P. Fitl: Meuterei und Standgericht

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Titel
Meuterei und Standgericht. Die Matrosenrevolte im Kriegshafen von Cattaro vom Februar 1918 und ihr kriegsgerichtliches Nachspiel


Autor(en)
Fitl, Peter
Reihe
Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums 23
Anzahl Seiten
303 S.
Preis
€ 27,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Szojak, Wien

Am 1. Februar 1918 brach auf nahezu allen in der Bucht von Cattaro (Kotor, damals zum österreichischen Kronland Dalmatien gehörend, heute zu Montenegro) stationierten Kriegsschiffen der k.u.k. Kriegsmarine eine Meuterei aus, die aber bereits am dritten Tag zusammenbrach. In einem unmittelbar anschließend geführten Standgerichtsverfahren wurden vier Todesurteile gefällt, erst Monate später folgte das reguläre feldgerichtliche Verfahren gegen knapp 400 Angeklagte. Die bis dato erschienenen Werke zu dieser „Episode“ geben zwar teils detailreiche Einsichten in den Verlauf der Meuterei, eine wissenschaftliche Aufarbeitung der beiden militärstrafgerichtlichen Verfahren ist jedoch nie erfolgt.

Peter Fitl, Historiker und Jurist mit Gerichtserfahrung, hat anhand der Gerichts- und Ministerialakten die beiden militärgerichtlichen Verfahren analysiert: Sie sind zum einen die Reaktion auf die Extremsituation der Meuterei, deren Ausbreitung und neuerliches Aufflackern vom Armeeoberkommando befürchtet wurde. Zum anderen brachten die beiden Verfahren die Militärjustiz an die Grenzen des Machbaren und darüber hinaus, da mehrere Tausend Matrosen potentielle Täter waren. Die Auditoren hatten nun die mühsame Aufgabe, die Art und Weise der Beteiligung oder gegebenenfalls auch Nichtbeteiligung jedes einzelnen der Beschuldigten an der Meuterei zu ermitteln. Dies bedeutete konkret nicht nur die Einvernahme von über fünfhundert Beschuldigten, sondern auch die Anhörung von insgesamt weit über tausend Zeugen und Auskunftspersonen.

Das über 300 Seiten umfassende Werk – eine überarbeitete Fassung der 2017 vorgelegten Dissertation des Verfassers – gibt eingangs einen Überblick über die verfassungsrelevanten Grundlagen des Militärwesens in der ausgehenden Habsburgermonarchie und erörtert die Grundsätze des Militärstrafgesetzes von 1855 und der Militärstrafprozessordnung von 1912 – also der rechtlichen Basis der beiden Cattaro-Prozesse.

Der Autor stellt die Situation der k.u.k. Kriegsmarine im ersten Weltkrieg dar: Ab dem Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 beschränkte sich diese auf eine „fleet in being“: Die großen Einheiten lagen abgesehen von wenigen Unterbrechungen untätig in den Häfen vor Anker, die Hauptlast trug die Kreuzerflottille zusammen mit den Unterseebooten. Die scheinbare Funktionslosigkeit und operative Untätigkeit der größeren Schiffe mit mehreren hundert Mann Besatzung und dem damit verbundenen Ausbleiben sichtbarer Erfolge, die täglichen Routinepflichten, der zunehmende spürbare Mangel an Nahrung und Kleidung, aber auch die wachsende Sorge um die Angehörigen im Hinterland bereiteten den Nährboden der Meuterei. Hinzu kam die Vernachlässigung der Mannschaften seitens ihrer Offiziere, die zum Teil ihre Familienangehörigen nach Cattaro kommen ließen und ihre Privilegien aus fehlender Sensibilität ungeniert auslebten.

Etwa die Hälfte seines Werks widmet Fitl dem Ablauf der Meuterei, also jenem Sachverhalt, den später das Standgericht und in der Folge das Feldgericht aufzuarbeiten hatte: Die als Demonstration geplanten Proteste starteten am 1. Februar um 12 Uhr mittags auf dem Flaggenschiff „St. Georg“ und auf dem Schiff „Gäa“ und griffen bald auf andere Schiffe über. Die Versuche der Offiziere die aufgebrachten Matrosen zu mäßigen, scheiterten, die Radikalen unter den Matrosen gewannen die Oberhand. Nach einer ersten Welle von Chaos und Zerstörung kristallisierten sich langsam Strukturen unter den Meuterern heraus, es bildeten sich Komitees mit Kommandanten an ihrer Spitze. Loyale Matrosen, die sich den Protesten nicht anschließen wollten, wurden von ihren eigenen Kameraden bedroht; schließlich es gab auch Schiffe, deren Mannschaften sich anfangs weigerten, die rote Flagge zu hissen und auch Offiziere, die in Anbetracht der Gefahr durch Landbatterien beschossen zu werden, ihr Schiff verließen und es samt Besatzung sich selbst überließen.

Auch wenn der Ablauf der Meuterei schon von Plaschka et al. schon erschöpfend dargestellt worden ist, kann der Autor aufgrund seiner akribischen Recherchen mit neuen Details aufwarten. So finden sich bei den Quellenangaben neben den Marinegerichtsakten auch die Berichte einzelner Schiffkommandanten und die Aufzeichnungen der Auditoren. Das brisanteste Archivale, der Standgerichtsakt, konnte im Zuge seiner Recherchen leider nicht mehr aufgefunden werden und gilt als verschollen.

Durch das Ausbleiben von klaren strategischen Entscheidungen seitens der Meuterer verstrich Zeit. So hatten sie es auch verabsäumt alle Kommunikationskanäle unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Kommandant der Kreuzerflottille, Kontreadmiral Hansa, konnte daher in mehreren Meldungen das Flottenkommando in Pola über die Ereignisse auf dem Laufenden halten. Somit war auch das Kriegshafenkommando informiert, das noch am selben Nachmittag die Organisation von Gegenmaßnahmen (den allfälligen Einsatz von Infanterie und vor allem Artillerie) in Angriff nahm.

Noch am ersten Februar wurde dem Kontreadmiral eine Liste an Forderungen („Was wir wollen“) übergeben, die einerseits politische Punkte enthielten, die jedoch weit außerhalb seiner Kompetenzen lagen („Maßnahmen zur Einleitung eines sofortigen allgemeinen Friedens“; „Selbstbestimmung der Völker“), andererseits sehr konkrete Forderungen enthielten, die aber teils dem „von Seiner Majestät sanktionierten Dienstreglements“ widersprachen („Einheitskost für Stab und Mannschaft“). Den Überbringern sagte Hansa zu, diese nicht strafen zu wollen, da diese nur Bitten vorbrächten, von „der strengsten Bestrafung der Meuterer jedoch[,] das sind insbesondere jene, die mit Handfeuerwaffen und Geschützen geschossen haben, und der Rädelsführer könne keinesfalls Abstand genommen werden“.

Der Beschuss des Wachschiffs „Kronprinz Rudolf“ am zweiten Tag der Meuterei und das Ausbleiben wichtiger strategischer Entscheidungen seitens der Meuterer hatten zur Folge, dass die Meuterei am Vormittag des 3. Februars schließlich zusammenbrach: Die Offiziere wurden gebeten das Kommando wieder zu übernehmen. Den Befehl zur Ausschiffung der unzuverlässigen Elemente gab zwar noch Hansa selbst, die Übertragung der Zuständigkeit des Strafverfolgungsrechts von ihm als zuständigen Kommandanten auf einen anderen war aber deshalb notwendig geworden, da sich ja die Meuterei gegen ihn (als Kommandant der Kreuzerflottille) und seine Offiziere gerichtet hatte. Fitl gibt hier interessante Einblicke, wie die Auswahl der Angeklagten erfolgt ist, aber auch wie sich die Auditoren in Hinblick auf die Wahrung der Rechte der Angeklagten verhielten, welche Rechtsfragen sich stellen und wie die Auditoren diese lösten.

Am 7. Februar wurde das Standgerichtsverfahren gegen vierzig Angeklagte eröffnet: vier wurden wegen des Verbrechens der Empörung zum Tode durch Erschießen, zwei zu langen Kerkerstrafen verurteilt und zwei Angeklagte wurden freigesprochen. Dieses Verfahren musste binnen drei Tagen beendet werden, anderenfalls wäre die Angelegenheit an das ordentliche Gericht abzutreten gewesen. Der Verhandlungsleiter des standgerichtlichen Prozesses, Major Auditor Karl Wolf, leitete auch den feldkriegsgerichtlichen Prozess gegenüber den restlichen Verdächtigen, hatte er doch Kenntnis der umfangreichen Akten. Die Hauptverhandlung wurde erst am 16. September 1918 eröffnet. Mit dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie ergab sich aber folgende groteske Situation: Das Feldgericht des k.u.k. Kriegshafenkommandos in Cattaro hatte in einem fremden Land (die südslawischen Nationen hatten sich am 29. Oktober 1918 von der Habsburgermonarchie gelöst) einen Prozess gegen Angehörige einer Marine geführt, die nicht mehr die eigene war (Kaiser Karl I. übergab per Depesche die gesamte k.u.k. Kriegsmarine am 31. Oktober dem neugebildeten südslawischen Nationalstaat). Die für den 5. November angesetzte Verhandlung gegenüber den restlichen Angeklagten fand nicht mehr statt und ist formaljuridisch bis heute nicht erledigt!

In seiner Schlussbetrachtung geht der Autor der Frage nach, ob diese Meuterei eine revolutionäre Aktion gewesen ist. Dies verneint Fitl mit dem Hinweis, dass die Meuterer keine Revolution im politischen System bezwecken wollten: Aus kollektivem Protest, so der Autor, sei eine Meuterei entstanden.

Das Resümee des Autors: Das Dilemma, „die Einsatzbereitschaft von Kriegshafen und Flotte nicht durch Inhaftierung aller Beteiligten zu gefährden einerseits, und dem Erfordernis, den Nichtbeteiligten und der Bevölkerung das Gefühl einer funktionierenden und gerechten Justiz zu vermitteln, andererseits [...] war in Wahrheit nicht zu lösen“ (S. 269).

Ein kurzer Exkurs über die historiografische und literarische Rezeption der Meuterei (Bruno Frei, Friedrich Wolf, et al.) mit Auszügen aus dem Militärstrafgesetz 1855 und der Militärstrafprozessordnung 1912 runden das umfassende und anspruchsvolle Werk ab. Peter Fitl ist es gelungen, die beiden Cattaro-Prozesse übersichtlich darzustellen. Er hat eine Vielzahl an Fragen berücksichtigt und diese auch umfassend beantwortet.

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