Amy Richlin hat ein spannendes und provokantes Buch geschrieben. Dessen Hauptthese wird auf der ersten Seite klar formuliert und auf den 479 folgenden Seiten zielstrebig verfolgt: Plautus’ Stücke der Palliata, der römischen Komödie „im griechischen Gewand“, geben die Erfahrungen der gesellschaftlichen Unterschichten Mittelitaliens im 3. Jahrhundert v. Chr. wieder – nicht nur als indirekte Quelle, sondern auch als direkter Ausdruck der Leiderfahrungen und Wunschvorstellungen von Sklaven, Freigelassenen und freien Armen.1 Die Autorin wendet sich damit ausdrücklich gegen bestehende Meinungen (S. 17–34): den Konsens, es gebe keine antiken Selbstzeugnisse von Sklaven; die Deutung, die Palliata spiegle die Sklaverei nur aus Sicht der Herren (Kathleen McCarthy); die Annahme, Plautus’ Humor habe auf eine gebildetes, privilegiertes Publikum gezielt (Michel Fontaine).2 Die These ist nicht ganz neu: Nicht nur Richlins flotter, sarkastischer Stil erinnert sehr an Paul S. Dunkins Studie von 1946 (vgl. die ausführliche Würdigung auf S. 59–62).3 Richlins Zugang entspricht dem besonders in der englischsprachigen Forschung wiedererwachten Interesse an den Themen der Sozialgeschichtsforschung des 20. Jahrhunderts: Volkskultur, Widerstand, Unterschichten.4 Sie setzt allerdings eigene Schwerpunkte entsprechend ihrer bisherigen Forschungsgebiete: Körper-Erfahrungen, Geschlechterkonstruktionen, dichterische Ausdrucksmittel.
Richlins Analyse geht von zwei Grundannahmen aus. Die erste ist die der plautinischen Originalität im Sinne Eduard Fraenkels und seiner Nachfolger von der „Freiburger Schule“, ergänzt um ein „performatives“ Verständnis der Stücke: Plautus’ Stücke beruhen zwar auf Vorlagen der attischen Neuen Komödie, ihre Sprache, ihr Humor und ihre Themen seien jedoch die seiner römisch-italischen sozialen Umgebung, in der die Stücke aufgeführt wurden (S. 9–20). Dementsprechend arbeitet Richlin Elemente des Stegreifspiels und volkstümlicher Spott- und Rügeformen heraus, was ihr besonders im dritten Kapitel („Singing for Your Supper“, S. 138–198) überzeugend gelingt.
Die zweite Annahme ist, dass Plautus’ Stücke ein „hidden transcript“ im Sinne des Politologen James Scott enthalten (S. 40–43). Sie brachten zwar auch die Bessergestellten im Publikum zum Lachen, aber für Sklaven und Arme hielten sie besondere Botschaften bereit. Die zeigen sich, wenn man zwischen den Versen liest und die vielen verstreuten Beleidigungen der Herren, Klagen über Prügel und Hunger, Phantasien von Flucht und Reichtum zusammenträgt. Ranghohe Römer im Publikum lachten also unwissentlich über sich selbst; oder, wohl die realistischere Annahme, hielten sich für etwas Besseres als die verspotteten Standesgenossen (S. 44). Plautus’ Komödie ist laut Richlin keine karnevaleske Umkehrung und kein Sicherheitsventil der herrschenden Verhältnisse. Sie ist vielmehr ein Medium der Eigensinnigkeit subalterner Schichten, das den Widerstand zumindest denkbar macht und ihn damit, so legt der Schluss nahe (S. 478–480), manchmal sogar vorbereiten half.
Richlins eigentliche Analyse ist zweigeteilt. Der erste Teil sammelt unter dem Titel „What was given“ (S. 69–198) alle Szenen und Verse, welche die Lebensverhältnisse von Sklaven und armen Freien schildern: Erniedrigung und Identitätsverlust, Prügel, Vergewaltigung, Hunger; Kriegselend, Streitereien auf offener Straße, Verschuldung. Der zweite Teil sammelt unter „What was desired“ (S. 199–480) die Tagträume und Hoffnungen der Unterprivilegierten: Rache an ihren Herren, Sex mit schönen Frauen (und Männern), Aufbegehren; aber auch: Erinnerung an die ursprüngliche Herkunft, Hoffnung auf Freilassung oder auf die Flucht in eine bessere Welt ohne Arbeit und materielle Not.
Dieser thematisch untergliederte Hauptteil bietet eine gründliche, klug kommentierte und um nützliche Tabellen ergänzte Sammlung von Belegen, für die jede künftige sozialgeschichtliche oder historisch-anthropologische Untersuchung des republikanischen Roms dankbar sein wird. Die vielleicht entscheidende Frage aber lautet: akzeptiert man Richlins Haupthese? Die Antwort des Rezensenten ist ein beherztes „Jein“.
Richlins Hauptbeobachtung kann kaum bestritten werden: Im Vergleich zu seinen Vorlagen zeigt Plautus viel häufiger und viel weniger geschönt das Elend von Sklaverei und Armut; vieles spricht dafür, dass der Dichter dabei aus der zeitgenössischen Realität schöpft. Problematisch ist, dass die durchaus politisch gemeinte Stoßrichtung des Buchs sich auf die Darlegung des historischen Befunds auswirkt. So übersetzt Richlin die Anrede erus, sonst meist mit „master“ („Herr“) wiedergegeben, durch „owner“, weil dieses Wort keine Konnotationen natürlicher Überlegenheit berge (dominus wird dementsprechend zu „legal owner“ modifiziert) (S. 22–24). Die Frage ist allerdings, ob es methodisch angemessen ist, aus Gründen der Neutralität Konnotationen auszublenden, die Teil des Quellenbefunds sind. Der vermeintlich kleine Eingriff verwandelt eine verbale Unterwerfungsgeste (und sei sie auch unaufrichtig oder ironisch) in die trotzige Anrede eines widerständigen Sklaven – neutrale Sprache ist nicht neutral, wenn es um die Performanz von Herrschaftsverhältnissen geht.
Kritikwürdig sind auch die Spekulationen zum sozialen Ort des Theaters. Zweifellos bildeten Schauspieler keinen geachteten Stand und zweifellos saßen im Publikum auch Sklaven, Frauen und Arme (siehe den Prolog des Poenulus). Aber wenn schließlich gar von einem „theater run by slaves“ die Rede ist (S. 310) und zum zigsten Mal vermutet wird, dass sich vor und auf der Bühne lauter Opfer und Täter männlicher Vergewaltigung befanden (S. 402f.), dann wünscht man sich dafür einen belastbaren Beleg.
Schwerer als das, was Richlin hinzufügt, wiegt, was sie fortlässt. Besonders augenfällig ist das Fehlen des zweiten Dichters der Palliata, Terenz. Sein Ausschluss wäre aus praktischen Gründen verständlich, angesichts von Richlins weitreichenden Thesen zum Charakter der Palliata hätte er allerdings ausführlicher begründet werden müssen, als Richlin es tut (knapp auf S. 2 mit Anm. 2): Denn gerissene Sklaven, sexuelles Begehren, Gewalt und Beschimpfung haben auch bei Terenz ihren Platz.5
Das historische Bühnenbild ist ebenfalls unvollständig. Laut Richlin entstand die Palliata im Elend: „Roman comedy evolved early in the war-torn 200s BCE. Troupes of lower-class and slave actors traveled through a militarized landscape full of displaced persons and the newly enslaved; together, the actors made comedy to adress mixed-class, hybrid, multilingual audiences“ (Klappentext; vgl. S. 34–40). Zweifellos kannten Plautus’ Zuschauer Krieg und Ausbeutung aus eigenem Augenschein oder eigener Erfahrung. Aber es fällt schwer, Plautus’ Stücke als kollektive Bewältigung eines geteilten Traumas zu lesen, zumal angesichts der Freude über „Philippstaler“ – Kriegsbeute – und siegreiche römische Truppen. Zudem verschleiert der ständig wiederholte vage Verweis auf die „200s“ die chronologischen Zusammenhänge. Denn akzeptiert man die üblichen geschätzten Datierungen, dann fallen 17 der 20 vollständig überlieferten plautinischen Stücke (darunter alle fest datierten) in die 190er- und 180er-Jahre – also in eine Zeit, in der Rom seine Kriege auf fremden Boden ausfocht, sie relativ schnell gewann und jedes Mal mehr Beute nach Italien zurückbrachte.
Schließlich vernachlässigt Richlin, wenn sie Sklaven, Freigelassene und Arme zu einer „Unterschicht“ zusammenfasst, dass die Unterschiede in Stand und Lebensführung für den historischen Akteur auch dann subjektiv wichtig sind, wenn die materiellen Lebensbedingungen objektiv gleich sind. Damit übernimmt Richlin überraschenderweise eine „top-down“-Perspektive auf historische Unterschichten, die noch dazu einen blinden Fleck für die hässlichere Seite römischer Populärkultur hat. Der Wucherer oder Zuhälter, der Sündenbock vieler Stücke, ist mitnichten ein „rich man“, der das arme Volk aussaugt (so etwa S. 194), sondern eine prekäre Existenz, die zur Strafe dafür, dass sie den Söhnen aus gutem Hause nicht brav zu Diensten ist, unter dem Beifall des Publikums sozial vernichtet wird.6 „Volkskultur“ kann eben nicht nur Klassenkampf durch Widerstand heißen, sondern auch Einheitsstiftung durch Ausgrenzung.
Die methodischen Einseitigkeiten reizen zum Widerspruch und zur Relativierung. Abgemildert werden sie davon, dass Richlins pauschale programmatischen Äußerungen immer wieder von ihren differenzierten Einzelanalysen aufgewogen werden. In jedem Fall hat Richlin ein bemerkenswertes Buch geschrieben, dem eine lebhafte Diskussion zu wünschen ist.
Anmerkungen:
1 Einen Überblick über Richlins Argumente in nuce gibt sie in: Amy Richlin, Talking to Slaves in the Plautine Audience, in: Classical Antiquity 33 (2014), 1, S. 174–226.
2 Kathleen McCarthy, Slaves, Masters, and the Art of Authority in Plautine Comedy, Princeton 2000; Michael Fontaine, Funny Words in Plautine Comedy, New York 2010.
3 Paul S. Dunkin, Post-Aristophanic Comedy. Studies in the Social Outlook of Middle and New Comedy at Both Athens and Rome, Urbana 1946, bes. S. 57–104 zu Plautus.
4 Vgl. als Beispiele: Margaret Atkins / Robin G. Osborne (Hrsg.), Poverty in the Roman World, Cambridge 2006; Lucy Grig (Hrsg.), Popular Culture in the Ancient World, Cambridge 2017.
5 Vgl. etwa die wüste Entführung einer Prostitutierten in den Adelphoe, vv. 155–208.
6 Der Plot des Poenulus beruht etwa darauf, den Zuhälter in eine juristische Falle zu locken, finanziell zu ruinieren und so in die Schuldsklaverei zu zwingen.