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Titel
Transformations of Romanness. Early Medieval Regions and Identities


Herausgeber
Pohl, Walter; Clemens Gantner, Cinzia Grifoni, Marianne Pollheimer-Mohaupt
Reihe
Millennium Studies 71
Erschienen
Berlin/Boston 2018: de Gruyter
Anzahl Seiten
586 S.
Preis
129,95€
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hendrik Hess, Institut für Geschichtswissenschaft, Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Romanness“, „la romanité“, „romanitas“ oder „Römertum“ ist ein schwer zu greifendes Phänomen, zumal in der Umbruchzeit von Spätantike und Frühmittelalter. In ihrem Sammelband „Transformations of Romanness“ versuchen Walter Pohl, Clemens Gantner, Cinzia Grifoni und Marianne Pollheimer-Mohaupt das Amorphe durch Komplexitätsreduktion unter Zuhilfenahme des Konzepts der „Identität(en)“ (Untertitel: „Early Medieval Regions and Identities“) zu fassen. „Can being Roman be understood as a civic, legal, political, imperial, religious, or cultural identity? To what extent did it assume ethnic characteristics?“ (S. 7), fragt der erstgenannte Herausgeber in seiner Einleitung und schreibt damit die durch ihn selbst mitgeprägte „Wiener Schule“ über die Ethnogenese der „gentes“ und (ethnische) Identität zu fluiden „modes of identification“1 weiter fort.2 Insgesamt versammelt der umfangreiche Band in acht Kapiteln 27 englischsprachige Beiträge (von denen hier nur jeweils ein Aufsatz pro Kapitel Erwähnung finden kann).

Im ersten Abschnitt „Aspects of Romanness in the early Middle Ages“ (S. 1–67) ist vor allem ein Beitrag hervorzuheben und den Herausgeberinnen und Herausgebern für die couragierte Entscheidung zu dessen Aufnahme zu gratulieren. Guy Halsall liefert in „Transformation of Romanness. The northern Gallic case“ keine Eloge auf die methodische Ausrichtung des Bandes, sondern gibt im Gegenteil auch kritischen Ansichten Raum. Vor allem weist er auf die Gefahr des Zirkelschlusses hin, der die mediävistische Beschäftigung mit Ethnizität unterlag, die bisher mit der Untersuchung der „Barbaren“ ethnische Gruppen in den Mittelpunkt stellte, die schon immer als ethnische Gruppen betrachtet wurden („have always been considered to be ethnic groups“, S. 44) und damit von vorneherein immer die ethnischen Protagonisten der Geschichte gewesen seien („have always been the ethnic players in the story“, ebd.). Zudem bleibe offen, warum die „Germani“ als ethnisch differenziert betrachtet werden, die Bewohner des römischen Imperiums im Gegenzug jedoch nicht. Römische Identität sei keinesfalls als unveränderlich und monolithisch zu verstehen, sondern eher als aktivierbare politische Ressource zu betrachten, die jedoch in der Folge der Gotenkriege Justinians spätestens um das Jahr 600 endgültig verschwand.

Im Kapitel „The Late Antique and Byzantine Empire“ (S. 69–139) schlägt Johannes Koder mit „Remarks on linguistic Romannes in Byzantium“ einen Bogen zwischen lateinischer und griechischer Welt. Im byzantinischen Imperium habe die „romanitas“ auch nach dem 6. Jahrhundert noch hohe politische Signifikanz gehabt, ihre vormalige enge Verbindung mit der lateinischen Sprache jedoch sei nach der Regierungszeit Justinians abgerissen. Schließlich habe im Sprachgebrauch die Verwendung der Selbstbezeichnung Romaioi bis in die Mitte des 15. Jahrhundert eher „unreflected and ‚natural‘“ (S. 120) stattgefunden und nicht im Sinne einer bewussten ethnischen Identifikation mit dem antiken Rom.

Das Kapitel „The City of Rome“ (S. 141–194) behandelt die Stadt Rom selbst. In „The post-imperial Romanness of the Romans“ zeigt Paolo Delogu auf, dass das Römersein in der Folge des Wiederaufstiegs Roms mit Beginn des 8. Jahrhunderts vor allem mit der Rolle des Papsttums verknüpft war. In erster Linie die Verbindung zum Frankenreich und karolingischem Königshaus habe für ein neues, aber lokales Selbstbewusstsein der Stadtrömer gesorgt: „The new order in Rome […] became a respublica Romana, where the pope was the lord, but the Romans, as citizens of Rome, had a share in the public rights connected to the sovereignty over the city and its territory“ (S. 158).

Giorgia Vocino widmet sich im nächsten Abschnitt zu „Italy and the Adriatic“ (S. 195–252) in ihrem Beitrag „Looking up to Rome: Romanness through the hagiography from the duchy of Spoleto“ einer spezifisch spoletanischen Ausprägung von Romanness. Einerseits sei sie in der vergangenen imperialen Größe andererseits spätestens ab dem 9. Jahrhundert in der Bestrebung verwurzelt gewesen, „an association with a Lombard identity“ (S. 210) zurückzuweisen.

„Gaul“ (S. 253–368) erhält als nächste Region mit insgesamt sieben Aufsätzen die meiste Aufmerksamkeit. Ähnlich wie Halsall und Koder (und weitere Beiträgerinnen und Beiträger des Bandes) sieht Ralph Mathisen in „‚Roman‘ identity in Late Antiquity, with special attention to Gaul“ römische Identität im engeren Sinn im frühmittelalterlichen Gallien als erloschen an. In diesem Zusammenhang warnt Mathisen, wiederum ähnlich wie Halsall, vor voreiligen Zuschreibungen, die auf „our own preconceptions“ (S. 272) beruhen könnten.

Im Abschnitt zur „Iberian Peninsula“ (S. 369–392) befasst sich Ann Christys in „‚Made by the ancients‘. Romanness in al-Andalus“ mit der originellen Frage, ob und wie unter umayyadischer Herrschaft an die römische und visigotische Vergangenheit der Region angeknüpft wurde. Das römische Erbe habe sich vor allem in (verfallenen) Bauwerken tradiert, die zwar islamischer Tradition gemäß in Ehren gehalten wurden, aber „with a very few exceptions, Arabic historians and geographers were content to lump Romans with Hercules and the sons of Noah among the ancients whose footprints they saw on al-Andalus without being conscious that they were following in them“ (S. 392).

Das nächste Kapitel ist den „Northern peripheries. Britain and Noricum“ (S. 393–436) gewidmet. Hier untersucht Katharina Winckler in „Romanness at the fringes of the Frankish Empire. The strange case of Bavaria“ die romanischsprachige Bevölkerung des frühmittelalterlichen Bayern auf Spuren römischer Identität. Bei den in den Quellen erwähnten „Romani tributales“ sei allerdings nicht zweifelsfrei belegbar, dass es sich um eine ethnische Gruppe handelte, die sich als römisch identifizierte, auch Träger römischer Namen „were seen and saw themselfs as Bavarians“ (S. 435).

Im letzten Teil „From Roman provinces to Islamic lands“ (S. 437–479) beschäftigt sich Jack Tannous in „Romannes in the Syriac East“ mit der Ausprägung der „romanitas“ aus der Perspektive syriakischer und arabisch-christlicher Quellen. Das Wort „r(h)ūmāyā“ für „Römer“ sei in erster Linie als Synonym für „Soldat“ gebraucht worden, darüber hinaus präge die „persistent connection between Rome and Christianity“ (S. 462) die Vorstellung von Römertum in den christlichen Quellen maßgeblich.

Auf ein gemeinsames Fazit verzichten die Herausgeberinnen und Herausgeber, möglicherweise zu Gunsten des im Vorwort angekündigten zweiten komplementären Bandes zur Romanness mit archäologischem Schwerpunkt, der selbiges nachliefern könnte – zu hoffen wäre es jedenfalls. Es würde sich dort eine abschließende Reflexion anbieten, inwiefern das soziologische Konzept von „Identität(en)“ im speziellen Fall weiterhilft, dem spätantik-frühmittelalterlichen Quellenmaterial angemessen ist und heuristisch überzeugt oder vielleicht doch zu viele Prämissen mit sich führt, die etwa den Blick gleich zu stark auf Unterschiede und Differenzen lenken und ihn auf die „Ähnlichkeiten“3 des Selbstverständnisses in den Ordnungen der Spätantike und des Frühmittelalters ein Stück weit verstellen. Vorstellungen von „romanitas“ in den Quellen – das zeigen viele der abwägenden Aufsätze – sind eben nicht gleichzusetzen mit römischer Identität der Zeitgenossen. Alle Beiträge sind dabei von durchgängig hoher Qualität und die Kohärenz des Bandes ist groß. Insgesamt wird mit ihm ein wichtiger Beitrag zur Frage der Selbst- und Fremdsicht spätantik-frühmittelalterlicher Akteure und außerdem das Verdienst erbracht, neben der bisherigen Konzentration der Forschung auf die „gentes“ nun auch die „Römer“ zu ihrem Recht kommen zu lassen. Es zeigt sich hier zudem einmal mehr eindrücklich – und das ist wohl auch der größte Schutz vor Kritik am Konzept der „Identität“ –, dass sich mit ihm interdisziplinär und landesspezifische Forschungstraditionen überbrückend hervorragend kollaborativ arbeiten lässt.

Anmerkungen:
1 Vgl. schon Walter Pohl, Introduction – Strategies of Identification: A Methodological Profile, in: Ders. / Gerda Heydemann (Hrsg.), Strategies of Identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 13), Turnhout 2013, S. 1–64.
2 Zur „Wiener Schule“ Manuel Koch, Ethnische Identität im Entstehungsprozess des spanischen Westgotenreiches (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 75), Berlin/Boston 2012, S. 9–24.
3 Zur „Ähnlichkeit“ als Erkenntniskategorie vgl. Dorothee Kimmich, Ins Ungefähre. Ähnlichkeit und Moderne, Konstanz 2017.

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