Cover
Titel
Views of Violence. Representing the Second World War in German and European Museums and Memorials


Herausgeber
Echternkamp, Jörg; Jaeger, Stephan
Reihe
Spektrum. Publications of the German Studies Association
Erschienen
New York 2019: Berghahn Books
Anzahl Seiten
XI, 271 S., 20 SW-Abb.
Preis
$ 97.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristiane Janeke, Tradicia History Service, Berlin

Im Fokus dieses Sammelbandes stehen Ausstellungen, Museen und Erinnerungslandschaften sowie die Frage, wie sie „politische Kontexte und die Erinnerungskulturen in Deutschland, Europa und der Welt definieren“ (Klappentext). Die Autorinnen und Autoren nehmen museale Präsentationen als ein besonderes Medium zwischen Bildung und sinnlich-räumlicher Erfahrung ernst; sie betrachten sie sowohl als Spiegel wie auch als Impulsgeber und Akteur von Erinnerung und Gedenken.

Die Publikation hat zwei Hauptteile. Der erste umfasst Untersuchungen zu Dauer- und Sonderausstellungen („Museums“), der zweite zu Gedenkstätten und Erinnerungslandschaften („Memorials and Memorial Landscapes“), wozu auch Denkmäler („Monuments“) gehören. Inhaltlich konzentrieren sich die Texte auf Darstellungen des Zweiten Weltkrieges. Das regionale Spektrum umfasst Deutschland und Österreich (hier liegt der Schwerpunkt), Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Tschechische Republik, Polen und Kanada.

Die Einleitung der Herausgeber definiert den Forschungskontext, abgeleitet von drei Beispielen (Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel, Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig, Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung in Budapest). Der betrachtete Kontext findet sich in der Schnittmenge gesellschaftlicher Debatten über Narrative, Geschichtspolitik, nationale Identitäten und wissenschaftliche Diskurse in „history, heritage and museum studies, literary studies, cultural studies, and Holocaust and genocide studies“ (S. 3) „and other discourses of suffering and commemoration“ (S. 8). Museen, Erinnerungslandschaften und Denkmäler spielen dabei eine zentrale Rolle „[to] visualize, verbalize, and mediate the Second World War for contemporary audiences between experience, commemoration, and historical knowledge“ (S. 8).

Die englischsprachige Literatur bietet für diese Themen einen größeren Resonanzraum als die deutsche, was nicht zuletzt an den Unterschieden zwischen der deutschen Museums- und Gedenkstättenlandschaft („seem[s] to be more documentary“) und der angelsächsischen („highlights the transformative educational value of history museums“) liegen mag (S. 5). Die Tätigkeit des interdisziplinären und internationalen Netzwerkes „War and Violence“ der German Studies Association, auf die der vorliegende Sammelband zurückgeht, ist daher ein wichtiger Forschungsbeitrag.

Im ersten Aufsatz für Teil I skizziert Thomas Thiemeyer die Entwicklung musealer Darstellungen des Kriegsendes in Ost- und Westdeutschland von 1945 bis heute am Beispiel von Sonder- und Dauerausstellungen (Deutsches Historisches Museum, Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Topographie des Terrors, Museum Berlin-Karlshorst). Er verweist auf die Wechselwirkung der inhaltlichen Zugänge, auf Formen der Präsentation und Rezeption der Exponate (S. 33) sowie die durch historisch-politische Debatten (Kriegsende, „Wehrmachtsausstellungen“) bewirkten neueren Trends (Individualisierung, Schwerpunktverlagerung von der Reflexion hin zum Erleben, Generationenwechsel, Gewalt als „neue zentrale Kategorie für das Verständnis von Krieg und Militär“, S. 38).

Dieser historische Überblick ist die Grundlage für die folgenden vertiefenden Texte. Den Anfang macht Stephan Jaeger, der das Konzept des Lernens durch Erfahrung und Erlebnis („experientiality“) aus der Literaturwissenschaft auf die Ausstellungsanalyse überträgt und dabei zwischen „primary and secondary experience“ im Sinne von Simulationen (S. 55) und komplexen Darstellungsformen („multiperspectival shifts“, S. 61) unterscheidet – deren Grenzen aber oft fließend sind. Seine Thesen leitet er, wie alle Autorinnen und Autoren des Bandes, aus detaillierten Ausstellungsbeschreibungen unter Berücksichtigung von Inhalten, Objekten, Räumen und Vermittlungsformen ab. Dabei wird allerdings deutlich, und dieser Befund gilt für die meisten Texte, dass die Autorinnen und Autoren nicht aus der Praxis stammen. Das zeigt sich daran, dass die Herleitungen und Folgerungen mitunter sehr konstruiert wirken. So beschreibt Jaeger die konzeptionellen Absichten am Beispiel von Berlin-Karlshorst (S. 63–65) und des Militärhistorischen Museums in Dresden (MHM, S. 66–68), ohne zu berücksichtigen, wie die Verfügbarkeit von Exponaten oder konservatorische Bedingungen der Räume pragmatische Entscheidungen erfordern und das Zustandekommen einer Ausstellung mit beeinflussen.

Jana Hawig, eine der wenigen kuratorisch tätigen Autorinnen, widmet sich der „Form und Funktion historischer Bilder in modernen Kriegsausstellungen“ (S. 75) am Beispiel des MHM und des Imperial War Museum North in Manchester. Leider beschreibt sie die Ausstellungspraktiken getrennt nach den Institutionen – ein Vergleich anhand gemeinsamer Themen wäre aufschlussreicher gewesen. Dem universellen Potential der Holocaust-Erinnerung geht Erin Johnston-Weiss am Beispiel der Topographie des Terrors in Berlin und des Canadian Museum for Human Rights in Winnipeg nach. Dabei fragt sie, mit welchen Mitteln auf der Text- und der Gestaltungsebene Holocaust-Ausstellungen Distanz und Empathie, darunter auch für die Täter, erzeugen. Täter und Täterinnen stehen ebenfalls im Fokus von Sarah Kleinmanns Analyse der Objekt- und Textebenen in den „Euthanasie“-Gedenkstätten Grafeneck in Baden-Württemberg und Schloss Hartheim in Österreich. Ein geschlechtergeschichtlicher Ansatz, so die Autorin, sei gerade bei diesem Thema wichtig, da hier Frauen besonders häufig an den Verbrechen beteiligt gewesen seien. Aufgrund alter Rollenbilder und der Vorstellung, Gewalt gehe eher von Männern aus, würden sie in musealen Darstellungen noch immer vernachlässigt (S. 111). Winson Chu sieht in der Sonderausstellung zum Warschauer Aufstand 1944 des „Warsaw Rising Museum“, die 2014 in der Topographie des Terrors gezeigt wurde, ein Projekt im Dienst „der deutsch-polnischen und der EU-Politik, die die universalisierenden Narrative des Totalitarismus in osteuropäischen Ländern unterstützt“ (S. 130) – mit dem Ziel, im Verhältnis von Polen und Deutschland „schwierige historische Themen“ zu umgehen (S. 141).

Karola Fings’ Beitrag über die Entwicklung der Erinnerungslandschaft in der Region Hürtgenwald (Nordeifel) gehört bereits zum zweiten Hauptteil des Sammelbandes. Die Autorin beschreibt das Gedenken in der Gegend schwerer Kämpfe zwischen US-Streitkräften und Wehrmacht 1944/1945 als Ergebnis einer lange einseitigen Einflussnahme rechter Interessengruppen, die erst in jüngster Zeit dank zivilgesellschaftlicher Initiativen ein Gegengewicht im Sinne einer Professionalisierung und Pluralisierung erfahren haben. Der folgende Text ist einem Erinnerungsort im Zentrum Wiens gewidmet. Peter Pirker, Magnus Koch und Johannes Kramer beschreiben auf der Ebene der longue durée die Entwicklung von Heldenplatz, Burgtor und Ringstraße seit Gründung des dortigen Heldendenkmals 1934 bis heute. Dazu gehen sie ausführlich auf die verschiedenen Interessenlagen und die österreichischen Diskussionen über das Gedenken an Deserteure der Wehrmacht und den 8. Mai 1945 ein. Erst das Engagement der Zivilgesellschaft konnte eine Transformation dieses über Jahrzehnte von einem militärischen Heldennarrativ dominierten Erinnerungsortes anstoßen – ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist (S. 206). Nicht vertiefend und eher Ausgangspunkt für weitere Forschung ist der Beitrag von Jeffrey Luppes über Denkmäler für Flucht und Vertreibung von Deutschen in Ost(mittel)europa. Hier hätte man sich eine Anbindung an die Diskussion über die für 2021 geplante Eröffnung der Dauerausstellung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin gewünscht.

Mit einer Fallstudie zur Interaktion zwischen Mensch und Natur vor dem Hintergrund des „Spatial Turn“ der Kulturwissenschaften beschließt Jörg Echternkamp den zweiten Teil des Bandes. Es geht um die Frage der Ernennung der Normandie-Küste zum UNESCO-Welt-Naturerbe. Ein positiver Bescheid des von Frankreich gestellten Antrages würde, so der Autor, einen grundlegenden Wandel im Verständnis des Weltkrieges und Nachkriegseuropas bedeuten (S. 234). Der D-Day, schon jetzt als Ausgangspunkt des „globalen Kampfes für Freiheit und gemeinsame Werte“ (S. 245) interpretiert, erhielte eine übertriebene strategische Bedeutung. Das damit einhergehende „Narrativ der Befreiung“ stehe zudem im Widerspruch zu den Narrativen in den osteuropäischen Ländern und fördere „einen positiven Gründungsmythos für Europa, der nicht im Einklang steht mit dem negativen Narrativ des Holocaust als Europas kleinstem historischem Nenner“ (S. 247).

Der Schlussbeitrag von Jay Winter kommt noch einmal auf methodische Fragen einer sich wandelnden Erinnerungslandschaft zurück, in der „both experiential and existential approaches to war remembrance“ (S. 256) zu beobachten seien. Das Spektrum reiche dabei von „sacred“ oder „demonic“ zu „secular“ „memory regimes“ (S. 256f.), abhängig davon, ob die eigenen Opfer als heldenhafte Märtyrer (wie auf dem Balkan, in Polen und dem prosowjetischen Raum) oder als Kämpfer für universelle Werte wie die Menschenrechte gesehen würden (wie in Westeuropa) (S. 258).Vor diesem Hintergrund gelangt Winter zu einer pessimistischen Einschätzung: „A shared memory regime in Europe is a utopian idea, as is a shared culture of remembrance of the 1939–1945 conflict.“ (S. 259)

Die Lektüre dieses empfehlenswerten Bandes wird durch Endnoten und eine Bibliographie zu jedem einzelnen Text sowie ein übergreifendes Namens-, Orts- und Sachregister erleichtert. Zu bemängeln ist angesichts eines stark visuell geprägten Untersuchungsgegenstandes lediglich, dass es nur wenige und nur schwarz-weiße Abbildungen gibt.