Mit dem Band verfolgt der Herausgeber ein doppeltes Ziel. Er will einmal Bausteine für eine noch nicht geschriebene Kölner Stadtgeschichte der Nachkriegszeit bereitstellen, empfindet aber als das eigentlich Spannende an seinem Unternehmen, wie die auf die „Mikroebene“ der Stadt Köln fokussierten Beiträge die allgemeinen Aussagen zum bundesrepublikanischen janusköpfigen Zeitgeist der fünfziger Jahre von „Rückwendung und Vorwärtsstreben“ an konkreten Fällen veranschaulichen. Dülffer ist es in glücklicher Weise gelungen, „gestandene“ und junge Autorinnen und Autoren zusammenzubringen, solche, die aus ihrer jahrelangen Beschäftigung mit der Kölner Stadtgeschichte schöpfen können, und solche, die hier die Gelegenheit erhalten, Forschungsergebnisse jüngerer Examensarbeiten oder laufender Doktorarbeiten vorzustellen.
Die in sechs Themenblöcken zusammengefassten fünfundzwanzig Beiträge, vielfach auf erstmals ausgewertete Archivalien gestützt, sind durchweg gut, einige ausgezeichnet. Ihr Ehrgeiz geht allerdings über die reine Darstellung kaum hinaus. Das Allgemeine tritt hinter der Beschreibung des Eigentümlichen zurück und der von Jost Dülffer als Leitthema angesprochenen Konkurrenz der Trends von Tradition und Modernisierung wird kaum explizit nachgegangen. Implizit aber durchzieht das Leitthema den Band als der rote Faden.
Das allgemeine im besonderen findet sich exemplarisch in den vier Aufsätzen zur Migration sowie in denen zum Umgang mit der NS-Vergangenheit und zur Stadtplanung bzw. dem Wiederaufbau. Diese Aufsätzen veranschaulichen und konkretisieren, mit den zu erwartenden lokalen Ausprägungen, in der Tat die bekannten Befunde zum Zeitgeist und zum Umgang von Politik und Gesellschaft mit spezifischen Problemen der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte.
Erstaunlich konfliktfrei fanden bis zur Mitte der sechziger Jahre 80.000 Vertriebene sowie 55.000 DDR-Flüchtlinge in der Stadt ein neues zu Hause (Randolf Hillebrand) und zwei Drittel der 21.000 Gastarbeiter wohnten schon 1964 in Privatwohnungen und nicht mehr in Wohnheimen. Das deutet Natalie Muntermann in ihrem Aufsatz zu den Ausländischen Arbeitern (1955-1966) in Anlehnung an die allgemeine Literatur dahingehend, dass schon zu dieser Zeit der Niederlassungsprozess begonnen habe. Aus den Beiträgen zur Migration, aber auch aus anderen ergibt sich, dass die Stadt Köln auf verschiedenen Gebieten keine zielgerichtete, zukunftsorientierte Politik betrieb, sondern im wesentlichen von der allgemeinen Entwicklung oder spezifischen Konstellationen (Medienstandort) profitierte. Sie tat das, was die Situation oder die Anforderungen von Bund und Land erforderten. „Ein entscheidendes Merkmal der Kölner Migrantenpolitik lag in ihrem ‚Nichtvorhandensein’“, schreibt Randolf Hillebrandt (98). Den gleichen Befund ermittelt Ulrich S. Soenius bei seiner Untersuchung zur Ansiedlung von Flüchtlingsbetrieben. Von einer gezielten Ansiedlungspolitik könne keine Rede sein. Vieles sei dem Zufall überlassen worden. (137)
Anders sah es bei der Stadtplanung und dem Wiederaufbau aus. Hier gab es ein klares, von dem Stadtplaner Rudolf Schwarz verantwortetes, Konzept, das aber überhaupt nicht neu war, sondern, wie Hiltrud Kier nachweist, Visionen und Ideen weiter entwickelte, wie sie seit den zwanziger Jahren entstanden waren. Es verband Bewahren und Wiederherstellen (Altstadt und Romanische Kirchen) mit der zielgerichteten Zerstörung von nur leicht zerstörtem historistischen (preußischen !) Bauerbe des 19. Jahrhunderts zugunsten einer autogerechten Verkehrsführung und griff auch das Konzept der zwanziger Jahre von einer gänzlich neuen Trabantenstadt im Norden ( Aufsatz von Kirsten Hölter) auf, wie es in anderen Städten ebenso geplant und umgesetzt wurde.
Auch in Köln gab es im Umgang mit der NS-Vergangenheit die Flucht aus der Mitverantwortung oder Mittäterschaft. Die offiziösen Mahnmale ehrten nicht die politisch oder rassistisch Verfolgten und Ermordeten, sondern ganz allgemein „die Toten“ und wurden so zu einem probaten Mittel, die Bevölkerung insgesamt zum Opfer zu machen und von der Vergangenheit zu entlasten (Susanne Derix). Die wieder aufblühende jüdische Gemeinde erfreute sich zwar des Wohlwollens und der Förderung der Stadtoberen, aber in der Verwaltung und der Bevölkerung hielten sich antisemitische Einstellungen. Die Schändung der neugebauten Synagoge im Dezember 1959, nur drei Monate nach ihrer Eröffnung führte vor Augen, dass es immer noch radikale antisemitische Zirkel gab (Jürgen Zieher).
Die NS-Vergangenheit war trotz der Verdrängungsversuche noch nah, und der Aufsatz von Thomas Kirschner zu dem Jubiläumsfestspiel von 1950 zeigt, wie NS-Traditionen unreflektiert weiter wirken konnten. Für das Festspiel verpflichtete man mit Hanns Niedecken-Gebhard einen anerkannten Fachmann, aber auch ausgerechnet jemanden, der für das NS-Regime mehrere große Festspiele in Stadien inszeniert hatte, u.a. zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936. Er übernahm in den Kölner Entwurf „bewährte Szenen“ aus seinen NS-Inszenierungen. Gerade noch rechtzeitig setzte man das Festspiel ab. „Nur um Haaresbreite war man damit in Köln an der hochpeinlichen Blamage vorbeigeschrammt [...] ein stilreines NS-Festspiel auf die Bühne zu bringen“ (259).
Mehrere Aufsätze greifen dieselbe Thematik auf, ohne dass dies aus dem Titel ersichtlich wird. Drei AutorInnen setzen sich unter verschiedenen Blickwinkeln mit der Universität auseinander. Es gibt den Aufsatz von Leo Haupts zum Verhältnis der Universität zur Kölner Stadtpolitik und zur Übertragung der städtischen Universität auf das Land NRW. Regine Kreitz beschreibt in ihrem Beitrag zur Rolle der englischen Besatzungsmacht im kulturellen Leben der Stadt u.a. die Frustrationen des university control officers Harry Beckhoff bei seinen Bemühungen, die Kölner Ordinarien für eine innere Demokratisierung der Universität oder für eine intensivere Betreuung und Ausbildung der Studenten zu gewinnen. Er machte die Erfahrung: „Immediately [...] the U.E.C.O. puts forward any suggestions ... they close their ranks, assume a stony expression and produce set phrases such as “That may be possible in England. It is impossible in Germany.”(166 f.) Das Thema der Entkrustung der Universität erscheint wiederum in einer anderen Perspektive in Barbara Allardts Kurzbiographie des Oberbürgermeisters Robert Görlinger. Andererseits steht zur außerordentlich wichtigen Rolle des Fotoliebhabers Görlingers bei der Gewinnung der Fotofachmesse photokina für Köln nichts bei Allardt. Sie wird aber in Silke Oßwalds Aufsatz zur photokina gewürdigt.
In vielen Beiträgen liest man von der Spannung zwischen dem rückwärts Gewandten, dem Haltsuchen in der Vergangenheit jenseits des Nationalsozialismus und der Bereitwilligkeit, mit der Zeit zu gehen oder ihr sogar – im Einzelfall – voranzugehen. Das Nebeneinander, aber auch das Ineinandergehen von Tradition und Modernisierung im Köln der fünfziger Jahre, das sowohl als auch, findet sich anlässlich des Stadtjubiläums 1950 programmatisch in dem Grußwort Konrad Adenauers, der nach seiner Absetzung als Kölner OB durch die Nationalsozialisten die Funktion 1945 noch einmal für wenige Monate ausgeübt hatte: „Köln, meiner Vaterstadt, rufe ich daher heute zu: Denke immer an Deine Tradition, denke vor allem auch daran bei Deinem Wiederaufbau. [ ... ] Mache Dir alle neuzeitlichen wirklichen Fortschritte zu eigen, aber wahre Deine Eigenart.“ Sprache, Brauchtum, kirchliche und weltliche Feste, die prachtvollen mittelalterlichen Bauten, der Altstadtkern zusammen, ergaben nicht nur für Adenauer „die Eigenart, den Charakter Kölns“, das Kölsche.( 245 )
Die Fixierung auf das „Kölsche“, das auf sich selbst Zurückziehen und dazu eine – aus heutiger Sicht recht dumpfe – christliche Abendland-Ideologie waren bis zur Mitte der fünfziger Jahre das Material, aus dem die lokale Kölner Identität konstruiert wurde. Soviel christliches Abendland als neukonstruierte kölnische und deutsche Vergangenheit, wie bei dem Domjubiläum 1948, war nie. (Jürgen Brügger, Das Kölner Domjubiläum 1948) Fremde Regime ( Preußen, Nazis) kommen und gehen, das Kölsche aber bleibt bestehen, so lautete die Botschaft des überaus erfolgreichen historischen Festspiels zum Stadtjubiläum 1950, das Jeffrey M. Diefendorf untersucht hat. Einem solchen Lokalpatriotismus fiel es leicht, die NS-Vergangenheit als etwas den Kölnern Fremdes zu relativieren.
Nicht der moderne Wirtschaftsstandort, sondern das mittelalterliche Köln, die Altstadt als die Quintessenz des Kölnertums und die Kunststadt standen im Mittelpunkt der Kölner Selbstdarstellung nach außen (Aufsatz von Ute Riechert-Stark). Allerdings verband der praktisch allein für das Köln-Marketing verantwortliche Pressechef Hans Schmitt-Rost die Mittelalter- Fixierung mit einer spezifischen Auffassung von Modernität. Somit konnte er sich zugleich problemlos mit der nüchternen Funktionalität der fünfziger Jahre identifizieren und die, wie er meinte, mühelose Integration von Altem und Neuem im Stadtbild als ein Markenzeichen Kölns „verkaufen“.
Ganz der funktionalen nüchternen Moderne verpflichtet war der Direktor der städtischen Museen, Leopold Reidemeister, der spätere Generaldirektor der Staatlichen Museen, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Ingrid Severin zeigt, wie es ihm gegen den erbitterten Widerstand der alten Garde gelang, sein Konzept einer einschneidenden Kehrtwende zu einer bescheidenen, dienenden Museumsarchitektur durchzusetzen. Bleibendes Denkmal der Museumsmoderne, ein Prototyp der bundesrepublikanischen Museumsneubauten, wurde das 1957 eröffnete neue Wallraff-Richartz Museum. Adenauer bezeichnete den Bau als Scheune und riet zum Abriss, und wie die erbitterte öffentliche Auseinandersetzung zeigt, sprach er damit wohl vielen Kölnern aus der Seele.
Während Museumsdirektor Reidemeister bei der Organisation und dem Bau von Museen auf eine Abkehr von der Vergangenheit und die Chance eines zukunftsfähigen Neuanfangs setzte, so gab es für den Rektor der Kölner Universität, Josef Kroll, nur den entgegengesetzten Weg: die Restauration des Zustands „wie er war, bevor der Nationalsozialismus über Deutschland hereinbrach“ ( Zitiert von Regine Kreitz, S. 166). Dementsprechend dachte er der Universität die Aufgabe zu, sich – zwar finanziert von der öffentlichen Hand, aber gänzlich frei von staatlichen und politischen Einflüssen – in den Dienst eines zweckfreien christlich-abendländischen Bildungs- und Wissenschaftsideals zu stellen. Es bedurfte erheblicher jahrelanger Anstrengungen von Kuratoriumsmitgliedern ( Oberbürgermeister Robert Görlinger), einer Gruppe reformwilliger Professoren und, wie oben erwähnt, des britischen University Control Officer Harry Beckhoff, um die Universität mit der Vorstellung vertraut zu machen, sie müsse sich den Anforderungen der Gegenwart stellen.
Von den biografischen Aufsätzen zu den drei Kölner Oberbürgermeistern ist der von Werner Jung zu Theo Burauen von besonderem Interesse. „[E]ndlich wieder ein Urkölner in das Rathaus ...“ ( 53), „ne ächte kölsche Jung“ (54) so lauteten die Kommentare zu Oberbürgermeister Theo Burauen, dem populärsten aller Kölner Oberbürgermeister bis heute. Er war so beliebt, hier wird man Werner Jung folgen können, weil er wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser im kleinbürgerlichen kölschen Milieu, im Karneval und in unzähligen Vereinen, ganz und gar zu hause war und blieb, sich sozialpolitisch wie kein anderer engagierte und gleichzeitig als „einer von uns“ überaus würdig die Stadt gegenüber den häufigen aus dem nahen Bonn anreisenden Staatsbesuchern oder im Ausland repräsentierte.
Fazit: Jost Dülffer hat ein Lesebuch vorgelegt, das von vielen Aussichtspunkten einen Blick auf das Köln der fünfziger Jahre ermöglicht, das aber auch mit Gewinn von denen zu lesen ist, die konkret erfahren wollen, was sich hinter den gesamtgesellschaftlichen „nebulösen Formelbegriffen“ (Dülffer) von Tradition und Modernisierung verbirgt.