Kaiser Maximilian I. aus dem Hause Habsburg (1459–1519) gehört zu den faszinierendsten Herrschern des Alten Reiches. Der Sohn Kaiser Friedrichs III. (1415–1493) und der portugiesischen Königstochter Eleonore (1434–1467) lebte in einer Epoche des Umbruchs, am Scheideweg zwischen Mittelalter und Neuzeit. Der auf vielen Ebenen sichtbare und spürbare Epochenumbruch spiegelt sich dabei nicht nur in seinem Leben, sondern auch in seiner facettenreichen Persönlichkeit. Altes und Neues mischte sich auf seltsame Weise in diesem widersprüchlichen Menschen. Zeitlebens blieb er, der das alte höfische Rittertum in Ehren hielt und um Frauenlob turnierte, mittelalterlichen Traditionen verhaftet. In gleichem Maße zeigte sich Maximilian, als humanistisch gebildeter Renaissancefürst, aufgeschlossen gegenüber den Vorboten der Moderne. Wie kaum ein anderer erfasste der Habsburger das Potential des gerade erfundenen Buchdrucks. Mit geradezu visionärem Blick bediente er sich des neuen Massenmediums, um die Gegenwart und Zukunft in seinem Sinne zu beeinflussen. Maximilian war ein Meister der Selbstinszenierung und des Storytelling und ließ sein Leben in literarischen und künstlerischen Projekten verewigen, auf dass seine papierenen Herolde der Nachwelt von der Größe des maximilianischen Ruhmes künden sollten.
Wohl niemals zuvor hat ein Herrscher sein Leben autobiographisch als illustriertes Heldenepos darstellen lassen. Und episch war das Leben des Kaisers allemal. Sein, von Karl dem Kühnen (1433–1477) entlehnter, Wahlspruch lautete „Ich hab’s gewagt“. Und tatsächlich begann die Geschichte Maximilians mit einer ritterlichen Aventüre, als der achtzehnjährige Erzherzog 1477 in die Niederlande zog, um die Länder seiner burgundischen Braut Maria (1457–1482) gegen die französische Krone zu verteidigen. Burgund öffnete ihm das Tor zur Welt, es führte Maximilian und das Haus Habsburg aber auch auf die Bahn der großen europäischen Politik. Als römisch-deutscher König und später als Kaiser agierte Maximilian auf dem europäischen und globalen Spielfeld von der Schweiz bis auf den Balkan, von den Niederlanden bis nach Italien. Kreuz und quer reiste er durch halb Europa, zumeist im Sattel von Streitrössern, da der Krieg sein Leben bestimmte. Die großen Erfolge seiner Jugend hatten ihn dazu verführt, das Wagnis zu steigern und, zuweilen getrieben von Hass und Rachsucht, immer maßlosere Ziele ins Auge zu fassen. Nur mit Mühe fand er, am Ende seines Lebens, aus dem Labyrinth der aussichtslos gewordenen Kriege heraus.
Maximilian, der erste Medienkaiser und letzte Ritter, war ein phantastischer Realist. Mal jagte er einem imaginären Königreich Österreich-Burgund nach; dann wieder träumte er von einer Wiederherstellung des karolingischen, ottonischen und staufischen Reichs und der Aufrichtung der Reichsrechte in Italien, um mit der Kaiserkrönung einen gesamtchristlichen Kreuzzug gegen die Türken einzuleiten. Zeitweise spielte er mit dem kühnen Gedanken, sich selbst zum Papst krönen zu lassen. Dabei hat Maximilian, der augenscheinlich mit vielen seiner Unternehmungen gescheitert und dem sogar die Kaiserkrönung versagt geblieben war – worauf er sich kurzerhand selbst zum erwählten römischen Kaiser ausrufen ließ –, Bleibendes geschaffen. Maximilians geschickte Hausmacht- und Heiratspolitik begründete mit den spanischen und ungarischen Hochzeiten den Universaldominat und das Fundament der Donaumonarchie. Die erfolgreiche Königswahl von 1519, welche die Kaiserkrone und den Rechtstitel auf das christliche Weltreich für Jahrhunderte bei den Habsburgern festhielt, krönte schließlich sein politisches Lebenswerk.
Kaiser Maximilian hat mit seiner folgenreichen Universalpolitik die europäische Geschichte nachhaltig geprägt. Und doch ist dieser Habsburger, in dem sich das Erbe so vieler europäischer Identitäten mischte und der einem internationalen Familienunternehmen vorstand, in Europa und Deutschland weitgehend vergessen worden. In der deutschen Erinnerungskultur ist er kaum präsent. Die biographische Kenntnis des Reichsoberhaupts erschöpft sich in der Turnierbegeisterung des letzten Ritters, die allenfalls durch den 2014 erschienenen Roman Ich, Maximilian, Kaiser der Welt1 oder den 2017 ausgestrahlten dreiteiligen Fernsehfilm Maximilian – Das Spiel von Macht und Liebe2, flankiert von der Dokumentation Maximilian – Brautzug zur Macht3, aufgefrischt wurde. In den einstigen habsburgischen Stamm- und Erblanden und im süddeutschen Raum hingegen ist die Erinnerung an ihn – gerade dort, wo durch seinen Geldsegen Holzstädte in Steinstädte transformiert wurden – ungleich lebendiger geblieben. Und so wird das fünfhundertste Todesjahr des Kaisers auch vornehmlich in diesen Regionen begangen, wobei nicht nur Österreich, sondern auch Städte in Bayern 2019 zum Maximilianjahr ausgerufen haben und es mit Gedenk- und Festveranstaltungen (Gottesdienste, Theaterstücke, Musicals, Konzerte, historische Stadtfeste etc.) begehen. Österreich, Italien (Südtirol) und die Schweiz widmen ihm mehrere kleinere und größere Ausstellungen, die von Katalogen und einem entsprechenden Rahmenprogramm begleitet werden. Daneben wird es noch zwei außereuropäische Expositionen in New York4 und in Tokio5 geben; in Deutschland richtet allein Augsburg6 eine eigene Schau aus.
Das Land Tirol würdigt den Kaiser mit einem umfassenden Kultur- und Veranstaltungsprogramm und betont unter dem Motto „Tiroler im Herzen – Europäer im Geiste“ sowohl die wechselseitige Verbundenheit, als auch die Übernationalität des Habsburgers. Diese Perspektive nimmt auch der von der Landesregierung geförderte dreisprachige (deutsch, englisch, italienisch) und von Haymon verlegte Band Kaiser Maximilian I.: Tirol. Österreich. Europa ein. Vier Aufsätze zeichnen unter dem Paradigma des Dreigestirns Tirol, Österreich und Europa die Grundzüge seines Lebens nach. Zunächst würdigt Christoph Haidacher die maximilianische Universalpolitik und, vor dem Hintergrund des Epochenumbruchs, die Persönlichkeit des Kaisers. Anschließend zeigt Michael Forcher die vielfältigen Beziehungen zwischen Landesfürst und Land sowie die geografische Stellung Tirols als Brücke zwischen Österreich und Europa auf. Ferner stellt er die hohe Bedeutung heraus, die Tirol für Maximilian als Wirtschafts- und Rüstungsstandort und bevorzugtes Jagdgebiet einnahm. Mit Innsbruck als Residenz bildete es faktisch das Zentrum seiner Regierung als römisch-deutscher König und Kaiser. Stärker auf Österreich bezieht sich der dritte Beitrag von Christian Lackner, der den Haus Österreich-Begriff und die Inszenierung des Erzherzogtums, als Bezeichnung für das bunte Konglomerat der habsburgischen Erbländer, thematisiert. Aufmerksam gemacht wird auch auf die Auseinandersetzungen zwischen dem Landesherrn und den auf politische Partizipation drängenden Ständen, die sich, da sie „fast ausschließlich in den Dimensionen ihrer jeweiligen Länder dachten“ (S. 133), mitnichten als Glieder eines Körpers verstanden. Mark Mersiowsky und Ellen Widder schließlich skizzieren die Grundzüge der maximilianischen Ambitionen im europäischen und globalen Rahmen.
Die Ausführungen bleiben gerade im ereignisgeschichtlichen Kontext auf das Wesentliche konzentriert, wie auch viele Themen in Anbetracht dieses außergewöhnlichen Lebens nur gestreift werden (können). Dennoch gelingt es den Autoren und Autorinnen, die zuweilen höchst komplexen Zusammenhänge in wenigen Sätzen verständlich darzulegen. Zudem zeichnen sich alle Beiträge durch einen angenehmen Sprachstil aus. Freilich finden sich, bei aller fachlichen Kompetenz, hin und wieder Auffassungen, die bereits als überholt gelten müssen. Dies betrifft vor allem die Fortschreibung des starren Schwarz-Weiß-Bildes von Maximilians Gemahlinnen und die von älteren Erzähltraditionen abgeleiteten Wertungen. Da sich der von Michael Forcher und Christoph Haidacher herausgegebene Band explizit an eine breite Leserschaft richtet, wird auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet. Nicht nachvollziehbar ist gleichwohl, dass die weiterführende Literatur lediglich sieben Titel umfasst. Unberührt davon bleibt freilich das Vermittlungsziel, Kaiser Maximilian den Leser und Leserinnen näherzubringen, so dass dieses Buch ein lebendiges Bild von einem der faszinierendsten Habsburger entwirft.
Maximilian I.: Habsburgs faszinierender Kaiser lautet der Titel einer weiteren von der Tiroler Landesregierung geförderten Publikation. Vorweg sei angemerkt, dass das Attribut „faszinierend“ der facettenreichen Persönlichkeit des Protagonisten durchaus gerecht wird. Was für ein außergewöhnliches Leben Maximilian gelebt hat, wird hier detailreich dokumentiert. Die Autorin Sabine Weiss hat 2010 einen Band über Bianca Maria Sforza (1472–1510) veröffentlicht7, der ebenso durch Sachkenntnis und sprachliche Klarheit überzeugt und sich an die vorliegende Biografie vorzüglich anfügt.
Der Inhalt gliedert sich sowohl in themenbezogene als auch in chronologisch-biografische Kapitel, wie man sie ähnlich in vergleichbaren Darstellungen findet. Dabei hat die emeritierte Professorin den bestehenden Biografien keineswegs nur eine weitere hinzugefügt. Als Standardwerk, an dem man bei der Beschäftigung mit dem Habsburger nicht vorbeikommt, gilt nach wie vor die fünfbändige Arbeit von Hermann Wiesflecker.8 Gerne greift man für einen schnellen Überblick auch zu der bei Kohlhammer verlegten Biografie seines Schülers Manfred Hollegger.9 Doch hiervon unterscheidet sich die strukturelle Aufbereitung bei Weiss essentiell darin, dass sich die 15 Kapitel aus zahlreichen kleineren Einheiten zusammensetzen, die hinsichtlich ihrer Länge teilweise erheblich variieren. Das Kapitel Die Mailänder Heirat. Eine Mesalliance zur Finanzierung der Kaiserkrönung (S. 79–108) etwa umfasst nahezu 50 Texte: unter anderem zu den Verbindungen zwischen Habsburgern, Visconti und Sforza, Kurzbiografien der Vorfahren und Verwandten von Bianca Maria Sforza, Anmerkungen zu ihrer Ausbildung, ihrer Hochzeit mit Maximilian, ihrer Brautausstattung (Schmuck, Silbergerät für Tafel und Zimmer, Ausstattung für Kapelle und Altar, Kleidung, Bettzubehör, Zimmerausstattung, Gegenstände für die Toilette, Freizeitbeschäftigung), zur Bedeutung Italiens für die kaiserliche Politik wie auch zum weiteren Schicksal des Herzogtum Mailands als Zankapfel der europäischen Mächte. Der Band erscheint damit nicht als klassische Biografie, was seitens der Autorin auch keineswegs intendiert ist. Indem er sich nicht auf ereignisgeschichtliche Aspekte beschränkt, sondern auch kultur-, kunst- und gesellschaftsgeschichtliche Themen aufnimmt, wird er vielmehr um die Eigenschaften eines anschaulich illustrierten Nachschlagewerks erweitert.
Das Buch spiegelt den gegenwärtigen Stand der Forschung, was nicht ausschließt, dass manche der von Weiss vertretenden Positionen – zum Beispiel im Kapitel Maximilian und die Frauen. Von der Mutter bis zu den Konkubinen (S. 271–302) – kontrovers diskutiert werden.10 Unabhängig davon hat die Autorin nicht nur ein Buch für ein interessiertes Laienpublikum geschrieben; sie hat gleichermaßen allen, die sich mit dem Leben und der Zeit Kaiser Maximilians beschäftigen, ein nützliches Rüstzeug an die Hand gegeben.
Anmerkungen:
1 Peter Prange, Ich, Maximilian, Kaiser der Welt, Frankfurt am Main 2014.
2 Maximilian – Das Spiel von Macht und Liebe. Regie: Andreas Prochaska; Drehbuch: Martin Ambrosch, Österreich/Deutschland: MR Film, 2017.
3 Maximilian – Brautzug zur Macht (ORF) / Liebe, Geld und Macht – Maximilian I. (ZDF) / Maximilien d’Autriche – Amour et pouvoir à la Renaissance (ARTE). Regie: Manfred Corinne; Drehbuch: Michaela Ronzoni, Österreich: MR Film, 2017.
4 The Last Knight: The Art, Armor, and Ambition of Maximilian I. Ausstellung im Metropolitan Museum of Art New York vom 7. Oktober 2019 bis 5. Januar 2020.
5 The Habsburg Dynasty: 600 Years of Imperial Collections. Ausstellung im Nationalmuseum für westliche Kunst Tokio vom 19. Oktober 2019 bis 26. Januar 2020.
6 Maximilian I. (1459–1519). Kaiser. Ritter. Bürger zu Augsburg. Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg vom 15. Juni bis 15. September 2019.
7 Sabine Weiss, Die vergessene Kaiserin. Bianca Maria Sforza, Kaiser Maximilians zweite Gemahlin, Innsbruck 2010.
8 Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., Wien 1971–1986; Ders. Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches, Wien 1991.
9 Manfred Hollegger, Maximilian I. (1459–1519). Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005.
10 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf den Beitrag von Christina Antenhofer im Rahmen der von der österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Innsbruck, der Universität Wien und der Stadtmuseen Wels ausgerichteten internationalen Tagung Maximilian I. (1459–1519). Person, Brüche und Umbrüche einer Brückenzeit in Innsbruck, Wels und Wien vom 18. bis 23. März 2019.