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Titel
Sehnsuchtsort Sinai. Eine israelische Kulturgeschichte der ägyptischen Halbinsel


Autor(en)
Peters, Dominik
Reihe
Israel-Studien. Kultur – Geschichte – Politik 2
Erschienen
Göttingen 2018: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Kunze, Lehrstuhl für Judaistik, Universität Erfurt

Den Sinai durchreisten jüdische, christliche und muslimische Pilger ebenso wie die Heere der Perser, Griechen und Römer. Später zogen die Armeen des Kalifen Omar, des osmanischen Sultans Selim I. oder auch Napoleon Bonapartes über die Halbinsel. Der Sinai war schon immer eine Transitregion, die Halbinsel verbindet Afrika mit Asien. Für Israel war der Sinai ebenfalls Kriegsschauplatz. Während des Krieges 1948–49, während des Suez Feldzuges 1956 und während des Krieges im Juni 1967. Von da an besetzte und besiedelte Israel das eroberte Land. Von dieser Geschichte der israelischen Herrschaft auf dem Sinai berichtet Dominik Peters.

Der Sinai als Sehnsuchtsort beschreibt ein Lebensgefühl und ist der Titel der Dissertation. Peters rekonstruiert darin die Zeit der israelischen Präsenz, militärisch wie zivil, von 1967 bis 1982 anhand einer Kulturgeschichte der Halbinsel. Michael Brenner und Noam Zadoff betreuten die Arbeit, die an der LMU München entstand. Peters, der Nahost- und Politikwissenschaften in Halle (Saale) und Kairo sowie Jüdische Studien in Heidelberg, Graz und Jerusalem studierte, arbeitet derzeit als Redakteur im Politik-Ressort von Spiegel Online.

Peters basiert seine Arbeit auf zwei Hypothesen: Einerseits nimmt er an, dass die politischen Entscheidungsträger/innen den Sinai als Chance sahen und ihre Ideale aus der Gründungszeit Israels auf die Halbinsel projizierten. Andererseits betrachtet Peters die Besatzungszeit auf der Halbinsel als Prisma, in dem die Geschichte des Staates Israels widergespiegelt wird, von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. (S. 11) Diese zwei Annahmen plausibilisiert Peters im Laufe seiner Arbeit, die der Frage nachgeht – und dies ist zentral –, wer aus welchen Gründen auf dem Sinai siedelte.

Mit einer komplexen Struktur bereitet Peters seine Kulturgeschichte des Sinai auf. Er entfaltet eine gedankliche Landkarte, die die Halbinsel sowohl historisch als auch geografisch vermisst. Damit gelingt es ihm, die regionale Geschichte mit den politischen Kontexten zu verknüpfen, und er ermöglicht es so, den Sinai neu kennen zu lernen. Historisch präsentiert Peters eine dreifache Chronologie: Die Geschichte der israelischen Siedlungen von 1967 bis 1982; die israelische Geschichte dieser Zeit im nationalen wie internationalen Kontext; sowie die Geschichte des Sinai selbst, in die die israelische Präsenz eingeschrieben wird.

Bei der Eroberung des Sinai gerieten etwa 33.400 Menschen, die auf dem Sinai lebten, unter israelische Besatzung. Die überwiegende Mehrheit dieser Menschen, circa 30.000, lebten in der Mittelmeerstadt Al-Arish. Die anderen waren über den Sinai verteilt. Daher sei die Halbinsel von den Israelis mehr oder weniger als leer angesehen worden, ähnlich wie zuvor Palästina in der zionistischen Ideologie. Für die israelische Kulturgeschichte, die sich vor allem mit sich selbst beschäftigt, spielt die arabische Bevölkerung praktisch keine große Rolle. So habe sie auch wenig Aufmerksamkeit erfahren.

Die israelische Geschichte des Sinais wird den Hypothesen folgend mit Hilfe von drei zentralen Motiven analysiert. Diese Motive stammen aus der Zeit der Besiedlung Palästinas und beschreiben zentrale Ideen der zionistischen Bewegung. Damit kann Peters nicht nur eine Verbindungslinie zwischen der zionistischen Bewegung und der israelischen Besiedlung des Sinais ziehen, sondern auch die historische Kontinuität dieser frühen Pionierideen zeigen. Dies mag auch an der personellen Kontinuität liegen, die zu dieser Zeit noch hauptsächlich die zentralen Institutionen des Staates dominierte. Die Motive, die Peters heranzieht, sind: Die hebräische Arbeit; Jediat Ha-Aretz sowie die Frontsiedlung. Sie bilden sowohl die Analysewerkzeuge als auch die inhaltliche Klammer des Buches.

Dabei bezieht sich Peters besonders auf den sozialistischen Zionismus und die Einwanderer der zweiten Aliyah. Die drei genannten Ideale waren Grundlage ihres Handelns und bilden nach Peters eine ideengeschichtliche Kontinuität bis zur Besiedlung des Sinai. Während die hebräische Arbeit darauf abziele, dass die Einwanderer den Boden bearbeiten und von ihrer Hände Arbeit leben wollen, ohne auf nicht-jüdische Arbeitskräfte zurückgreifen zu müssen, stelle Jediat Ha-Aretz den Anspruch dar, das Land kennenzulernen. Übersetzt werden kann dieses Ideal von Jediat Ha-Aretz als Landeskunde, wobei es um die Erkundung und Entdeckung von Flora und Fauna der neuen zionistischen Heimat ging. Dies sollte zu intimem Wissen und zu einer „organischen Verbindung“ mit dem Land führen. Die Frontsiedlung schließt daran an, denn die in den Grenzgebieten gegründeten landwirtschaftlichen Ansiedlungen waren zugleich strategische Vorposten. Dies ermöglichte die weitere Erschließung von Land und demonstrierte den Gebietsanspruch der zionistischen Siedler. Diese drei Motive zieht Peters heran, um an verschiedenen Orten des Sinais ihr Wirken zu demonstrieren.

Die Siedlung Nachal Yam kann hier als Beispiel dienen. Als erste israelische Siedlung auf dem Sinai und erste Siedlung der Eshkol-Regierung überhaupt wurde Nachal Yam von einigen „Pionieren“ gegründet. Das Akronym Nachal steht für „kämpfende Pioniergruppe“ und ihre Mitglieder entstammten der Kibbutzbewegung. Sie wurden sowohl militärisch als auch landwirtschaftlich geschult und unterhielten landwirtschaftliche Siedlungen. Dabei verband sich die militärische Hegemonie mit der zionistischen Ideologie des Pioniers – in Peters' Analyseschema zeigt sich hier die hebräische Arbeit und insbesondere die Frontsiedlung. Die Bewohner des Sinai spielten dabei kaum eine Rolle, vielmehr stand die Idee der militärischen Sicherung des Landes im Vordergrund.

Um sich der Frage nach der israelischen Besiedlung des Sinai zu widmen, benötigt Peters ein möglichst breites Fundament an Quellen und Literatur. Seine Literatur- und Quellenbasis ist daher äußerst umfangreich. Er berücksichtigt nicht nur die relevanten israelischen Archive, sondern erschloss sich auch Privatarchive von Akteuren der Sinai-Geschichte, die er ebenfalls interviewte. Hinzu kommen die jeweils zeitgenössischen Tageszeitungen, Magazine und Zeitschriften, die Peters für die Rekonstruktion der damaligen Kontexte, Stimmungen und Rezeptionen heranzieht. Dabei beschränkt er sich nicht auf hebräischsprachige, sondern bezieht führende deutsch- und englischsprachige Medien mit ein. Wichtig wäre aber ebenfalls gewesen, stärker die arabischen Positionen zu hören, beispielsweise als Gegenfolien zur israelischen Verarbeitung der Besatzung.

Eine Geschichte des israelischen Sinai zu schreiben, schließt nicht nur eine Forschungslücke, sondern ist auch ein ambitioniertes Projekt. Dominik Peters bewältigt es sehr gut. Zwar wünscht man sich bei den Darstellungen von Orten und Gegebenheiten mehr als die Verweise auf Zeitungs- und Zeitschriftenberichte, also eine etwas tiefere Quellenbasis aus Akten und weiterer Forschungsliteratur. Doch wäre das womöglich für die Darstellung weder erkenntnisbereichernd noch praktisch gewesen, sodass es die Aufgabe von weiteren Detailstudien überlassen bleibt, hier weiter in die Tiefe zu gehen. Ebenso wünschenswert wäre es gewesen, die Geschichte des Sinai selbst im Kontext des „israelischen Sinai“ stärker hervorzuheben; im Gegensatz zu den anderen beiden Chronologien scheint diese nämlich etwas zurückzustehen.

Die Verquickung politischer Ereignisse mit deren künstlerischer, literarischer, musikalischer und filmischer Verarbeitung und Darstellung arrangiert Peters allerdings so geschickt, dass er die Geschichte des Sinais und seine Repräsentation zu einer nicht nur geistigen Landkarte des Sinais entwickelt. Bei dieser Arbeit ist auch die klare Sprache hervorzuheben. Sie liest sich wegen des im besten Sinne journalistischen Schreibstils sehr flüssig. Das ist gerade für eine Dissertation erfrischend, der es trotzdem nicht an Tiefe fehlt. Peters schafft es somit, nicht nur seine Hypothesen zu plausibilisieren, sondern auch sehr gut eine israelische Kulturgeschichte der Sinai-Halbinsel zu schreiben.

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