Cover
Titel
Populärkulturforschung: Eine Einführung.


Autor(en)
Maase, Kaspar
Reihe
Edition Kulturwissenschaft
Anzahl Seiten
290 S.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Markus Tauschek, Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Universität Freiburg

Kaspar Maase ist ohne jeden Zweifel einer der prominentesten und versiertesten Vertreter einer empirisch ausgerichteten Populärkulturforschung. Er stellt sich in die Tradition jener kulturanalytischen Forschungsrichtung, die populäre Kultur zunächst einmal anhand umfassenden historischen Wissens kritisch-reflexiv einordnet. Die Herausforderung besteht dabei darin, populäre Kultur analytisch zu fassen, während sie in alltagsweltlichen Diskursen mitunter normativ und hierarchisierend etwa in Abgrenzung zu einer angenommenen Hochkultur bewertet und bisweilen in kulturkritischer Manier diskreditiert wird. Schon zu Beginn seiner äußerst kenntnisreichen Einführung formuliert Maase hingegen zurecht kulturwissenschaftlich grundierte Bedenken gegen vorschnelle Attribuierungen populärer Kultur, die diese als flach oder gefährlich, als instrumentell oder seicht charakterisieren und gleichzeitig hochkulturelle Ausdrucksformen dagegen in Stellung bringen. Grundlegend für die von Maase vorgelegte Einführung in die Populärkulturforschung ist die These, populäre Kultur sei in Anlehnung an Foucault eine Technik des Selbst (S. 11). Eine solche Perspektivierung muss dann konsequenterweise populäre Kultur weniger als Artefakt oder Text begreifen, sondern in praxeologischer Denkweise danach fragen, wann in welchen konkreten Situationen in welchen dinglich-materialen Arrangements populäre Kultur – auch als Modus der Rezeption – erst entsteht. Diese Perspektive wiederum begreift Akteur/innen populärer Kultur im Sinne der Cultural Studies weniger als machtlose Rezipient/innen, sondern als reflexiv agierende Subjekte, die sich kulturelle Texte im Sinne Maases lustvoll und eigensinnig aneignen und damit auch spezifische Ziele wie Unterhaltung und Vergnügen verbinden.

Der Band hebt – was ihn auch jenseits der Populärkulturforschung als Standardwerk qualifiziert – mit kulturtheoretischen Überlegungen an. Denn Maase macht sich ganz in der Tradition einer empirischen Kulturanalyse für die Integration verschiedenster Theorieangebote in die ethnografisch-kulturwissenschaftliche Arbeit stark. So artikuliert er zurecht Vorbehalte bezüglich Theorien, die einen umfassenden Geltungsanspruch formulieren. Entsprechend legt sich die Einführung ganz bewusst nicht auf bestimmte theoretische Rahmen fest, sie referiert vielmehr dialogisch verschiedene Ansätze und klopft sie auf Anwendbarkeit und Brauchbarkeit für die Populärkulturforschung ab. Die Einführung setzt folgerichtig auf selbstbewusste Leser/innen und gibt sich geradezu bescheiden. Dies ist keineswegs ein Manko, sondern vielmehr eine der vielen Stärken des Bandes, der umfassend über zum Teil widersprüchliche Zugänge und Interpretationsansätze im Feld der Populärkulturforschung informiert. Dabei gelingt es Maase vorzüglich, nicht nur Ordnung in die inzwischen geradezu unüberschaubare Literaturlage der interdisziplinären Populärkulturforschung zu bringen, sondern auch eigene weiterführende Überlegungen zu formulieren. Deshalb ist der Band bei genauerer Lektüre auch weniger eine Einführung, sondern vielmehr ein Grundlagenwerk, das fruchtbare neue Perspektiven vorschlägt und an vielen Stellen programmatisch argumentiert.

Am nächsten an einer Einführung sind die ersten beiden Kapitel, die zu Beginn Ordnung in begriffliche Differenzierungen bringen. Hier referiert Maase Unterscheidungen zwischen Populärkultur und Popularkultur und stellt Forschungsarbeiten zum Pop-Begriff vor. Dass Maase hier „nur“ referiert, ist freilich eine Untertreibung. Denn ihm gelingt es hier, aus dem vermeintlichen Manko begrifflicher Unschärfen kulturwissenschaftliche Potenziale herauszudestillieren. Ebenso wie die Grenzen und Bewertungen populärer Kultur durchweg umstritten seien, unterlägen auch die wissenschaftlichen Zugänge und Interpretationsansätze einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Konsequenterweise argumentiert Maase hier, dass es kulturwissenschaftlicher Forschung nicht darum gehen kann, trennscharfe Definitionen populärer Kultur auszubuchstabieren, sondern den höchst disparaten Phänomenen auch durch immer wieder neue Operationalisierungen gerecht zu werden. Dies erfordert analytische Flexibilität und theoretische Offenheit. „PK [populäre Kultur; MT] und Popularität als unscharfe Begriffe einzusetzen heißt nicht, auf Präzision der wissenschaftlichen Sprache und möglichst klare Definitionen der verwendeten Instrumente und der vorgeschlagenen Deutungen zu verzichten. Das gilt besonders angesichts des gewaltigen Umfangs populärer Kultur, die Fernsehfußball ebenso einschließt wie Opernarien in den Charts, Mode und Egoshooter.“ (S. 25) Aus dieser Haltung heraus formuliert Maase dann weiterführende Fragen an vorliegende Definitionsansätze populärer Kultur: Welche Rolle etwa spielt die Quantifizierung (zugespitzt: wie groß müssen Auflagen oder Publika sein, um von populärer Kultur zu sprechen)? Wie ist das Publikum zu charakterisieren – gibt es spezifisch populärkulturelle Publika? „Muss sich PK von Hochkultur unterscheiden, gar abgrenzen? Und wenn ja, in welchen Dimensionen?“ (S. 26)

Maase weist hier darauf hin, dass die Beantwortung dieser Fragen keineswegs zu begrifflicher Klarheit führen könne. Vielmehr würden diese Fragen aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive für die Komplexität der Erforschung populärer Kultur sensibilisieren. Ziel müsse es sein, die in den Blick genommenen Phänomene – vom Werbespot über den Vereinsgesang bis zur Übertragung einer klassischen Oper im Kino – möglichst genau zu beschreiben und Analogien und Unterschiede offenzulegen. Gleichsam auf einer Metaebene ginge es darum, kontinuierlich zu reflektieren, welcher Erkenntnisgewinn darin liege, Phänomene als populär zu qualifizieren.

Genau diesen Ansatz verfolgt Maase dann in einem zweiten inhaltlichen Kapitel, das sich verschiedenen Theorieangeboten von der Kritischen Theorie über die Cultural Studies bis zur Symmetrischen Anthropologie widmet. Letztere erweist sich in Maases Einführung an vielen Stellen als argumentativ prägend. So plädiert Maase immer wieder dafür, populäre Kultur als Netz von Akteuren, Interaktionen und Dingen zu verstehen. Gleichzeitig weist Maase darauf hin, dass eine Konzeptualisierung populärer Kultur als Kollaboration menschlicher und nicht-menschlicher Akteure keinesfalls die ungleichheitskritischen Perspektiven à la Horkheimer und Adorno ersetze. Beide Perspektiven würden sich gleichermaßen als fruchtbar erweisen.

Im Zentrum der Einführung stehen zweifelsohne zwei Kapitel, die sich einerseits mit dem Kunstbegriff auseinandersetzen und populäre Kultur als Massenkunst begreifen und die andererseits ästhetische Praktiken im Kontext populärer Kultur diskutieren. Hier gibt sich Maases Einführung in besonderer Weise als innovativ und programmatisch. So sei es unabdingbar, ästhetische Qualitäten nicht in essentialisierender Weise etwa als werkimmanent zu begreifen. Vielmehr müsse es darum gehen, die „Wechselbeziehung zwischen Texteigenschaften einerseits, Praktiken und Qualitäten des erzeugten und erlebten Vergnügens andererseits“ (S. 121) in den Blick zu nehmen. Dabei bezieht sich Maase auf Hans-Otto Hügels Überlegungen zur Unterhaltung. Hügel berücksichtigt Rezeptionsvorgaben durch den kulturellen Text und die konkrete Form der Rezeption gleichermaßen. Als hilfreich erweisen sich insbesondere Maases Ausführungen zum Prozess der Aneignung wie auch jene zur ästhetischen Erfahrung und zum ästhetischen Erleben. Hier öffnen sich hingegen methodische und theoretische Fragen, die trotz Maases kluger Analyse offenbleiben. Zu fragen wäre etwa, ob und mit welchen methodischen Zugriffen (ästhetisches) Erleben in kulturwissenschaftlicher Forschung überhaupt greifbar wird. Schließlich könnte man einwenden, dass je nach Theorierichtung überhaupt nur die Erfahrungsebene (also etwa die in Interviewforschung erhebbare und damit zwangsläufig reflexiv gewendete Narration) empirisch fassbar ist.

Ein letztes inhaltliches Kapitel widmet sich schließlich der Frage, ob und wie populäre Kultur politisch ist. Das Kapitel hebt mit einer pointierten Kritik zu vorliegenden Forschungen an, die meist äußerst verkürzt auf der Basis ausschließlich kultureller Texte (etwa der Popmusik) Medieninhalte skandalisierten. Maase fordert, wie im ganzen Band, auch hier erneut eine genauere Analyse ein: „In der Realität einer heterogenen, pluralistischen Gesellschaft dienen Massenkünste schwerlich der erfolgreichen Formierung im Sinne bestimmter Interessen.“ (S. 201) Weder bedrohe populäre Kultur, wie Konservative häufig annähmen, politische und kulturelle Ordnungen. Noch treffe die eindimensionale linke Kritik zu, „mit einem Pauschalverdacht gegen den Mainstream der PK“ (S. 202). „Nicht nur das Schöne, auch das Politische liegt bei ästhetischen Phänomenen im Auge des Betrachters“ (ebd.), resümiert Maase. Gleichwohl schlägt er wertvolle Systematisierungen vor, die etwa populäre Kultur unter anderem als Spiegel politischer Prozesse oder als Ort und Instrument der Politisierung (etwa durch Formen der Skandalisierung) diskutieren. Es erscheint nur als folgerichtig, dass Maase sich hier auch mit Fragen der Ökonomie und der Kommerzialisierung auseinandersetzt.

Den Abschluss des Bands bildet ein knapper, dafür umso programmatischerer Ausblick. Für die Stoßrichtung der Einführung ist dieser Ausblick insofern zentral, als Maase hier noch einmal darauf hinweist, dass sich die bisherigen Überlegungen mit „westlicher“ Populärkultur, die Maase hier auch ganz bewusst in Anführungszeichen setzt, befasst haben. Im Ausblick weitet Maase dann aber den Blick und fragt nach globalen Vernetzungen, nach Formen des (überwiegend hegemonialen) Transfers oder nach nationalstaatlichen Logiken, die Maase konsequent hinterfragt: „Die Vorstellung, dass [...] Publika einheitlich, als Angehörige einer homogenen nationalen Kultur, gegenüber Fremdem reagieren, verfehlt die Kommunikationsrealitäten der Gegenwart.“ (S. 247) Die „[k]ulturelle Globalisierung populärer Kulturen“ (S. 249) vertiefter zu untersuchen sei eine wachsende Forschungsaufgabe. Eines der vielen Potenziale liege darin, über vergleichende Forschung schließlich auch mehr über die Spezifika „westlicher“ Populärkultur zu lernen. So schließt der Band mit einem durchaus als politisch zu charakterisierenden Plädoyer, das auch die Verantwortung der Populärkulturforschung deutlich markiert: „Bei all ihren Widersprüchen, Unzulänglichkeiten und auch antihumanen Ausprägungen: Moderne westliche PK enthält gerade mit Blick auf ihre ästhetischen Potenziale, auf die Massenkünste, viele Möglichkeiten zur Bereicherung wie zur Reflexion unserer Lebensführung. Deshalb hat es mehr Sinn, über ihre Verbesserung nachzudenken als über ihre Anziehungskraft zu klagen.“ (S. 250) Mit dieser Schlusssequenz ist schließlich artikuliert, dass Populärkulturforschung in gewisser Weise auch insofern interventionistisch sein sollte, als populäre Kultur immer Veränderungspotenzial und Aspekte des guten Lebens in sich bergen könne.

Kaspar Maase hat einen beeindruckenden Überblick zur Populärkulturforschung vorgelegt, der einerseits die Zugänge der empirischen Kulturwissenschaft stark macht und der diese andererseits äußerst produktiv mit bestehenden Ansätzen in einen weiterführenden Dialog bringt. Für Studierende mag der Band an einigen Stellen zu voraussetzungsreich sein. Für die Populärkulturforschung insgesamt aber schlägt er programmatische Pflöcke ein, die für zukünftige Forschungen neue Perspektiven ermöglichen. Dies gelingt dem Band auch insbesondere deshalb sehr gut, weil er einseitigen und verkürzenden Perspektiven konsequent eine Absage erteilt, divergente Perspektiven gleichberechtigt referiert und sie konstruktiv in eine genuin kulturwissenschaftliche Analyse integriert.