M. E. Holzmann: "… und steht die Legion auf dem ihr zugewies'nen Posten"

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Titel
"… und steht die Legion auf dem ihr zugewies'nen Posten". Die Österreichische Legion als Instrument früher NS-Aggressionspolitik


Autor(en)
Holzmann, Michael E.
Reihe
Geschichte 152
Erschienen
Berlin 2018: LIT Verlag
Anzahl Seiten
628 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Verena Moritz, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien

Lange Zeit von der Forschung eher gestreift und ganz und gar reduziert auf ihre letztlich marginale Rolle im Zuge des nationalsozialistischen Juliputschs 1934, war es zunächst Hans Schafranek, der 2011 eine Studie mit dem Titel „Söldner für den Anschluss“ eigens zur Österreichischen Legion veröffentlichte.1 Seine Darstellung fußte nicht zuletzt auf den Biografien verschiedener Legionäre, deren „Werdegang“, Motive und Aktivitäten entsprechend ausgeleuchtet wurden. Er porträtierte die Legion schließlich auch im Spannungsfeld rivalisierender Parteiinstanzen, staatlicher Behörden sowie im Kontext der außenpolitischen Konflikte, die sich als Folge deren bloßer Existenz ergaben. Weitere wichtige Aspekte, die die Geschichte der Legion tangieren, finden sich indessen auch in verschiedenen Arbeiten von Kurt Bauer. Sie betreffen vor allem die Bedeutung der Legion im Jahr 1934, als sich trotz des gescheiterten Putschs in Wien NS-Gruppierungen in einigen Bundesländern blutige Kämpfe mit den Sicherheitskräften lieferten.2

Gestützt auf umfangreiche Archivrecherchen vor allem in Deutschland und Österreich liegt nunmehr eine weitere, überaus detailreiche Untersuchung zur Geschichte der Österreichischen Legion vor. Es handelt sich um die Druckfassung einer an der Universität Marburg angenommene Dissertation.

Der Bedeutung der Legion als „Instrument früher NS-Aggressionspolitik“ entsprechend, ist der Autor, der bereits mit einer verdienstvollen Publikation zum österreichischen Nationalsozialismus hervorgetreten ist3, bemüht, seinen Untersuchungsgegenstand als Faktor der österreichisch-deutschen Beziehungen zu kontextualisieren. Trotz strikter Geheimhaltung seitens Deutschlands und bewusst gestreuter Desinformation war es den österreichischen Sicherheitskräften bereits relativ früh gelungen, einigermaßen relevante Informationen über die nach dem faktischen Verbot der NSDAP im Juni 1933 ins Nachbarland geflohenen und in einer Legion zusammengefassten Nationalsozialisten zu sammeln. Wenngleich der diesbezügliche Wissensstand in Österreich oft diffus blieb, war klar, dass aus den Aktivitäten der NS-Flüchtlinge in Deutschland eine veritable Gefahr erwuchs. Der im Frühsommer 1933 gegründeten Legion gehörten bereits im August dieses Jahres 3.500 Mann an. Einige von ihnen waren federführend an jenen Terroraktionen beteiligt gewesen, die Österreich im Frühjahr 1933 erschütterten. Und auch vom Exil aus wurde der NS-Terror im Heimatland tatkräftig unterstützt. Dass vor diesem Hintergrund der Regierung in Wien daran gelegen war, die aus dem Nachbarland gesteuerten Aktionen gegen Österreich auf internationaler Ebene entsprechend anzuprangern, brachte deutsche Diplomaten regelmäßig in Verlegenheit. Hier zeigten sich überdies zahlreiche Konfliktlinien mit dem von Hitler persönlich eingesetzten Landesinspekteur Theo Habicht, der den Kurs der österreichischen NSDAP vorgeben sollte. Hinzu kamen die vielen Zwistigkeiten unter den Nationalsozialisten in Österreich mit ihren jeweiligen eigenen Putschplänen, gepaart mit der Bereitschaft, Konkurrenten bei den Sicherheitsbehörden zu denunzieren. Keineswegs „harmonisch“ gestalteten sich überdies das Zusammenleben der Legionäre selbst beziehungsweise die Beziehungen zu den deutschen übergeordneten Stellen. Das Frustrationspotential unter den Männern war angesichts eines stetig vor Augen habenden, dann aber doch immer wieder aufgeschobenen „Anschlusses“ und damit der verzögerten „triumphalen Heimkehr“ nach Österreich groß. Holzmann schildert hier eindringlich die Gewaltbereitschaft sowie die kriminellen Energien der Legionäre.

Nicht zuletzt die Februarkämpfe 1934, an deren Ende die sozialdemokratische Partei zerschlagen wurde, verstärkten die Vorstellung der österreichischen NS-Flüchtlinge von der Notwendigkeit eines gewaltsam herbeizuführenden Umsturzes in ihrem Herkunftsland. Die Männer, die in mehreren bayrischen Lagern konzentriert waren und dort militärische Schulungen erhielten, wurden immer ungeduldiger. Die Erfolgsaussichten eines baldigen „Anschlusses“ bzw. das Ausmaß der damit einhergehenden „internationalen Verwicklungen“ wurden in Deutschland allerdings unterschiedlich bewertet. Schließlich deutete Hitler nach seinem Treffen mit Mussolini im Juni 1934 die Aussagen des „Duce“ als Bereitschaft, „eine deutsche Intervention gegen Dollfuss“ zu „dulden“. (S. 327)

Nur wenige Tage nach der Unterredung der beiden Diktatoren trat rund um die Vorgänge im Rahmen des sogenannten „Röhm-Putsch“ die Skrupellosigkeit des NS-Regimes klar zu Tage. Holzmann bemüht sich trotz schwieriger Quellenlage, die Ereignisse auch in Zusammenhang mit der Legion zu bringen, bevor er sich schließlich dem Juliputsch 1934 zuwendet. Hier macht er ungeachtet der Tatsache, dass die Legion damals nicht die Rolle spielte, die sich viele erhofft hatten, die Dimension des Themas eindrucksvoll deutlich. Zunächst zeichnet er die „Wirrnisse“ der Putschvorbereitungen nach und schildert dann die Abläufe, die mit dem letztlich unbedeutenden Eingreifen einzelner Legionäre in die Entwicklungen in Österreich verbunden waren. Gleichzeitig geht es auch um die Erwartungen der NS-Gefolgsleute in den Bundesländern, die eine Unterstützung seitens der Legion betrafen. In diesem Zusammenhang gerät einmal mehr die Figur des Hermann Reschny in den Fokus. Die undurchsichtige Rolle des SA-Obergruppenführers, der an der Spitze der Legion sowohl im Vorfeld des Putsches als auch im Zuge der Kämpfe in Österreich stand, nährte immer wieder verschiedene Thesen über dessen persönliche Zielsetzungen ebenso wie über Hitlers Rolle während des Putschs. Holzmann greift die verschiedenen Zugänge auf; seine Darstellungen bzw. Schlussfolgerungen bezüglich des von ihm diagnostizierten „Doppelspiels“ (S. 320–324) des SA-Mannes Reschny decken sich mit bisherigen Interpretationen nur teilweise.4

Bekanntlich machten Mussolinis Drohungen einen wie auch immer geplanten Einsatz der Legion in Österreich zunichte. Von deren Aktivitäten distanzierte sich Berlin in der Folge dezidiert. Der Übertritt von einigen wenigen Legionären bei Kollerschlag in Oberösterreich – unter ihnen der spätere Lagerkommandant von Theresienstadt Anton Burger – (S. 306) stellte die wilde Entschlossenheit der Beteiligten unter Beweis. Bestraft wurden die „Ungehorsamen“ bei ihrer Rückkehr nach Deutschland allerdings milde. Nach nicht einmal drei Wochen „Ehrenhaft“ kamen sie frei. Während die Putschisten das Gefühl beschlich, „von den Verantwortlichen […] bewusst ins Unheil gejagt worden zu sein“ (S. 339), blieben Letztere trotz bewusst zur Schau gestellter Distanz seitens offizieller deutscher Stellen am Ende weitgehend unbehelligt.

Ausführlich und mit vielen neuen Details beschreibt Holzmann das Schicksal der Legionäre nach dem Juliputsch. Die Auflösung ihres Verbandes befürchtend, widersetzten sie sich deutschen SA- und SS-Leuten sogar gewaltsam. (S. 357) Ungeachtet dessen erfolgte eine Umbildung in ein „Hilfswerk für österreichische Flüchtlinge und Hinterbliebene“ bzw. in das „Hilfswerk Nordwest“ und damit eine völlige Umstrukturierung der bisherigen Legion. Weiterhin wurde die Einbürgerung der Legionäre betrieben. Ende 1935 bestand das „Hilfswerk Nordwest“ aus ca. 8.000 Personen. (S. 425)

Der „Anschluss“ 1938 fand ohne Beteiligung der nach wie vor bestehenden Legion statt. Ende März aber erfolgte schließlich ein „triumphaler Einmarsch“ in die Heimat. Ihre endgültige „Abwicklung“ kam allerdings nur kurze Zeit später. (S. 476)

Resümierend hebt der Autor die enorme Aggressionsbereitschaft und den Fanatismus der österreichischen Nationalsozialisten hervor. Dass sie – so Holzmann – ihren Beitrag im Zeitalter „von dämonischen Hanswürsten“ (Konrad Heiden) geleistet haben, macht er wohl nicht zuletzt an der Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit der „Mission“ der österreichischen Exil-Nazis fest.

Die Studie überzeugt zweifellos durch eine bemerkenswerte Rechercheleistung, welche die jahrzehntelange Beschäftigung des Autors mit dem Thema widerspiegelt. Ein entsprechendes Lektorat hätte allerdings leicht dazu beitragen können, Analyse und Deskription dort und da in ein ausgewogeneres Verhältnis zu bringen, die Vielstimmigkeit der Quellen etwas leserfreundlicher zu kanalisieren oder aber begriffliche Unschärfen, möglicherweise aber auch nur Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler, zu vermeiden.

Ungeachtet dessen hat Holzmann bisherige Forschungen zur Legion um viele wichtige Aspekte ergänzt bzw. vervollständigt und darüber hinaus „Fährten“ zu weiterführenden Untersuchungsfeldern gelegt. Für nachfolgende Forschungen zum österreichischen Nationalsozialismus dient das Buch gewiss als unverzichtbarer Kompass inmitten einer überaus zerklüfteten NS-Geschichte mit ihrer ebenso unwegsamen Quellenlage.

Anmerkungen:
1 Hans Schafranek, Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938, Wien 2011. Vgl. auch ders., Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934, Wien 2006.
2 Kurt Bauer, Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934, Wien 2003; ders., Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934, St. Pölten 2014.
3 Michael E. Holzmann, Die österreichische SA und ihre Illusion von „Großdeutschland“, Bd. 1: Völkischer Nationalsozialismus in Österreich bis 1933, Berlin 2011.
4 Vgl. v.a. Bauer, Hitlers zweiter Putsch.

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