J.L. Rankin: A People's History of Computing in the United States

Cover
Titel
A People's History of Computing in the United States.


Autor(en)
Rankin, Joy Lisi
Erschienen
Cambridge, MA 2018: Harvard University Press
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
$ 29.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Barbara E. Hof, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Die Entwicklung der digitalen Kultur während der 1960er- und 1970er-Jahre erfährt in jüngster Zeit vermehrt Aufmerksamkeit.1 Auch Joy Lisi Rankin nimmt sich in A People's History of Computing in the United States dieser Epoche an und rückt dabei insbesondere Fragen der Sozialstruktur der Nutzergruppen ins Zentrum ihrer Untersuchung. Rankin will zeigen, dass bereits vor der Einführung des Mikro- bzw. Personal Computers eine personalisierte, interaktive Verwendung dieser Technologie Verbreitung fand. Anders gesagt thematisiert das aus einer Dissertation hervorgegangene Buch, wie Computer zwischen 1965 und 1975 in den Vereinigten Staaten einer breiteren gesellschaftlichen Schicht zugänglich wurden, sich allmählich durchsetzten und erste digitale Kommunikationsnetzwerke entstanden.

Rankin hat eine lesenswerte und materialreiche Rekonstruktion der Sozialgeschichte des Computers anhand von Fallstudien zu Dartmouth, Minnesota und Illinois vorgelegt und so noch wenig ausgeleuchtete Ecken der Computergeschichte erschlossen. Die drei Beispiele verbindet eine wesentliche Gemeinsamkeit, und zwar die hohe Bedeutung von Bildungsinstitutionen als Innovationsorte. Die Studie zeigt systematisch auf, dass Schulen, Colleges und Universitäten im Amerika der 1960er-Jahre nicht nur Abnehmer von Erfindungen waren, wie dies auch in der Forschung häufig angenommen wird2, sondern technologische Innovationen hervorgebracht haben, die von den Lernenden und Studierenden mitgestaltet wurden.

Diese beteiligten sich aber nicht gleichermaßen an diesem Prozess. Vielmehr zeichnet Rankin im ersten Drittel des Buches höchst plausibel eine Veränderung der Computernutzung nach, die von Merkmalen wie Herkunft, finanzieller Ressource und Geschlecht geprägt war. Konkret zeigt das Beispiel von Dartmouth, dass die ersten Computerversuche an Schulen stattfanden, an denen nicht koedukativ unterrichtet wurde und die vorwiegend von jungen, weißen Männern aus wohlhabenden Familien besucht wurden, was andere Personengruppen im Prozess der Aneignung des Computers als einem neuen Lerngerät und Kommunikationsmedium systematisch benachteiligte.

Im zweiten Teil arbeitet Rankin heraus, wie die in Dartmouth entwickelte, einfach konzipierte und deshalb schnell erlernbare Programmiersprache BASIC (Beginner’s All-purpose Symbolic Instruction Code) zuerst im Mathematikunterricht auf dem lokalen Campus und dann andernorts Anwendung fand. Ausgangslage ihrer Erfindung war, dass sich die in Fachkreisen etablierten Sprachen FORTRAN (FORmula TRANslation) und COBOL (Common Business Oriented Language) für jüngere, unerfahrene Personen als zu anspruchsvoll erwiesen. BASIC sollte diese an den Umgang mit Computern heranführen. Am Beispiel von Minnesota wird wiederum deutlich, wie eine auf Timesharing basierte Computertechnik die Entstehung interaktiver Netzwerke förderte und den Terminalcomputer an mehr und mehr Schulen brachte.

Im letzten Drittel nimmt sich Rankin dem in Illinois entwickelten Hardware-System PLATO (Programmed Logic for Automatic Teaching Operations) an, welches ursprünglich ebenfalls als Lehrmedium konzipiert war und dessen Geschichte von ähnlichen Aneignungsprozessen geprägt ist, die sich bereits an Dartmouth und Minnesota aufzeigen ließen, wo Jugendliche rasch begonnen hatten, Spiele zu programmieren und sich mittels des Computers auszutauschen.3 Rankin fragt hier nach möglichen Geschlechterstereotypen, die die aufkommende Verwendung des Computers als Kommunikationsplattform prägten. An dieser Stelle verliert sich die Autorin ein wenig in der additiven Ergebnispräsentation. Eine komplexere Diskussion und stärkere Abstraktion von den Quellen wären wünschenswert gewesen, etwa eine Reflexion darüber, dass neue Medien nicht zwangsläufig neue Beziehungsmuster und Rollenerwartungen hervorbringen, sondern auch bestehende gesellschaftliche Verhältnisse abbilden, während die Anonymität medialer Kommunikation zugleich subversives und aufsässiges Verhalten begünstigen kann.

Insgesamt trägt Rankins Studie zur Nutzungsgeschichte des Terminalcomputers und zur Verbreitung der Programmiersprache BASIC gewinnbringend dazu bei, eine erst seit kürzerem intensiver bearbeitete Forschungslücke zwischen dem auf Lochkarten basierten Großrechner der 1950er-Jahre und dem in den 1980er-Jahren aufkommenden Personal Computer zu schließen. Die Untersuchung wird vom Vorhaben gerahmt, eine Geschichte der „Vielen“ zu schreiben, ein Gegennarrativ zur Heldenfiguration anzubieten sowie der, wie Rankin mehrfach schreibt, „Silicon Valley Mythology“, die dieses Industriegebiet als alleiniger Erfindungsort des Computers erinnere, etwas entgegenzustellen. Denn so würde die Bedeutung anderer Regionen fälschlicherweise geschmälert. Die ersten beiden Punkte sind gut eingelöst und bereichern die Forschung. Zum letzten Punkt hingegen lässt sich anmerken, dass der Anspruch, den Bedeutungszuwachs der nordkalifornischen Bay Area für die Computerindustrie nach 1980 durch eine Studie zu revidieren, die sich ausdrücklich mit dem Zeitraum davor beschäftigt, etwas zu hoch gesetzt ist. Ergiebiger wäre es doch, nach dem Übergang zwischen den beiden Phasen der Computergeschichte zu fragen.4 Die Schärfe, mit der Rankin ihre Kritik an der Konstruktion und Überlieferung von Heldengeschichten vorträgt, ist mehr als nachvollziehbar, schießt aber stellenweise etwas über das Ziel hinaus. Trotz der bisweilen überspitzten Deutungen ist A People's History of Computing in the United States jedoch ein sehr zu empfehlendes Buch.

Anmerkungen:
1 Beispielsweise im deutschsprachigen Raum von: Frank Bösch (Hrsg.), Wege in die digitale Gesellschaft. Computernutzung in der Bundesrepublik 1955-1990, Göttingen 2018; David Gugerli, Wie die Welt in den Computer kam. Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit, Frankfurt am Main 2018.
2 Larry Cuban, Teachers and Machines. The Classroom Use of Technology since 1920, New York 1986; Larry Cuban, Oversold and Underused. Computers in the Classroom, Cambridge, MA 2001.
3 Zum System PLATO wurde eine Studie aus einer alltagsgeschichtlichen, interviewbasierten Perspektive vorgelegt von: Brian Dear, The Friendly Orange Glow. The Untold Story of the PLATO System and the Dawn of Cyberculture, New York 2017.
4 Eine aufschlussreiche Vergleichsstudie wurde angefertigt von: Margaret Pugh O'Mara, Cities of Knowledge. Cold War Science and the Search for the Next Silicon Valley, Princeton, NJ 2005.