Obwohl das Turnier zu den auffälligsten Erscheinungen der ritterlich-höfischen Kultur des Mittelalters gehört, sind die Forschungslücken auf diesem Gebiet noch größer als unsere Kenntnisse. Einen Markstein in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Turnier bildet der 1985 von Josef Fleckenstein herausgegebene Sammelband über „Das ritterliche Turnier im Mittelalter“1, dem allerdings nur wenige Spezialstudien v.a. zu deutschen Besonderheiten wie den genossenschaftlich organisierten „Turnieren der Vier Lande“ (1479-1487) folgten. Die gerade für ein internationales Phänomen wie die ritterlich-höfische Kultur wichtige europäische Perspektive nimmt die Monographie von Richard Barber und Juliet Barker ein, die bereits 1989 in englischer Sprache erschienen ist. Die jetzt vorliegende Übersetzung wird die Rezeption des bisher wenig beachteten Buches im deutschen Sprachraum sicherlich befördern.
Richard Barber und Juliet Barker schildern zunächst die gegen Ende des 11. Jahrhunderts zu datierenden Anfänge des Turniers im nördlichen Frankreich bevor sie dessen Erscheinungsformen in England und Frankreich, in Deutschland, Italien, auf der iberischen Halbinsel, aber auch in Schweden, Ungarn, Polen, Zypern und Byzanz beschreiben. Ein weiteres chronologisches Kapitel gibt einen Überblick über die Entwicklung des Turniers im späten Mittelalter und der Renaissance. Abgeschlossen wird der Band durch drei systematisch angelegte Kapitel über die Gefahren des Turniers, über Rüstung und Waffen sowie das „Ereignis Turnier“.
Trotz der Vielfalt der Erscheinungsformen des Turniers in den verschiedenen europäischen Ländern, zeichnen sich gewisse Grundtendenzen der Entwicklung vom 12. bis zum 16. Jahrhundert ab. Die ersten Turniere entstanden offenbar als Antwort auf eine veränderte Kampftechnik, in welcher der Angriff von einer Reitertruppe als taktischer Einheit mit eingelegter, also fest unter den Arm geklemmter, Lanze ausgeführt wurde. Diese neue Kampftechnik bedurfte des Trainings. Dies macht die Unterscheidung der frühen Turniere von regelrechten Schlachten schwierig, doch läßt sich der Spielcharakter als entscheidendes Kriterium ausmachen. Obwohl die frühen Turniere nicht selten während Belagerungen oder in Kampfpausen stattfanden zielten die Teilnehmer nicht auf die Tötung des Gegners, sondern auf dessen Gefangennahme und ein anschließendes Lösegeld. Im 12. und 13. Jahrhundert war die „meleé“, das Massen- oder Gruppengefecht die beliebteste Turnierform, die sich nur durch rudimentäre Regeln von einer regelrechten Schlacht unterschied. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts nahm deren Popularität jedoch ab und wurde vom Zweikampf, dem Tjost, abgelöst. Während Gruppenturniere schon allein wegen der großen Zahl der Teilnehmer zumeist auf dem freien Feld stattfanden, konnten Tjoste auch in Städten veranstaltet werden, wodurch sie auch für ein größeres Publikum interessant wurden.
Turniere auf städtischen Marktplätzen wurden vor allem in den Niederlanden veranstaltet; in manchen Städten in jährlichem Rhythmus. Anders als in England, Frankreich und Spanien, wo eine enge Verbindung mit dem Rittertum bestand, nahmen dort auch die Bürger der Städte neben adligen Rittern teil. In Deutschland sind seit dem Ende des 14. Jahrhunderts zwei Formen nebeneinander zu beobachten. Zum einen gab es das Turnier als städtische Veranstaltung, an dem sich Patrizier wie etwa der Augsburger Turnierenthusiast Marx Walther beteiligten. Andererseits gab es eine Tendenz, die vor allem von genossenschaftlich verfaßten Turniergesellschaften gefördert wurde, das Turnier zu einer exklusiv adeligen Veranstaltung zu machen. Dieses Bemühen fand seinen deutlichsten Ausdruck und den aus dem 15. Jahrhundert überlieferten Turnierordnungen, die weniger das Verhalten der Kämpfer als vielmehr die sozialen Voraussetzungen der Teilnahme normierten.
Mit der Entwicklung vom schlachtähnlichen Gruppenturnier zum Zweikampf ging eine Theatralisierung des Turniergeschehens einher. Auch wenn der „Frauendienst“ Ulrichs von Liechtenstein, in dem dieser zwei Turnierfahrten in der Verkleidung als Frau Venus und als König Artus schildert, nicht für bare Münze genommen werden können, zeigt sich darin doch der Einfluß der höfischen Literatur auf ritterliche Verhaltensweisen, dessen Ausmaß kaum überschätzt werden kann.. So treten in England und Frankreich im 13. Jahrhundert nahezu zeitgleich Tafelrundenturniere in Erscheinung, bei denen die Teilnehmer die Namen der Helden aus dem Artus-Stoff annehmen und die einzelnen Zweikämpfe in eine daraus entnommene Geschichte eingebunden werden. Seinen Höhepunkt erlebte diese Tendenz zur Inszenierung in aufwendigen höfischen Festen wie sie im 15. Jahrhundert von den burgundischen Herzögen oder dem Titularkönig von Sizilien, René von Anjou, veranstaltet wurden. Das Turnier wurde zum „gesellschaftlichen Ritual, und die das Ereignis umgebende Etikette, der theatralisch-dramatische Rahmen, drängten den eigentlichen Kampf in den Hintergrund.“ (128)
Trotz der Tendenz zur Theatralisierung und der Verfeinerung des Regelwerks kam es immer wieder zu Todesfällen. Dabei handelte es sich zumeist um echte Unglücksfälle, doch boten gerade die noch recht ungeordneten Massenturniere des 12. und 13. Jahrhunderts gute Gelegenheit zur Fortsetzung von Fehden und Rachehandlungen. Insbesondere diese Todesfälle führten zum kirchlichen Verbot des Turniers, das erstmals im Jahr 1130 vom Konzil von Clermont formuliert, vom zweiten Laterankonzil 1139, dem Konzil von Reims 1148 und dem dritten Laterankonzil 1179 wiederholt wurde. Trotz der harten Sanktionen - so sollten beim Turnier zu Tode gekommene Ritter kein kirchliches Begräbnis erhalten - zeigten diese Verbote wenig Wirkung, wohl auch, weil die meisten Turnieropfer ungeachtet ihrer Todesumstände in Kirchen und Klöstern bestattet wurden. Auch von weltlicher Seite gab es Versuche zur Regulierung des Turniers, boten sie doch häufig das Forum für Rebellionen und Verschwörungen des Adels. So entschloß sich der englische König Richard Löwenherz im Jahr 1194 zur besseren Kontrolle des Adels, Lizenzen für die Teilnahme an Turnieren zu vergeben, die zudem nur noch an fünf Orten in England gestattet waren.
Zu den Stärken des Buches gehört die Akzentuierung des Turniers als Phänomen einer europäischen ritterlich-höfischen Kultur. Der internationale Charakter dieses Sports tritt seit dem 14. Jahrhundert deutlich hervor. So unternahm etwa König Peter I. von Zypern von 1361-65 eine Reise durch Europa, um für einen Kreuzzug zur Befreiung des Heiligen Landes zu werben. Zwar konnte er auf seiner kein Kreuzfahrerheer zusammenstellen, doch nahm er in diesen fünf Jahren an Turnieren in Straßburg, Smithfield, Paris, Brüssel, Venedig, Prag, Krakau und Wien teil. Offensichtlich war die Veranstaltung eines Turniers bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts fester Bestandteil der höfischen Etikette. Zu den Merkmalen der im 15. Jahrhundert beliebten Forderungen zum Zweikampf gehören die von Rittern zurückgelegten großen Entfernungen, so daß das Auftreten eines portugiesischen Ritters in der Bretagne oder eines Sizilianers in Gent nicht ungewöhnlich waren.
Das Buch von Richard Barber und Juliet Barker gibt ein detailreichen, quellengesättigten und überdies gut illustrierten Überblick über das Turnier als europäisches Phänomen, der allerdings nur selten über den Forschungsstand des von Fleckenstein herausgegebenen Bandes zum ritterlichen Turnier im Mittelalter hinausgeht. Störend ist zudem, daß man die benutzten Quellen ausschließlich über die knapp gehaltenen Anmerkungen erschließen muß. Auch würde man sich ein ausführliches Literaturverzeichnis zur weitergehenden Beschäftigung mit dem Thema wünschen.
Anmerkung:
1 Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, hg. v. Josef Fleckenstein (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 80), Göttingen 1985.