A. Gouaffo u.a. (Hrsg.): Koloniale Verbindungen

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Title
Koloniale Verbindungen – transkulturelle Erinnerungstopografien. Das Rheinland in Deutschland und das Grasland Kameruns


Editor(s)
Gouaffo, Albert; Stefanie Michels
Series
Histoire (145)
Extent
243 S.
Price
€ 34,99
Reviewed for H-Soz-Kult by
Johannes Häfner, Marburg

Das politische und wissenschaftliche Interesse an Deutschlands kolonialer Vergangenheit hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Analyse kolonialer und postkolonialer Verflechtungen hat sich dabei von der Ebene von Kolonie und Nationalstaat auf die Ebene kleinerer bzw. besser überschaubarer Räume – beispielsweise von Regionen und Städten – verschoben. Aussagen zu Verflechtungen zwischen Kolonie und Nationalstaat werden so durch das Herausarbeiten von transregionalen Verflechtungen und lokalen Spezifika (post-)kolonialer Praktiken und Narrative ausdifferenziert.1

In diese Entwicklung reiht sich auch der von Stefanie Michels und Albert Gouaffo herausgegebene Sammelband zu den kolonialen Verbindungen und transkulturellen Erinnerungstopographien zwischen dem deutschen Rheinland und dem kamerunischen Grasland ein. Er geht auf ein Kooperationsprojekt der Universitäten Dschang und Düsseldorf unter Leitung der beiden Herausgebenden zurück.

In ihrer Einleitung skizzieren Michels und Gouaffo zunächst ihr Forschungsfeld sowie ihr Forschungsdesign. Bereits hier wird die interdisziplinäre Stoßrichtung des Bandes deutlich, wenn die Herausgeber/innen mittels sozialwissenschaftlich inspirierter Interviewmethoden, geschichtswissenschaftlicher Kontextualisierungen und sprachwissenschaftlicher Analysen die immens heterogenen Erinnerungsbestände zum deutschen Kolonialismus im Rheinland und Kamerun kontrastieren. Augenfällig erscheint hier besonders das starke Bewusstsein für die kolonialen Bezüge der eigenen Geschichte in Kamerun, während im Rheinland diese Verbindungen wenigstens im kollektiven Gedächtnis weit weniger stark verankert sind.

Diese erinnerungsgeschichtliche Perspektivierung verknüpfen Gouaffo und Michels im Folgenden mit der Methode der histoire croisée, die sich – mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt – durch die Beiträge des Bandes zieht, von denen ob des begrenzten Platzes nicht alle in gleicher Intensität besprochen werden können.

Das erste Kapitel „Regionen und Welten“ umfasst neben einem Aufsatz von Jasmin Grande zum Institut „Moderne im Rheinland“ in Düsseldorf Texte von Michels zur Verflechtungsgeschichte zwischen Düsseldorf und kolonialen bzw. postkolonialen Regionen sowie Gouaffos zum Tagebuch der Ethnologin Marie Pauline Thorbecke, das während eines Forschungsaufenthaltes in Kamerun, den sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Geographen Franz Thorbecke, in den Jahren zwischen 1911 und 1913 absolvierte, entstand. Grande gelingt es, in ihrem dichten Aufsatz herauszuarbeiten, dass die Geschichte der Herausbildung der Moderne (oder besser: von Modernitätsdiskursen) im Rheinland erst vor dem Hintergrund komparatistischer und für Transferprozesse sensibler methodologischer Setzungen an Trennschärfe gewinnt. So könne im Mittelpunkt der Erforschung der Moderne im Rheinland niemals ein eng umgrenzter politischer Raum stehen, sondern vielmehr „ein fluides Konzept, das zwischen Akteuren und Zeiten changiert und dessen Vielfalt nur in der Komplexität vermittelbar ist.“ (S. 36) Dieser Maßgabe folgend spannt Stefanie Michels in ihrem Aufsatz „Düsseldorf und die Welt – Globalgeschichte goes regional“ ein breites Panorama an kolonialen Bezügen auf, die die rheinische Großstadt im 19. und 20. Jahrhundert mit verschiedenen regionalen Settings in Afrika und Asien verband. Sie zeichnet dabei ein nuanciertes Bild, das im Düsseldorfer Fall vorrangig von der rheinischen Industrie bestimmt wurde, die über die Suche nach neuen Absatz- und Rohstoffmärkten, aber auch die Einrichtung von Handels- und Plantagenunternehmen einen großen Einfluss auf die kolonialen Politiken auf Ebene der Region, aber auch des Reiches insgesamt ausübte. Besonders hervorzuheben ist, dass Michels die spezifisch rheinländische Komponente kolonialer Praktiken und Diskurse auszuweisen sucht und damit über ein „Hier auch!“, das lokalgeschichtlichen Studien zum Kolonialen häufig zu eigen ist, weit hinausgeht.

Der zweite Abschnitt des Buches steht unter dem Motto „Koloniale Verbindungen“ und beinhaltet neben zwei weiteren Analysen zu den Bild- und Textnachlässen des Geographenehepaares Thorbecke von Lucia Halder und Omer Tadaha einen Aufsatz Richard Tsogang Fossis zur „transnationalen Männerfreundschaft“ (S. 111) des Königs von Bali, Galega, mit dem Düsseldorfer Kolonialisten Eugen Zintgraff sowie eine objektgeschichtlich inspirierte Arbeit Yagmur Karakis‘ zur transregionalen Geschichte und Musealisierung einer kamerunischen Raphiatasche. Besonders in Fosssis Studie werden prägnant nicht nur die – weniger von Altruismus, denn von „hegemonialem Kalkül“ (S. 127) getragenen – personalen Beziehungen zwischen Akteuren aus Kamerun und dem Rheinland ausgelotet, sondern gleichzeitig die zum Teil stark divergierenden Erinnerungsbestände in den kamerunischen Regionen betrachtet. So gelte Zintgraff beispielsweise in Bali bis heute als ein „echter Bali“ und großer Krieger (S. 115), wohingegen er in benachbarten Dörfern – auch aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen, bei denen Galega und Zintgraff als Verbündete erschienen – eher als Idealbild eines brutalen Kolonialherren erinnert werde.

Jenseits dieser personalen Verflechtungen lassen sich in Museen – so beispielsweise im Reiss-Engelhorn Museum in Mannheim – auch materielle Zeugnisse vergangener kolonialer Verbindungen nachweisen, wie Karakis in ihrer Objektgeschichte einer kamerunischen Tragetasche belegt. Neben ihrer spezifischen rituellen Bedeutung zeichnet sie insbesondere ihren Erwerbungshintergrund nach und verweist in diesem Zusammenhang auf „das Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen zwischen Forschungsreisenden und der lokalen Bevölkerung“ (S. 145), das gleichwohl in der Gegenwart nicht zwangsläufig zu Restitutionsforderungen führen muss. So fordern von der Autorin interviewte Kameruner Würdenträger beispielsweise nicht die Rückgabe vormals geraubter Gegenstände, sondern ihre angemessene Ausstellung in deutschen Museen, um damit Kultur und Tradition der jeweiligen Chefferien sowie vormals bestehende Beziehungen zwischen ihnen und Deutschland zu illustrieren.

Das letzte thematische Kapitel, „Erinnerung transkulturell-transdisziplinär“, versammelt drei – ihrer disziplinären Provenienz nach verschiedene – Texte zu den mannigfaltigen Möglichkeiten und Problemen einer angemessenen Memorierung geteilter kolonialer Vergangenheit(en). In einem ersten Aufsatz lotet Martin Doll die Potenziale einer visuellen Historiografie kolonialer Erinnerungslandschaften aus und arbeitet konzise die Vorzüge filmischer und ausstellungsbasierter Projekte heraus, denen es besser als Texten gelänge, „die nötigen perspektivierenden Relationierungen“ (S. 188) erfahrbar zu machen. Demgegenüber plädiert Alexander Ziem in seinem Text zu Erinnerung als kommunikativem Prozess für die Umsetzung von Interviewtechniken, die die enge Verzahnung (vermeintlich) festen historischen „Wissens“ mit kognitiven, situationsbezogenen, subjektiven Erinnerungsbeständen aufzeigen könnten.

In einem letzten Aufsatz kommt Britta Schilling am Beispiel der umkämpften Erinnerung an den Kolonialisten Hermann von Wissmann zu dem Schluss, dass weniger eine koloniale Amnesie als vielmehr eine koloniale Aphasie (Ann Laura Stoler) die aktuellen Erinnerungsdiskurse in deutschen Kontexten auszeichne. In einer komplexen Gemengelage, die vom Nebeneinander von Erinnerung und Vergessen geprägt sei, fehle es vorrangig am Vokabular, also an der Sprache, um Vergangenheit angemessen zu thematisieren. Heute müsse es gelten, die ehemals sprachlich tabuisierten nationalen Erinnerungen, die sich jedoch in spezifischen lokalen und sozialen Kontexten erhalten hätten, mittels einer relationalen und für Nuancen aufgeschlossenen Sprache erneut zu erschließen.

Insgesamt haben die Autor/innen einen gut informierten und durch seinen interdisziplinären Zugriff aufschlussreichen Band vorgelegt. Er kann auch als Appell an eine – nicht nur wortreich beschworene, sondern auch ganz praktisch werdende – Transregionalität in der Erforschung der verflochtenen kolonialen Vergangenheiten Deutschlands gelesen werden. Besonders begrüßenswert erscheint dem Rezensenten die Tatsache, dass auch studentische Autor/innen an prominenter Stelle mit Aufsätzen vertreten sind und damit belegen, dass es nicht erst eine Promotion oder Habilitation braucht, um ambitionierte und ertragreiche Forschungsvorhaben umzusetzen. Eines der wenigen Monita lässt sich hingegen in dem auffällig mangelhaften Lektorat ausmachen. Dieses kann man jedoch weniger den Herausgeber/innen, eher dagegen dem Verlag zum Vorwurf machen, von dem durchaus hätte erwartet werden können, den einzelnen Aufsätzen die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihnen seitens einer breiten Leser/innenschaft zu wünschen ist.

Anmerkung:
1 Um nur einige jüngere Beispiele zu nennen, sei verwiesen auf: Bernd-Stefan Grewe u.a. (Hrsg.), Freiburg und der Kolonialismus. Vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus, Freiburg 2018; Silke Hensel / Barbara Rommé (Hrsg.), Aus Westfalen in die Südsee. Katholische Mission in den deutschen Kolonien, Berlin 2018.

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