F. Germain u.a. (Hgg.): Black French Women and the Struggle for Equality

Cover
Titel
Black French Women and the Struggle for Equality. 1848-2016


Autor(en)
Germain, Félix; Larcher, Silyane
Erschienen
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
$40,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Aline Oloff, Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, TU Berlin

Die Schwarze Marianne in kämpferischer Pose auf dem Cover des vorliegenden Sammelbandes bringt das Anliegen der HerausgeberInnen und AutorInnen auf den Punkt: es geht um die De-Zentrierung der französischen Republik durch eine neue Erzählung ihrer Geschichte. Einer Geschichte, die hier als in die Gegenwart ausstrahlende verflochtene Geschichten der französischsprachigen Antillen, Westafrikas und Frankreichs vorgestellt wird. Der historische Bogen reicht von der endgültigen Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien im Jahr 1848 bis in die Gegenwart.

Das Besondere am vorliegenden Band ist, dass diese Geschichten entlang der Lebensgeschichten, des Aktivismus und der Erfahrungen Schwarzer Frauen erzählt werden. Damit wird eine Perspektive ins Zentrum der Betrachtungen gerückt, die in der Forschung zur Geschichte und Gegenwart des postkolonialen Frankreich bislang ausgespart war. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass die Thematisierung der Rolle Frankreichs im Black Atlantic und die Auseinandersetzung mit französischer (Post)Kolonialität überhaupt eine jüngere Entwicklung ist.1 Zu diesem wachsenden Forschungsfeld leistet der Band einen wichtigen Beitrag und sticht hierbei auch durch die Zusammensetzung der Beitragenden hervor. Bei den AutorInnen handelt es sich um afrikanische, karibische, amerikanische und französische WissenschaftlerInnen, die an Universitäten in Nordamerika, Frankreich und der französischsprachigen Karibik tätig sind. Der Band ist somit das Ergebnis einer bislang selten realisierten transatlantischen Zusammenarbeit, die vom Schwarzem Internationalismus als rebellischem Bewusstsein und gleichermaßen befreiendem Narrativ inspiriert sei, so die HerausgeberInnen in der Einleitung.

Der Band leistet aber auch einen immens wichtigen Beitrag zur Frauen- und Geschlechtergeschichte Frankreichs, die bislang auf das Hexagon fokussiert und eine ausschließlich weiße Erzählung war. Es wird die Präsenz Schwarzer Frauen in der Metropole seit dem frühen 19. Jahrhundert nachgezeichnet und dabei wird deutlich, welche bedeutende Rolle Frauen im Widerstand gegen das Kolonialregime spielten, sei es auf den Antillen oder aber in Westafrika. Weiterhin wird gezeigt, dass der kolonialen mission civilisatrice sehr spezifische Gendernormen zu Grunde lagen und dass die Inszenierung Schwarzer Frauenkörper nach wie vor eine wichtige Rolle in den Verhandlungen der französischen Identität als europäisch und weiß spielt.

Ein Teil der Beiträge stellt einzelne Personen ins Zentrum. So beschreibt Stéphanie Guyon am Beispiel der politischen Karriere von Christiane Taubira sowohl die Entwicklung von Französisch-Guayana seit der Departementalisierung im Jahr 1946 als auch die Entwicklung der französischen Mehrheitsgesellschaft, die seit der Jahrtausendwende mit der Erinnerung an Sklaverei und Kolonialgeschichte konfrontiert wird. Die Geschichte der französischsprachigen Antillen ab 1946 und die Verhandlungen des Status der ehemaligen Kolonien wird ebenfalls anhand einer prominenten Persönlichkeit entfaltet. Gerty Archimède war eine der ersten Schwarzen Abgeordneten in der Nationalversammlung und hat in ihrer langen politischen Karriere gegen das neokoloniale Regime der vierten Republik gekämpft. An ihrem Beispiel werden auch die Verbindungen zwischen den Antillen und Westafrika im antikolonialen Kampf deutlich.
Am Beispiel der Lebensgeschichte von Jean McNair wird wiederum die transnationale Reichweite von Schwarzem Aktivismus im 20. Jahrhundert greifbar. Jean McNair war eine Black Panthers Aktivistin, die Anfang der 1970er Jahre die USA verlassen musste und über Algerien nach Frankreich kam, wo sie nach Illegalität und Gefängnisaufenthalt schließlich politisches Asyl erhielt.

Zwei Beiträge widmen sich den Werken von Schriftstellerinnen aus der Karibik, die in den Zwischenkriegsjahren in Paris lebten und Teil der sich formierenden antikolonialen Bewegungen waren. Anhand von Texten von Suzanne Lascarde, Paulette und Jane Nardal sowie Roberte Horth werden die kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Stereotypen und das daraus entstehende afrikanisch diasporische Bewusstsein nachgezeichnet. In beiden Aufsätzen wird die Bedeutung dieser Stimmen in der négritude-Bewegung hervorgehoben, von der bislang vor allem die männlichen Protagonisten wie Aimé Césaire oder Léopold Senghor bekannt waren. Da sich die vorgestellten literarischen wie theoretischen Schriften dezidiert um Schwarze Frauen und deren von Kolonialismus, Rassismus wie Sexismus geprägten Erfahrungen drehen, werden sie zu recht als eine Thematisierung von Intersektionalität avant la lettre beschrieben. Der Feminismusgeschichte wird hier ein wichtiger Baustein hinzugefügt, da der sogenannte Black Feminism bislang vor allem im US-Amerikanischen Kontext verortet wird.

Um politische Handlungsfähigkeit und antikolonialen wie feministischen Aktivismus geht es in weiteren Beiträgen. Die vorgestellten Gruppen und Aktivitäten reichen vom Kampf der Schwarzen Bevölkerung in den Kolonialstädten Senegals um die volle Anerkennung als französische Staatsbürger im frühen 20. Jahrhundert und die Rolle von Frauen in diesem Kampf, über die Entstehung von Frauenbewegungen in Martinique und Guadeloupe seit den 1940er-Jahren oder Frauenorganisationen in Kamerun in den 1950er Jahren bis hin zu einem afrofeministischen Kollektiv im gegenwärtigen Frankreich.

Interessant sind auch die Auseinandersetzungen mit der Repräsentation Schwarzer Körper. Hier geht es zum einen um die mediale Präsenz der Körper Schwarzer Frauen und deren Inszenierung in zeitgenössischen Frauenzeitschriften. Zum anderen um die Geschichte Sarah Baartmans, die bereits häufig erzählt wurde, hier aber von Robin Mitchell auf interessante Weise mit der Revolution in St. Domingo und dem Verlust dieser ökonomisch und geopolitisch wichtigen Kolonie im Jahr 1804 sowie der Niederlage der napoleonischen Armee in Leipzig 1813 in Zusammenhang gebracht wird.
Die Figur Baartman war für die Selbstversicherung der französischen Identität in der Krise von enormer Bedeutung, so Mitchell überzeugend.

In der Gesamtschau leistet der Band einen überaus wichtigen Beitrag zur Erforschung der bis in die Gegenwart wirkenden Geschichte Frankreichs als Kolonialmacht. Durch die konsequente Perspektive auf die »Ränder« und auf subalterne Stimmen wird dabei die Frage, was es heißt, französisch zu sein, auf eindrucksvolle Weise neu gefasst. Weiterhin vermittelt der Band einen Eindruck von der Bedeutung transnationaler Verbindungen und Bezüge in der Formierung von antikolonialem Widerstand und Bürgerrechtsbewegung Mitte des 20. Jahrhunderts. Black als Selbstbezeichnung und politischer Begriff wird hier in seiner emanzipatorischen Bedeutung greifbar. Schließlich werden Frauen* als Akteurinnen und politische Subjekte sichtbar, die bislang sowohl aus der nationalen Erzählung wie auch der feministischen Erinnerung ausgeschlossen waren. Dem Buch ist eine breite Rezeption über akademische Kontexte hinaus zu wünschen!

Anmerkungen
1 Siehe beispielhaft Pascal Blanchard u.a. (Hrsg.), La fracture coloniale. La société française au prisme de l’héritage colonial, Paris 2005; Nicholas Bancel u.a. (Hrsg.), Ruptures postcoloniales. Les nouveaux visages de la société française, Paris 2010; Pap Ndiaye, La condition noire. Essai sur une minorité française, Paris 2008 sowie englischsprachig Tricia Danielle Keaton u.a. (Hrsg.), Black France/ France Noire: The History and Politics of Blackness, Durham 2012.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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