L. Spanka: Vergegenwärtigungen von Geschlecht und Nation im Museum

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Titel
Vergegenwärtigungen von Geschlecht und Nation im Museum. Das Deutsche Historische Museum und das Dänische Nationalmuseum im Vergleich


Autor(en)
Spanka, Lisa
Reihe
Edition Museum 36
Anzahl Seiten
364 S.
Preis
€ 44,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sophie Kühnlenz, a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities, Universität zu Köln

Historischen Nationalmuseen, mit ihrer großen Reichweite und prominenten Sprecher/innenposition im gesellschaftlichen Diskurs, kommt bei der Beantwortung der Frage, „wer und was zur nationalen Geschichte und Kultur gehört“1, eine zentrale Rolle zu. Mit der Konstruktion von Nation einher gehen Vorstellungen von Geschlecht, die weiblich und männlich als natürliche, klar abgrenzbare und einzige Geschlechtsidentitäten postulieren. Zwei Beobachtungen, die hieraus resultieren, sind der Ausgangspunkt von Lisa Spankas Studie: erstens, dass Vorstellungen von Geschlecht in nationalen Narrativen nie beliebig sind (S. 15), und zweitens, dass die Nation, gerade in Museen, häufig als Bezugsrahmen dient. Daran anknüpfend untersucht Spanka vergleichend, wie Nation und Geschlecht in zwei historischen Nationalmuseen inszeniert und verhandelt werden. Die entstandene Monografie basiert auf ihrer Dissertation, mit der sie 2018 am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen promoviert wurde. Ungeachtet dieser fachlichen Zuordnung leistet sie einen wichtigen Beitrag zur historisch fundierten Gender- und Museumsforschung. Das konsequente Zusammendenken von Ausstellungs- und Institutionenanalyse und die historisch-politische Kontextualisierung musealer Praxen sind aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive gewinnbringend. Die gewählten Fallbeispiele, das Dänische Nationalmuseum (NM) in Kopenhagen und das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin, sind trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen volkskundlich bzw. politikgeschichtlichen Konzeption – so viel sei vorweggenommen – für die Frage nach Konstruktionen von Nation und Geschlecht ergiebige Untersuchungsgegenstände. Und auf den zweiten Blick sind sie auch gar nicht so verschieden.

Spankas Studie baut auf zwei Forschungssträngen auf, die sie in einem einführenden Kapitel zu Theorie und Methodik ausführt. Zum einen greift sie auf Arbeiten zur Interdependenz von Geschlecht und Nation zurück. In den 1980er-Jahren artikulierten feministische und postkoloniale Theoretiker/innen Kritik an männlich-heteronormativer Nationsgeschichte und trugen maßgeblich zur Entwicklung eines vermehrt gender-sensiblen Forschungsfeldes zur vergeschlechtlichten Konstruktion und Reproduktion des Nationalen bei. Diese Studien, so Spanka, würden sich jedoch hauptsächlich auf das 19. Jahrhundert und die Entstehungskontexte von Nationalstaaten konzentrieren. Untersuchungen zu aktuellen Diskursen um Geschlecht und Nation seien hingegen rar gesät. Die steigende Akzeptanz vielfältiger Geschlechtsidentitäten und dekonstruktivistischer Ansätze in der Geschlechterforschung bei gleichzeitigem „Festhalten an biologistischen Geschlechtervorstellungen“ (S. 16) in Verbindung mit einem Aufschwung nationalistischer Bewegungen nimmt Spanka zum Anlass ihrer Analyse. Zum anderen bilden Forschungen aus dem Feld der Neuen Museologie die Grundlage für die Ausstellungsanalyse. Danach wird museale Wissensbildung als kontextbedingt und kontingent, oder – mit Donna Haraway gesprochen – situiert (S. 74)2 definiert. Ziel der Museumsanalyse ist die „Dekonstruktion musealer Wissensproduktionen durch ein Ausleuchten der historischen, politischen und sozialen Kontexte“ (S. 66).3 Aufbauend auf Henrietta Lidchis „poetics and politics of exhibiting“4 verbindet Spanka semiotische und diskursanalytische Ansätze. Mittels einer inhaltlichen Mehrebenenanalyse untersucht sie verschiedene Modi von Bedeutungsbildung und stellt diese, eingebettet in ihren institutionellen Entstehungskontext, als orts- und zeitgebundene Macht/Wissen-Konstellationen zur Diskussion. Repräsentationen von Geschlecht und Nation sind in diesem Analyseschema die Poetiken, die, eingebettet in institutionelle historisch-politische Zusammenhänge, zu Macht/Wissen-Konstellationen, den Politiken des Museums, werden.

Auf je rund hundert Seiten wendet Spanka diese theoretisch-methodischen Vorüberlegungen auf ihre beiden Untersuchungsgegenstände, die Dauerausstellungen Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen (DHM 2006) und Danmarkshistorier 1660-2000 (NM 2001), an. Nach einer knappen Einordnung der Ausstellungen in ihren historisch-politischen Entstehungskontext folgt eine Darstellung ihres Rundgangs durch die Ausstellung als „forschende Besucherin“. Anschließend arbeitet sie jeweils zwei Leitmotive (die Poetiken) heraus, die sie aufbauend auf der anfangs erfolgten Einordnung zu den Politiken des Ausstellens verdichtet. Sie zeigt, dass das DHM Sprache und Grenzen als nationenkonstituierend bestimmt. Einerseits wird die alleinige Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg und die NS-Verbrechen hervorgehoben und zugleich werden die wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Leistungen des Landes betont. Das nationale „Wir“ baut auf einer „Ahnenreihe bewundernswerter Vorfahren“ (S. 188) auf, die sich primär als männlich und machtvoll darstellt. Die Leitmotive Krieg und Wirtschaft werden als essenziell für das nationale Narrativ bestimmt. Die Priorisierung von Politik- und Herrschaftsgeschichte (und die vielfache Ausblendung von Erkenntnissen aus der Frauen- und Geschlechterforschung) trägt zu einer Hierarchisierung von männlich konnotierten Feldern über als weiblich assoziierte Kultur- und Alltagsgeschichte bei, die sich nicht zuletzt in der Ausstellungsarchitektur in Haupt- und Nebenwegen manifestiert. Heteronormative Zweigeschlechtlichkeit wird als einzige gesellschaftliche Ordnung inszeniert.

Bereits der Plural im Titel der Dauerausstellung Danmarkshistorier (übersetzt: dänische Geschichten), so Spanka, verweise auf den konzeptionellen Ansatz, eine Vielfalt von Geschichten „von Menschen unterschiedlicher Zeiten, unterschiedlicher Herkunft und sozialer Zugehörigkeit“ (S. 209) zu zeigen. Grundlage ist die „Lebensformentheorie“ des dänischen Ethnologen Thomas Højrup, die das Verhältnis von Individuum und Staat in den Mittelpunkt rückt. Politik- und Alltagsgeschichte werden hier als Einheit gedacht, ein gesonderter Fokus auf Geschlechterfragen, so die Kuratorin Annette Vasstrøm, sei daher nicht nötig (S. 210). In ihrer Analyse arbeitet Spanka heraus, dass die chronologische Darstellung einer „Ethnografie des Alltags“ (S. 296) ein nationales „Wir“ über eine kontinuierlich gedachte kollektive Gemeinschaft herstellt. Das nationale Narrativ enthält kaum Brüche, was „zu einer positivistischen Erzählung der dänischen Geschichte führt“ (S. 296). Trotz der anfänglichen Umsetzung eines pluralistischen Ansatzes werden im weiteren Verlauf zunehmend homogene Kollektividentitäten im Rahmen einer binären Geschlechterordnung präsentiert. Im Mittelpunkt stehen „weiße, gesunde Erwachsene im erwerbs- und gebärfähigen Alter, die in heterosexuellen (Familien-)Beziehungen leben“ (S. 297). Männlich konnotierter Öffentlichkeit werden Haus und Haushalt als genuin weibliche Handlungsfelder im NM wie im DHM gegenübergestellt. Ohne diese Geschlechterordnung zu historisieren, wird diese nicht nur als Normalfall, sondern als Ideal gezeigt. Arbeit wird als Erwerbsarbeit im öffentlichen (männlichen) Raum bestimmt. Die vermehrte Sichtbarkeit weiblicher Handlungsfelder deutet Spanka als „ambivalente Sichtbarkeit“ (S. 298), da Frauen stets geschlechtlich konnotiert, männliche Akteure und ihre Handlungen jedoch als universell und geschlechtlich unmarkiert als Menschen vorkommen. Traditionelle, bürgerliche Vorstellungen von Geschlecht, Staat und Öffentlichkeit als männliche und Familie und Nation (im allegorischen Sinne) als weibliche Sphären werden so (re-)produziert. Die Ausstellung im NM ist, so Spankas Fazit, konzeptionell von einem „flexiblem Normalismus“ geprägt (S. 299).

Spanka gelingt es zu zeigen, wie sich gesamtgesellschaftliche und politische Entwicklungen auf die (Ausstellungs-)Praxis der beiden Museen auswirken. Während die politische Transformation in den 1990er-Jahren sowie Forderungen nach Repräsentation verschiedener gesellschaftlicher Akteur/innen zu einer internen Perspektivenpluralität im NM führte, setzt die Dauerausstellung im DHM durch die Einbettung in einen europäischen Kontext auf externe Multiperspektivität. Diese Ansätze bewahren beide Ausstellungen nicht vor nationalen Engführungen und überwiegend homogenen, stereotypisierenden Geschlechterkonstruktionen. Eine der Stärken des Buches ist die theoretisch fundierte, systematische Anwendung der entwickelten Mehrebenenanalyse, mittels derer die Autorin pointiert die Verschränkungen zwischen Nation und Geschlecht in der musealen Praxis herausarbeitet. Die Zusammenfassungen am Ende jedes Leitmotiv-Kapitels, die zunächst separate Analyse der beiden Museen und der nachfolgende Vergleich führen jedoch zu Wiederholungen. Die konkrete Analyse der Ausstellungsinhalte verbleibt zuweilen an der Oberfläche, was nicht zuletzt der Vielschichtigkeit musealer Bedeutungsbildungen geschuldet ist. Um das übergeordnete Ziel zu erreichen, Ausstellungs- mit Institutionenanalyse zu verbinden und Museen als Orte gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zu würdigen, ist analytische Tiefenschürfung nicht immer möglich. Antworten darauf zu finden, wie eine Museumsanalyse unter Einbezug von inner-institutionellen Wandlungsprozessen und Rezeption durch Besucher/innen gelingen kann, bleibt ein theoretisch wie praktisch anspruchsvolles Unterfangen, das weiterer Forschung bedarf. Kritischer Museumsforschung, wie dieser, ist zu wünschen, dass in künftigen Studien Museen als bewahrende und gleichzeitig wandlungsfähige und impulsgebende gesellschaftliche Orte verstärkt in den Mittelpunkt gerückt werden, um die Kritik „von außen“ mit Entwicklungen im Innern zu verbinden.

Anmerkungen:
1 „Museen stellen aus und stellen fest“, die „Nation“ dient dabei häufig als Bezugsrahmen. Vgl. Sarah Czerney, Gendering the transnational. Gender und Medien transnationaler Historiografie im Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée Marseille (MuCEM), in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 58 (2015), S. 95–105, hier S. 95.
2 Donna Haraway, Situated knowledges. The science question in feminism and the privilege of partial perspective, in: Sandra G. Harding (Hrsg.), The feminist standpoint theory reader. Intellectual and political controversies, New York 2004, S. 81–101.
3 Spanka verweist hier auf Sharon Macdonald, Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung, in: Joachim Baur (Hrsg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 49–69, hier S. 51f.
4 Henrietta Lidchi, The poetics and the politics of exhibiting other cultures, in: Stuart Hall (Hrsg.), Representation. Cultural representations and signifying practices, London 1997, S. 151–222.

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