P. Ashton u.a. (Hrsg.): What Is Public History Globally?

Cover
Titel
What Is Public History Globally?. Working with the Past in the Present


Herausgeber
Ashton, Paul; Trapeznik, Alex
Erschienen
London 2019: Bloomsbury
Anzahl Seiten
XXII, 365 S.; 19 s/w Abb.
Preis
£ 65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Etges, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

Mit der weltweiten Ausbreitung von „Public History“ wächst auch der Markt für international orientierte Publikationen, in Form von Handbüchern, Zeitschriften oder auch Sammelbänden, in der Regel in englischer Sprache. Dazu zählt der von dem Australier Paul Ashton und seinem neuseeländischen Kollegen Alex Trapeznik herausgegebene Band, der im Titel die Frage stellt: „What Is Public History Globally?“

Nach einer recht knappen Einleitung folgen 24 Beiträge, die sich in drei große Abschnitte gliedern: „Background, Definitions and Issues“, Approaches and Methods“ sowie „Sites of Public History“. Die elf in der Regel von nationalen Autoren verfassten Beiträge des ersten Teils betrachten auf jeweils 10 bis 15 Seiten ein bestimmtes Land bzw. im Fall von Skandinavien eine Region. Welche Themen und Aspekte jeweils als „Public History in…“ einem bestimmten Land behandelt werden, ist sehr unterschiedlich ausgefallen. Die aus meiner Sicht besonders lesenswerten Beiträge wie diejenigen zu Indien, Neuseeland oder Südafrika zeichnen ein breites Bild und gehen auf verschiedene Aspekte wie Ausbildung und Institutionen, Geschichtskontroversen, Museen oder heritage ein. Das gilt auch ein Stück weit für den Beitrag zu Kanada, doch bei Michael Dove und Michelle A. Hamilton schimmert mehrfach ein Unwohlsein angesichts der US-Dominanz von Public History in Nordamerika durch.1 Andere Autoren und Autorinnen haben einen viel engeren Zuschnitt gewählt. Im britischen Beitrag geht es ausführlich um Geschichtstheorie und Hayden White. Die skandinavische Autorin berichtet detailliert von einem eigenen Projekt. Thorsten Logge und Nico Nolden, die den Beitrag zu Deutschland geschrieben haben, fokussieren sich sehr auf die universitäre Public History, führen unter anderem die existierenden Studiengänge auf und nennen quasi jeden Stelleninhaber. Geschichtspolitische Kontroversen, die große Bedeutung staatlicher Förderung in Deutschland, von Medien etc. werden bestenfalls gestreift. Weitere Länderbeispiele sind Australien, die USA, China und Indonesien.

Die Herausgeber haben sich zurecht ausdrücklich gegen den vom Verlag vorgeschlagenen Titel „What is Global Public History“ entschieden, weil es weltweit sehr viele Formen und Varianten von Public History gibt. Aber man hätte sich als Leser gerade in Teil 1 mehr Vorgaben für die Autoren und Autorinnen gewünscht, damit die Vielfalt nicht in eine gewisse Beliebigkeit mündet, was eine vergleichende Betrachtung sehr schwierig macht.

Zugleich ist die „Vielfalt“ bereits in diesem ersten Teil begrenzter, als man angesichts des dann gewählten Buchtitels erwarten konnte: Die große Mehrheit der Autoren und Autorinnen sowie die Beispiele im ganzen Buch kommen aus der angloamerikanischen Welt, mit einem gewissen Schwerpunkt auf Australien/Ozeanien. Afrika – mit Ausnahme Südafrikas –, das östliche Europa und Russland sowie Lateinamerika fehlen auch in den Beiträgen im zweiten und dritten Teil des Sammelbandes fast völlig. Zu den wenigen Beiträgen, die um eine internationale Perspektive bemüht sind, gehören diejenigen zu „Digital Public History“ (von Serge Noiret) und „Sites of Conscience“ (Paul Ashton und Jacqueline Z. Wilson).

Bei den neun unter „Approaches und Methods“ versammelten Beiträgen stechen vor allem die über Oral History und Public History (Paula Hamilton) und über „The Family in Public History“ (Anna Green) heraus. Hamilton geht unter anderem auf die neuen Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung ein und betont die Bedeutung von „listening“. Green teilt manche Kritikpunkte an einer oftmals unpolitischen und zu wenig kontextorientierten Genealogie, betont aber auch das mögliche Potenzial von „family history“ in Fernsehen und Ausstellungen, im Rahmen nationaler Gedenkfeiern und auch bei „postcolonial reconciliation“.

Dass es weltweit unterschiedlichste Definitionen und Formen von Public History gibt, macht der Band sehr gut deutlich, aber auch, dass das Feld trotz manch vergleichender und international orientierter Ansätze immer noch sehr national orientiert ist. Hier hätten sich die Herausgeber eines solchen international angelegten Sammelbandes durch klarere Leitfragen an die Autoren und Autorinnen zumindest um mehr Vergleichsmöglichkeiten bemühen können. So hätte beispielsweise die gar nicht so einfach zu beantwortende Frage gestellt werden können, was denn „public“ in einem meist nationalen Kontext bedeutet und wie viel Meinungsfreiheit notwendig ist für Public History. Und was heißt Letzteres etwa für Public History in einem Land wie China?

Noch an einer weiteren Stelle haben die Herausgeber eine Chance ausgelassen. Das farbige Titelbild zeigt den Innenraum der Neuen Wache in Berlin mit der Pietà von Käthe Kollwitz. Eine einzelne Person – mit Pudelmütze und zwei Taschen – schaut andächtig auf die Skulptur, vor der ein dunkler und ein weißer Blumenstrauß liegen. Es ist nicht klar, wer sich für dieses Bild entschieden hat. In keinem einzigen Beitrag wird darauf eingegangen, auch nicht in der Einleitung. Nun könnte man kritisch anmerken, warum ausgerechnet dieses Bild zum Buchtitel „What is Public History Globally?“ passen soll. Andererseits hätte sich dieser Ort der Erinnerung in unterschiedlichen politischen Systemen doch geradezu für einen solchen Band angeboten und viel Material für eine spannende Darstellung von Geschichte und Erinnerung, nationaler und internationaler Public History, staatlichem Gedenken, „Bürgerinitiativen“, Geschichtskontroversen und vielem anderem geliefert. Dazu zählen allein in den letzten Jahrzehnten die Kontroverse um den Versuch von Kanzler Helmut Kohl, an dieser Stelle die zentrale deutsche Erinnerungsstätte an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust zu schaffen; die umstrittene Entscheidung für die Skulptur von Kollwitz, die an ihren im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohn erinnert; die aus der Debatte entstandene Dynamik, die zum Bau des Holocaust-Mahnmals führte; die Debatte darüber führte zu einer Erweiterung um ein Museum sowie weiteren Denkmälern.

Auch in den zahlreichen Tipp- und anderen Fehlern – so ist in einem Beitrag von einem Nobelpreis für Journalismus (statt für Literatur) die Rede – zeigt sich ein fehlender „Eingriff“ durch die beiden Herausgeber. Einige der Einzelbeiträge sind sehr lesenswert, aber die im Titel gestellte Frage wird bestenfalls mit „sehr vielfältig“ beantwortet. Insgesamt bleibt man als Leser/in deshalb etwas enttäuscht zurück.

Anmerkung:
1 Dove und Hamilton verfälschen dabei auch die Gründungsgeschichte der International Federation for Public History (IFPH). Die Initiative sei von Kanadiern ausgegangen. „However, what started as a potentially representative group for Canadians is now dominated by Europeans.” Und wieder fanden sich die Kanadier zwischen den Stühlen (S. 44). Tatsächlich ist IFPH aus einer Internationalisierungsstrategie des nordamerikanischen National Council on Public History hervorgegangen, zu der auch kanadische Public Historians gehörten. Dem Steering Committee hat seit Gründung 2012 bis auf einen kurzen Zeitraum immer ein Repräsentant aus Kanada angehört. Der Verfasser dieser Rezension ist in diesen Fragen nicht ganz neutral. Er war IFPH-Mitgründer und Mitglied des Steering Committee von 2012 bis 2018. Zur Gründungsgeschichte von IFPH siehe auch Arnita A. Jones, Organizing Public History, in: International Public History 1.1 (2018), https://doi.org/10.1515/iph-2018-0005 (07.11.2019).

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