Cover
Titel
Globalization Under and After Socialism. The Evolution of Transnational Capital in Central and Eastern Europe


Autor(en)
Pula, Besnik
Reihe
Emerging Frontiers in the Global Economy
Erschienen
Anzahl Seiten
258 S.
Preis
$ 65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Max Trecker, Institut für Zeitgeschichte, Berlin

In politischen Debatten, aber auch in eher orthodoxen wissenschaftlichen Beiträgen hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass die Gesellschaften östlich des Eisernen Vorhangs bis 1989 de facto abgeschottet vom Rest der Welt gelebt hätten. In wirtschaftlicher Hinsicht habe dies zu autarkieorientierten, selbstreferentiellen Strukturen geführt. Das Jahr 1989 erscheint nach dieser Lesart als politische, kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische „Wende“, die das Tor zur Transformation und zur Übernahme des westlichen Idealtypus der repräsentativen Demokratie und freien Marktwirtschaft öffnete. Dieses Narrativ ist in den letzten Jahren einerseits durch aktuelle politische Entwicklungen wie in Polen und Ungarn in die Defensive geraten, andererseits aber auch durch neuere Forschungstrends in Frage gestellt worden, die die „Transformation vor der Transformation“ betonen und den Zäsurcharakter von 1989 relativieren beziehungsweise in einen größeren Kontext rücken.

In diesen Trend ordnet sich auch das vorliegende Buch des Politikwissenschaftlers Besnik Pula ein. Pula, der an der Virginia Tech in den USA arbeitet, versucht die heutige Wirtschaftsstruktur Ostmitteleuropas in einen kausalen Zusammenhang mit bewusst getroffenen Entscheidungen in den 1970er-Jahren zu stellen. Er spricht von einer „Protoglobalisierung“, die in den Ländern des sogenannten Ostblocks lange vor 1989 stattgefunden habe. Dabei bezieht er sich spannenderweise nicht auf das Volumen des Ost-West-Handels in den 1970er-Jahren, was nahegelegen hätte, sondern auf das Niveau der intraindustriellen Kooperation. Er argumentiert, dass der bloße Import westlicher Maschinen und Konsumgüter keinen nachhaltigen Einfluss auf die Wirtschaftsstruktur im Ostblock gehabt haben könne. Durch direkte Kooperation mit westlichen Firmen seien hingegen Management-Fähigkeiten übernommen und Netzwerke aufgebaut worden, die sich nach 1989 als höchst wertvoll auf dem Weg in die Marktwirtschaft erwiesen hätten. Die Chancen für einen erfolgreichen Start in die Marktwirtschaft seien somit bereits 1989 ungleich verteilt gewesen.

Für die 1970er-Jahre konstatiert Besnik Pula drei verschiedene Modelle der Öffnung gegenüber der kapitalistischen Welt: „import-led growth“, „Stalinist globalization“ und „Comecon integrationism“. Der ersten Gruppe ordnet er Polen und Ungarn zu, wo die Zunahme des Ost-West-Handels mit einer institutionellen Dezentralisierung des Außenhandels einhergegangen sei. Die zweite Gruppe – repräsentiert durch Rumänien – habe die ökonomischen Beziehungen zum Westen stark ausgebaut, ohne aber institutionelle Reformen vorzunehmen, während die dritte Gruppe ihr Heil in einer Intensivierung der Beziehungen innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gesucht habe. Als Beispiel nennt er hier die Tschechoslowakei.

Auch wenn alle drei Integrationsmodelle in den 1980er-Jahren in eine tiefe Krise geraten seien, so lässt sich – laut Pula – am polnischen Beispiel eine wichtige Ursache für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg nach 1989 zeigen: Dank der massiven Kreditaufnahme in den 1970er-Jahren gelang es der polnischen Wirtschaft zum ersten Mal seit Bestehen des polnischen Staates, einen Markt für heimische Industrieprodukte im Westen zu etablieren. Auch wenn die Exporterlöse nicht ausgereicht hätten, um die ausländischen Kredite zu bedienen, habe die polnische Industrie hierbei dennoch wichtige Erfahrungen für die Zeit nach dem Ende des Sozialismus sammeln können. In Ungarn sei diese Entwicklung gleichmäßiger und weniger krisenhaft als in Polen verlaufen.

Besnik Pula will sich bewusst nicht als Apologet des Staatssozialismus verstanden wissen und betont, dass die Westkredite in allen Ländern des Ostblocks höchst ineffizient verwandt worden seien. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und des RGW habe das institutionelle Erbe der 1970er-Jahre jedoch eine positive Wirkung entfalten können. Denn der Wegfall des intra-RGW-Handels habe sich nur durch eine Ausweitung des Handels mit dem Westen und eine vertiefte Integration in internationale Wertschöpfungsketten kompensieren lassen. Dieser Prozess habe aber nicht erst 1989, sondern bereits in den 1970er-Jahren begonnen. Diejenigen Länder, die schon damals intensive intraindustrielle Beziehungen mit westlichen Konzernen entwickeln konnten, seien institutionell in der Lage gewesen, große Mengen an ausländischen Direktinvestitionen anzuziehen. Aus diesem Grund seien beispielsweise in den 1990er-Jahren mehr ausländische Direktinvestitionen nach Ungarn geflossen als in die Russische Föderation. Die Argumentation Besnik Pulas relativiert folglich die strukturprägende Bedeutung des in den frühen 1990er-Jahren eingeschlagenen Privatisierungspfades.

Allerdings habe das Erbe der Protoglobalisierung der 1970er-Jahre im Verlauf der ersten postsozialistischen Dekade zunehmend an Bedeutung verloren. Die heutigen postsozialistischen Ökonomien Ostmitteleuropas unterteilt Pula in drei Gruppen: „intermediate producer“ (Tschechien, Slowenien), „assembly platform“ (Ungarn, Slowakei) und eine Mischung aus beiden (Bulgarien, Rumänien, Polen), die er „combined“ nennt. Die „intermediären Produzenten“ zeichneten sich dadurch aus, dass sie eigene Forschungskapazitäten im Land erhalten hätten und eine nennenswerte Anzahl unabhängiger einheimischer Firmen in der Lage seien, sich erfolgreich am Weltmarkt zu behaupten. Für die „verlängerten Werkbänke“ sei es hingegen charakteristisch, dass weltmarktfähige Exportprodukte primär in Tochterfirmen ausländischer Großkonzerne entstünden und der Modernisierungseffekt („spillover“) für die Binnenwirtschaft nur sehr begrenzt sei. Auch wenn Ungarn 1989 über gute Ausgangsbedingungen verfügt und rasch ausländisches Know-how und Investitionen angezogen habe, führten politische Entscheidungen Ende der 1990er- und in den 2000er-Jahren dazu, dass die ungarische Volkswirtschaft zwar weiterhin sehr offen, aber nur noch wenig innovationsfähig sei.

Die Argumentation Besnik Pulas weist einige blinde Flecken auf. Einen dieser blinden Flecken stellt der tschechische Fall dar. Die CSSR gehörte in den 1970er-Jahren zu den Ländern, die sich am wenigsten dem Ost-West-Handel und der Integration in internationale Produktionsketten öffneten. Vor allem Tschechien zog in den 1990er-Jahren jedoch ähnlich hohe ausländische Direktinvestitionen an wie Ungarn. Pula erklärt diese „Anomalie“, indem er dem VW-Skoda-Deal aus dem Jahr 1991 eine wichtige „Türöffner-Funktion“ für die gesamte tschechische Wirtschaft zuschreibt. Einerseits seien viele westliche Konzerne VW rasch gefolgt, um ihrerseits ein Standbein in Tschechien aufzubauen. Andererseits hätten die Investitionen von VW einen dynamischen Anpassungsprozess an westliches Management-Know-how in Zulieferbetrieben von Skoda und artverwandten Industrien angestoßen.

Das ist eine spannende These, die allerdings doch wieder auf die Bedeutung des konkreten Verlaufs der Privatisierung in den ersten Jahren nach 1989 zurückverweist und detaillierte Fallstudien nahelegt, die über die Ebene aggregierter Gesamtzahlen hinausgehen. Sie leitet zudem zu einem weiteren blinden Fleck des Buches über, der vor allem handwerklicher Natur ist: Zumindest aus der Perspektive eines/r Historiker/in sind viele Thesen, insbesondere für die Zeit vor 1990, nicht oder nur unzureichend belegt. Zwar führt Pula im Anhang seines Buches zahlreiche Interviewpartner auf. Es bleibt jedoch unklar, in welcher Form diese Interviews Eingang in das Manuskript gefunden haben. Ungeachtet dieses handwerklichen Mangels bietet Pulas Buch aber viele spannende Thesen und Anregungen, deren Fäden von der zeithistorischen Forschung dankbar angenommen und weitergesponnen werden können.

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