R. Magnúsdóttir: Enemy Number One

Cover
Titel
Enemy Number One. The United States of America in Soviet Ideology and Propaganda 1945–1959


Autor(en)
Magnúsdóttir, Rósa
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 240 S.
Preis
€ 70,50; £ 21.48
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benno Nietzel, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Neben der immer wieder aufs Neue beschworenen Rückbesinnung auf die heroische Zeit des Großen Vaterländischen Krieges ist eine rhetorische Frontstellung gegen „den Westen“ und insbesondere die Vereinigten Staaten eine tragende Säule der politischen Kultur des gegenwärtigen Russland. Das Arsenal der Formen und Muster dieses populären Anti-Amerikanismus geht auf längere kulturelle Traditionslinien zurück, wurde aber zu großen Teilen in der frühen Zeit des Kalten Krieges, d.h. in der Spätphase des Stalinismus, ausgeformt. Die an der University of North Carolina entstandene Dissertation von Rósa Magnúsdóttir wendet sich dieser Zeitperiode zu und untersucht, welche Rolle die Vereinigten Staaten in der sowjetischen Propaganda spielten und wie diese sich im Laufe der 1950er-Jahre veränderte. Die Autorin beschränkt sich dabei nicht auf die Ebene der staatlichen und parteiamtlichen Medien und Verlautbarungen, sondern sucht mit Hilfe neu erschlossener Quellen auch zu ergründen, welche Vorstellungen und Bilder von den Vereinigten Staaten in der sowjetischen Bevölkerung kursierten und wie sich einzelne Bürger „von unten“ in den offiziellen Diskurs einbrachten.

In einer kurzen Einführung arbeitet die Autorin zunächst die Ambivalenz der russisch-sowjetischen Amerikabilder bis zum Zweiten Weltkrieg heraus. Die Vereinigten Staaten fungierten sowohl als Vor- wie auch als Schreckbild, standen gleichzeitig für technologische Modernität wie auch für die ins Extreme getriebenen Schattenseiten des Kapitalismus. In diesem Zusammenhang bildete sich die Wahrnehmung „zweier Amerikas“ heraus: obwohl die USA meist pauschal verdammt und abgewertet wurden, konnte die sowjetische Propaganda doch immer auch auf „progressive“ Elemente in der amerikanischen Gesellschaft verweisen sowie ihre Solidarität mit den dort unterdrückten und gedemütigten Werktätigen versichern. In welchem Ausmaß sie das tat, war freilich historisch starken Schwankungen unterworfen.

Die folgende Darstellung gliedert sich in zwei größere Teile, von denen der erste die Nachkriegszeit bis zum Tod Stalins, der zweite die Periode des Tauwetters und der Ent-Stalinisierung unter der politischen Führung Nikita Chruschtschows bis 1959 behandelt. Im Zeichen der beginnenden weltpolitischen Konfrontation des Kalten Krieges griff das stalinistische Regime zunächst auf hergebrachte Instrumente gesellschaftlicher Mobilisierung aus der Vorkriegszeit und dem Weltkrieg zurück: der Aufbau der Vereinigten Staaten als Hauptfeind der Sowjetunion und der sozialistischen Bruderstaaten zielte darauf, die erschöpfte Bevölkerung erneut in einen mentalen Kriegszustand zu versetzen und das Bedürfnis nach gesellschaftlichem Frieden und materieller Erholung zurückzudrängen. Umso dringender schien dies, weil viele der sowjetischen Bürger im Zuge des Krieges Begegnungen mit der westlichen Welt gemacht hatten, die die dämonisierenden Propagandaformeln konterkarierten und die Verheißungen des Sozialismus wiederum als trügerisch erwiesen. Die seit 1947 systematisch entfachten Anti-Amerika-Kampagnen waren dabei das Gegenstück zur Propagierung eines sowjetischen Patriotismus, der sich schroff vom kapitalistisch-dekadenten Westen absetzte. Auch populäre Autoren wie Konstantin Simonow und Ilja Ehrenburg, welche sich der Klaviatur des Anti-Amerikanismus in ihren Werken wirkungsvoll bedienten, waren allerdings in der kulturpolitischen Atmosphäre des Spätstalinismus nicht vor den allgegenwärtigen Verdächtigungen und Anschuldigungen gefeit, im Kampf gegen den Hauptfeind zu wenig rigoros und damit nachgerade staatsfeindlich zu agieren. Für einfache Bürger konnte jede Äußerung, die die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion in eine unvorteilhafte Beziehung setzte, schwere Strafen nach sich ziehen.

Magnúsdóttir zeigt im Weiteren, dass die angestrebte kommunikative Abschottung der sowjetischen Bevölkerung nicht völlig hermetisch war. Einerseits konnte die kommunistische Führung auch mithilfe von Störsendern nicht verhindern, dass amerikanische Radiostationen durch den Eisernen Vorhang hindurchsendeten und das Bild der Vereinigten Staaten innerhalb der Bevölkerung damit erheblich mitprägten. Andererseits initiierte das sowjetische Regime auch selbst sporadisch den kulturellen Austausch, etwa anlässlich einer Reise sowjetischer Schriftsteller, darunter Simonow und Ehrenburg, durch die USA 1946. 1948 wiederum bereiste der bekannte amerikanische Autor John Steinbeck die Sowjetunion und hielt seine Eindrücke in Buchform fest. Die Ansprüche des stalinistischen Regimes auf Kontrolle und Deutungshoheit waren allerdings zu dieser Zeit so allumfassend, dass dieser Besuch zwangsläufig im Nachhinein als Misserfolg erscheinen musste. Anhand von Stimmungsberichten staatlicher Stellen sowie von Gerichtsakten im Zusammenhang mit post-stalinistischen Anträgen auf Rehabilitierung zeigt die Untersuchung, dass sich allen obrigkeitlichen Versuchen, den sowjetischen Amerikadiskurs zu homogenisieren, zum Trotz zahlreiche Menschen ihre eigenen Gedanken zu den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen und zu den Verhältnissen in den Vereinigten Staaten machten und diese auch artikulierten.

Der zweite Teil des Buches behandelt mit den ersten Jahren der Chruschtschow-Ära eine Zeitphase, in der sich das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten stark veränderte. In nie gekannter Weise waren diese Jahre von der Hoffnung beherrscht, das gegenseitige unvoreingenommene Kennenlernen könne ein friedliches Zusammenleben stiften. Gleichzeitig war die sowjetische Führung überzeugt, dass das feindliche kapitalistische System im offenen Wettbewerb auf längere Sicht unweigerlich überwunden werden könne. Die Offensive zur Stärkung der amerikanisch-sowjetischen Kulturbeziehungen in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre zielte in unterschiedliche Richtungen. Zum einen ging es darum, das schlechte Image des sozialistischen Regimes im westlichen Ausland zu verbessern. Die Verantwortlichen der sowjetischen Cultural Diplomacy zeigten sich aber vielen kundigen Ratschlägen, wie das zu bewerkstelligen sei, zunächst nicht aufgeschlossen. Zum anderen erhoffte sich die kommunistische Führung von offeneren Austauschbeziehungen und Kooperationen auch die Möglichkeit, sich etwa im Bereich der Agrarökonomie gezielt Know-How und Techniken aus dem kapitalistischen System anzueignen und damit Entwicklungsrückstände aufzuholen. Sowjetische Delegationen zeichneten dem heimischen Publikum in dieser Zeit ein weitaus positiveres Amerikabild, als diese es je kennengelernt hatten.

Die Phase der „friedlichen Koexistenz“ war indes durch zahlreiche Paradoxa gekennzeichnet. Einerseits ermunterte die politische Führung die Bürger nun offen dazu, über das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu reflektieren. Zahlreiche Zuschriften aus der Bevölkerung an Parteistellen und Chruschtschow selbst zeugen davon, wie intensiv sich die Menschen nun mit den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen und den Möglichkeiten beschäftigten, diese zu verbessern. Andererseits bemühte sich das Regime auch wiederholt, Grenzziehungen gegenüber inakzeptablen Sprech- und Verhaltensweisen deutlich zu machen. Das erwies sich als schwierig. Mit dem Moskauer Jugendfestival 1957 sollte ein neues Bild der Sowjetunion als einem Land glücklicher und friedliebender Menschen in der Welt propagiert werden. Aber solche Öffnungsversuche hatten immer auch unbeherrschbare Konsequenzen, wenn die sowjetischen Bürger nun in intensiven Kontakt mit ausländischen Besuchern eintraten.

Die Autorin sieht die vielfach beschriebene US-Nationalausstellung in Moskau im Sommer 1959 als einen Wendepunkt im sowjetisch-amerikanischen Verhältnis, der eine unhintergehbare Wirkung hatte, obwohl sich die politischen Beziehungen schon kurze Zeit später wieder dauerhaft abkühlten. Der Epilog des Buches springt dann recht rasch in die politische Gegenwart des Putin-Regimes, in der sich Momente der anti-amerikanischen Abgrenzung mit sporadischen Versuchen, symbolisch an die Zeit der amerikanisch-sowjetischen Allianz im Zweiten Weltkrieg anzuknüpfen, vermischen. Interessant wäre es aber auch gewesen, zumindest schlaglichtartig die wiederholten Wendungen in der anti-amerikanischen Rhetorik seit den 1960er-Jahren nachzuvollziehen.

Die Autorin sucht einerseits einen breiten Zugang zum Thema, indem sie etwa die gesellschaftliche Verankerung der propagierten Amerikabilder und auch ansatzweise die wechselseitige Wahrnehmungsdynamik zwischen Sowjetunion und Vereinigten Staaten einbezieht. Andererseits kommen einige Aspekte überraschend kurz, so etwa die Diskriminierung der schwarzen Minderheit in den Vereinigten Staaten, der sich die sowjetische Propaganda immer wieder ausführlich widmete, was wiederum amerikanische Strategen erheblich beunruhigte. Da sich die Studie auf den propagandistischen Wettbewerb um das materielle Lebensniveau konzentriert, auf den sich die sowjetische Führung unter Chruschtschow unvorsichtigerweise einließ, positioniert sie die Sowjetunion von vornherein in einer defensiv-hoffnungslosen Position. Mit dem Start des Sputnik-Satelliten 1957 gelang dem Regime jedoch auch ein Propaganda-Coup, mit dem es sich in den Augen der Weltöffentlichkeit zeitweilig zum Exponenten des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts aufschwang und in den Vereinigten Staaten eine Panikstimmung auslöste, die entscheidend zum Sieg John F. Kennedys bei den Präsidentschaftswahlen 1960 beitrug. In diesen transnational-globalen Bezügen des Themas scheint noch einiges Forschungspotential zu liegen. Die Arbeit von Rósa Magnúsdóttir liefert hierzu eine überzeugende Grundlage.

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