kann die tatsächliche Umsetzung eben dieser Strategien in den Wahlwerbespots und Wahlkampfanzeigen gemessen werden.

Die Autorin charakterisiert die Wahlkampagnen im Untersuchungszeitraum bereits als modern oder zumindest vormodern, mit Ausnahme des Wahlkampfes der SPD 1957. Die Parteien unterschieden sich jedoch hinsichtlich der Geschwindigkeit, mit der sie sich dem gesellschaftlichen Wandel anpassten. Die Modernisierung verlief dementsprechend nicht linear. Zwar nahmen die politischen Akteure die Modernisierungstrends im sozialen, im politischen und im medialen Raum wahr, innerparteiliche und situationsbedingte Faktoren verhinderten jedoch unter Umständen die Professionalisierung der Kampagnen.

In ihrem Fazit plädierte die Autorin daher für eine stärkere Gewichtung der Faktoren der Mesoebene für die Modernisierung des Kampagnenwandels: Ein Verständnis von Wahlkampfkommunikation als gemeinsames Handlungssystem stelle demnach einen wichtigen Ausgangspunkt für die Beschreibung und Ursachenforschung von Veränderung oder Wandel in der Kampagnenkommunikation dar. Insbesondere auf der Mesoebene finden sich Hinweise, die mögliche Ursachen für Veränderung oder Wandel bedingen: „[…] in den Wahrnehmungen oder Bewertungen eines sozialen, politischen und medialen Wandels durch die politischen Akteure und ihrem Bedürfnis ihre Wahlkämpfe an diese Bedingungen anzupassen, um ihr Ziel eines möglichst guten Wahlergebnisses zu erreichen“ (S. 475). Maßgeblich seien somit tatsächliche ebenso wie auch vermeintliche Entwicklungen innerhalb und außerhalb des eigenen Subsystems.

Die Innovation der Studie liegt weniger in ihrem Ergebnisteil – hier haben geschichtswissenschaftliche Werke beispielsweise von Thomas Mergel bereits ähnliche Ergebnisse hervorgebracht1 – als in ihrem methodischen Zugang. Dennoch liefert sie einen wichtigen Beitrag zu einer historisch fundierten Analyse der Bundestagswahlkämpfe der späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre, die auch zur Untersuchung und historischen Reflexion aktueller „moderner“ Wahlkämpfe herangezogen werden kann.

Anmerkung:
1 Thomas Mergel, Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949–1990, Göttingen 2010; Nikolaus Jackob (Hrsg.), Wahlkämpfe in Deutschland. Fallstudien zur Wahlkampfkommunikation 1912–2005, Wiesbaden 2007.

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