Cover
Titel
West Germany and Israel. Foreign Relations, Domestic Politics, and the Cold War, 1965–1974


Autor(en)
Fink, Carole
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 349 S., 10 SW-Abb., 4 Karten
Preis
£ 22.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joseph Ben Prestel, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Israel und die Bundesrepublik Deutschland verbindet eine Geschichte wechselhafter Beziehungen. Historikerinnen und Historiker haben nicht nur gezeigt, wie sich der Verlauf politischer Debatten um die historische Verantwortung Deutschlands, die sich aus dem Holocaust ergibt, anhand der Geschichte westdeutsch-israelischer Beziehungen eindrücklich nachzeichnen lässt. Sie haben auch auf zahlreiche verflochtene Entwicklungen in den beiden Staaten seit ihrer Gründung 1948 und 1949 hingewiesen. Das vorliegende Buch von Carole Fink liefert nun eine neue, fundierte Gesamtschau dieser Beziehungsgeschichte für die 1960er- und 1970er-Jahre.

Die Autorin, emeritierte Professorin an der Ohio State University, widmet sich den neun Jahren von der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik 1965 bis zum Ende der Regierungen von Golda Meir und Willy Brandt 1974. In ihrem Vorwort steckt Fink zu Beginn das Feld der Studie ab. Hierauf folgen zehn chronologische Kapitel, die nach einem wiederkehrenden Muster aufgebaut sind: Zunächst wird jeweils der globale Kontext des Kalten Kriegs geschildert, dann zeichnet die Autorin relevante innen- und außenpolitische Entwicklungen in Israel und der Bundesrepublik nach, schließlich geht es um Ereignisse mit Bedeutung für die westdeutsch-israelischen Beziehungen. Durchweg liegt das Hauptaugenmerk auf politischen Entscheidungsträgern. Gesellschaftliche, kulturelle oder ökonomische Dimensionen der westdeutsch-israelischen Beziehungen nehmen eher eine Nebenrolle ein.

Obgleich der Fokus der Studie auf der Zeit ab 1965 liegt, untersucht die Autorin im ersten Kapitel eine Vorgeschichte, die 1952 mit dem Luxemburger Abkommen und dem Beginn der Zahlungen der Bundesrepublik an den noch jungen Staat Israel einsetzt. Fink zeigt, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in den folgenden Jahren im Rahmen von hochrangigen Treffen und Geheimverhandlungen abspielten, wofür das berühmt gewordene Zusammenkommen von Konrad Adenauer und David Ben Gurion 1960 im Waldorf Astoria Hotel in New York ein Beispiel liefert. Gleichzeitig macht die Autorin deutlich, wie Ereignisse jenseits formeller Diplomatie die Beziehungen prägten. So schuf der Eichmann-Prozess 1961 in Israel eine neue Aufmerksamkeit für die Präsenz ehemaliger Funktionsträger des nationalsozialistischen Deutschlands im öffentlichen Leben der Bundesrepublik. In Finks Darstellung nimmt die Zeit vor 1965 eine wichtige Funktion ein, da sie als Kontrastfläche für spätere Entwicklungen dient.

In den folgenden Kapiteln wird gezeigt, wie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen einen Paradigmenwechsel darstellte. Zwar konnte die Entsendung von Botschaftern auf beiden Seiten als Triumph gegen eine außenpolitische Isolation gesehen werden, doch gleichzeitig spielten sich Hilfszahlungen und politische Verhandlungen nun vor einer größeren Öffentlichkeit ab und waren zum Teil Gegenstand kontroverser Debatten. Zahlungen der Bundesrepublik an Israel wurden ein Teil von „Entwicklungshilfe“ und mussten jährlich neu ausgehandelt werden. Fink beschreibt auch die Proteste, welche der Empfang des ersten westdeutschen Botschafters, Rolf Pauls, in Israel hervorrief.

Der Sechstagekrieg von 1967, dem Fink das dritte Kapitel widmet, wirkte wie ein Schock für die Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Für den Zeitpunkt des Kriegsausbruchs konstatiert Fink eine Welle der Solidarität mit Israel in der Bundesrepublik. Allerdings trübte sich das Bild in der Folgezeit schnell ein; Israel wurde innerhalb weniger Monate von Teilen der radikalen Linken wie dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in Verbindung mit „US-amerikanischem Imperialismus“ im Nahen Osten gebracht. Es ist ein Verdienst von Finks Buch, dass es neben dem relativ gut erforschten Thema des zunehmenden Anti-Zionismus in der radikalen Linken auch andere, pro-israelische Stimmen in Westdeutschland beleuchtet. So taucht etwa Axel Springer an mehreren Stellen als ein wichtiger Protagonist der westdeutsch-israelischen Beziehungen auf. Gerade die pro-israelische Haltung Springers trug wiederum zu einem anti-israelischen Freund-Feind-Denken in der Studentenbewegung bei.

Sechs der zehn Kapitel des Buches beschäftigen sich mit der Zeit unter Golda Meir und Willy Brandt, die beide 1969 ins Amt kamen und fünf Jahre lang regierten. Die Autorin betont wiederholt die Bedeutung der Ost- und Nahostpolitik Brandts für das westdeutsch-israelische Verhältnis. Nach der Zäsur von 1965 hatten zehn arabische Staaten ihre Botschafter aus Bonn abgezogen. Unter Brandt bemühte sich die Bundesregierung, diese Verbindungen wiederherzustellen, und strebte eine neutralere Politik im Nahen Osten an. Zwar wurde nach wie vor die historische Verantwortung gegenüber Israel betont, doch westdeutsche Politiker und Diplomaten äußerten nun vermehrt den Wunsch nach einer „Normalisierung“ der Beziehungen.

Brandts Ostpolitik stellte sich den Entscheidungsträgern in Israel als eine Art von Appeasement-Politik dar. Gleichzeitig entwickelte sich die israelische Politik laut Fink in eine entgegengesetzte Richtung. Nach dem Sieg über die arabischen Staaten im Sechstagekrieg nahmen die Regierungen unter Levi Eshkol und Golda Meir eine härtere Verhandlungsposition ein, um sichere Grenzen und eine dauerhafte Friedenslösung für Israel zu erreichen. Diese gegenläufigen Tendenzen in den beiden Staaten trugen zu einem spannungsreicheren Verhältnis bei.

Auch unter Brandt und Meir beeinflusste eine Reihe einschneidender Ereignisse die Beziehungen. Neben Flugzeugentführungen und dem Jom Kippur-Krieg beschreibt Fink detailliert den Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972. Sie erläutert, wie Meir einige Monate vor den Spielen Brandt zu einem Staatsbesuch nach Israel einlud, der für Ende 1972 anvisiert wurde. Der Anschlag vom September, bei dem das Verhalten westdeutscher und speziell bayerischer Behörden zum Tod von elf Mitgliedern der israelischen Olympiamannschaft beitrug, erschütterte das westdeutsch-israelische Verhältnis jedoch nachhaltig. Wie Fink anschaulich zeigt, sorgten gerade das Abstreiten einer Mitverantwortung vonseiten der Bundesrepublik und die (durch eine Flugzeugentführung erzwungene) Freilassung der drei überlebenden palästinensischen Angreifer im Oktober 1972 für Unverständnis.

Im Juni 1973 besuchte Brandt Israel – als erster amtierender deutscher Bundeskanzler. Die Autorin sieht den Besuch vor allem als Erfolg für die neue Politik der Bundesregierung. Fink zufolge machte Brandt auf der Reise „a strong case for normalization between the two countries, but without specifying its character“ (S. 244). Das Buch schließt mit dem Ende der Regierungen von Brandt und Meir. Letztere trat im Rahmen der Diskussion um den Jom-Kippur-Krieg zurück, während die Spionage-Affäre um Günter Guillaume der Anlass für Brandts Demission war. Obwohl kein Kausalzusammenhang zwischen diesen Ereignissen bestand, bildet auch das gleichzeitige Ende der zwei Regierungen eine Parallele zwischen der Geschichte Israels und der Bundesrepublik.

Finks Buch ist eine gelungene Gesamtdarstellung solcher Parallelen und der Beziehungsgeschichte. Es zeichnet sich dabei durch zwei Besonderheiten aus. Eine große Stärke besteht darin, dass das Buch auf einem beeindruckenden Quellenstudium aufbaut. Fink bezieht immer wieder Dokumente aus deutschen und israelischen, zum Teil auch aus französischen, US-amerikanischen, britischen und russischen Archiven mit ein. Während manche Aspekte des Buches Lesern deutschsprachiger Forschung etwa aus Daniel Gerlachs Studie von 2006 bekannt sein werden1, liefert Finks breite Quellenbasis auch einige neue Erkenntnisse, insbesondere zur Sicht israelischer Diplomaten und Regierungsvertreter auf die zwischenstaatlichen Beziehungen. Gleichzeitig, und hierin liegt die zweite Besonderheit, flicht Fink in jedem Kapitel Kontexte mit ein, die über bilaterale Beziehungen hinausgehen. Sie veranschaulicht, dass bei den Gesprächen zwischen Israel und der Bundesrepublik bildlich gesprochen immer auch andere im Raum waren: die USA und die Sowjetunion, die DDR, Westdeutschlands europäische Verbündete und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sowie arabische Staaten.

Die Schwerpunktsetzung des Buches birgt allerdings auch Probleme. Durch die Quellendichte lesen sich einige Passagen eher beschreibend als analysierend. Die Kapitel basieren weder auf einer übergreifenden Fragestellung noch auf einem Hauptargument. Ebenso wird die zeitliche Eingrenzung nur kurz im Vorwort thematisiert. Die Quellennähe führt an manchen Stellen auch zu ungenauen Beschreibungen. Die Proteste gegen den israelischen Botschafter Asher Ben-Natan an den Universitäten Frankfurt und Hamburg tauchen beispielsweise zweimal auf, einmal (korrekt) in der Beschreibung der Ereignisse des Sommers 1969 und ein weiteres Mal „early in 1968“ (S. 77). Dieser Irrtum beruht vermutlich auf einem Text Ben-Natans, in dem er selbst die Geschehnisse im Jahr 1968 anstatt 1969 verortet.2 Der versuchte Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin wird auf den 11. statt auf den 9. November 1969 datiert (S. 115). Ähnliche Probleme finden sich in der Darstellung arabischer und palästinensischer Politik. So erfahren die Leser, dass 1967 „wild rumours [...] in Cairo“ (S. 67) über die Höhe westdeutscher Zahlungen an Israel zirkulierten, wobei lediglich zwei westdeutsche Regierungsquellen als Nachweis angegeben werden. Zur Reise Hans-Jürgen Wischnewskis nach Jordanien im September 1970 liest man, dass Wischnewski mit einem Offiziellen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) namens „Abu Mayer“ zusammengekommen sei (S. 147), ein Name, der sich so wahrscheinlich im Tagebuch Wischnewskis findet. Hier wie an anderen Stellen hätte eine kritischere Lektüre der Quellen mithilfe neuerer Forschungsliteratur eine präzisere Analyse erlaubt.

Trotz dieser Einschränkungen bildet Carole Finks Studie einen wichtigen Beitrag zur deutsch-israelischen Geschichte. Das Buch bietet eine quellengesättigte Gesamtdarstellung für die Jahre von 1965 bis 1974, eine Zeit vieler wichtiger Veränderungen in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Nicht zuletzt führt Finks Buch mit dem Einbezug israelischer Quellen beispielhaft die Bedeutung von Archiven im Nahen Osten vor Augen – nicht nur für eine internationale Geschichte, sondern auch für die deutsche Zeitgeschichte.

Anmerkungen:
1 Daniel Gerlach, Die doppelte Front. Die Bundesrepublik und der Nahostkonflikt 1967–1973, Berlin 2006.
2 Asher Ben-Natan, Herausforderungen im Schatten der Geschichte, in: ders. / Niels Hansen (Hrsg.), Israel und Deutschland. Dorniger Weg zur Partnerschaft. Die Botschafter berichten über vier Jahrzehnte diplomatische Beziehungen (1965–2005), Köln 2005, S. 24–41, hier S. 36–38.

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