Cover
Titel
Servilia and her Family.


Autor(en)
Treggiari, Susan
Erschienen
Anzahl Seiten
XXIV, 378 S.
Preis
€ 111,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Imogen Herrad, Abteilung für Alte Geschichte, Universität Bonn

Die Frau, die Caesar zu fesseln und Cicero zum Schweigen zu bringen vermochte („The woman who enchanted Caesar and silenced Cicero“, S. 280), steht im Mittelpunkt der neuen Monographie von Susan Treggiari: Servilia, (Halb-)Schwester des jüngeren Cato, Mutter des Caesarmörders Brutus und zugleich Langzeitgeliebte des Dictators; eine Grande Dame aus der letzten Generation der römischen Republik, die deren Krise und Untergang nicht nur miterlebte, sondern zumindest zeitweilig auch mit gestaltete.

Treggiari will mit diesem Werk in erster Linie Historiker/innen ansprechen, aber auch Studierende und allgemeingebildete Interessierte (S. XII). An die beiden letztgenannte Gruppen richtet sich die nach dem Vorwort stehende Einführung („Servilia’s World“, S. 1–22), die einen Überblick über Geschichte und (politische) Kultur der späten Republik bietet. Acht chronologisch aufgebaute Kapitel (S. 23–216) zeichnen Servilias Leben nach, von ihren Vorfahren („Family“, S. 23–46) über die einzelnen Stationen ihres Lebens (Ehen, Kinder) bis hin zu den Brennpunkten der untergehenden Republik („The Ides and the Aftermath (44–)“, S. 183–216). Zwei weitere Überblickskapitel („Servilia’s Place in Society“, S. 217–250; und „Interactions“, S. 251–280), die einen allgemeineren Blick auf politisch agierende römische Aristokratinnen richten, runden den Hauptteil ab. Es folgen insgesamt sechs Anhänge; darunter besonders interessant Nr. 5 („Women in the British Political Class“, S. 292–297), der erhellende Vergleiche zwischen römischen und englischen Aristokratinnen des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts anstellt und dabei faszinierende Parallelen zwischen deren gesellschaftlichem und politischem Einfluss zeigen kann1, sowie abschließend ein Glossar, eine ausführliche Chronologie und mehrere Indices (S. 313–374).

Treggiari, die bereits Monographien über die römische Ehe2 und Sozialgeschichte3 sowie eine Biographie der Frauen um Cicero4 und zahlreiche Aufsätze zur antiken Sozial-, Politik- und Frauengeschichte vorgelegt hat, ist sich dabei sehr wohl der Schwierigkeiten bewusst, die das Vorhaben mit sich bringt, die Biographie einer antiken Person zu verfassen, über deren Leben Informationen nur bruchstückhaft und nur aus der Außensicht existieren. Dass die Autorin nie versucht, diese Probleme zu beschönigen, sondern immer wieder bewusst auf Wissenslücken und die daraus entstehenden Brüche in unserer Wahrnehmung verweist („[W]e have to realize how shaky is the ground on which we stand“, S. IX), ist zugleich eine der Stärken des Werkes und eine Quelle großer Frustration, nicht zuletzt für die Rezensentin. Wir wüssten gerne so vieles und können nur so wenig mit Bestimmtheit sagen.

Besonders über Frauen lässt sich sehr vieles nicht sagen. Treggiari hat ihre Arbeit von vorneherein als eine Art kollektive Biographie angelegt: Um „Servilia and her family“ soll es gehen, um die Frau und um ihr Umfeld. Es liegt in der Natur der Quellen, die bekanntlich fast ausnahmslos aus männlicher Feder stammen, dass wir oft über die Männer in Servilias Leben mehr wissen als über sie selbst. So agieren im Kapitel über Servilias Sohn („Brutus“, S. 145–160) dessen Tutor L. Staberius Eros, Servilias Bruder Q. Servilius Caepio und vor allem Brutus‘ Schwiegervater Ap. Claudius Pulcher (der ältere Bruder von Clodius und Clodia). Die eigentliche Hauptfigur der Biographie hingegen tritt erst im letzten Absatz auf S. 160 in Erscheinung („Where is Servilia in all this?“), und auch dann nur gewissermaßen unscharf in der Distanz. In Ermangelung bekannter Fakten muss Treggiari in den Konjunktiv ausweichen: „She may have regretted...“, „There may have been...“. Das tut sie durchweg sorgsam abwägend, auf der Basis ihres beeindruckenden Wissens; nie versucht sie, Spekulationen als Fakten zu verkleiden.

Der Erkenntnisgewinn liegt dabei nicht in neuen Informationen über die Aktivitäten politisch handelnder Römerinnen, sondern vor allem in der ungewohnten Sicht. Wir betrachten die bekannten Abläufe nicht aus dem Blickwinkel eines agierenden Cicero oder Caesar und auch nicht aus der Vogelperspektive der modernen Historikerin; stattdessen sehen wir all das, was Servilia sehen konnte und loten vorsichtig ihren potentiellen Aktionsrahmen aus. Was hätte sie tun können, was hat sie vielleicht getan, aus welchen Gründen mag sie agiert haben? So lassen sich die Möglichkeiten einer politisch interessierten römischen Aristokratin zumindest klarer umreißen; so kann man zumindest manchmal auf dem Stadtplan eine Stecknadel platzieren: Hier mag Servilia gewesen sein.

Am besten funktioniert das für die Zeit nach Caesars Ermordung, für die wir tatsächlich konkrete (wenn auch zumeist spärliche) Informationen über Servilias Handeln besitzen. Aus beiläufigen Erwähnungen in Ciceros Korrespondenz und zum Teil auch aus den Werken zeitgenössischer (Cornelius Nepos), vor allem aber späterer, kaiserzeitlicher Autoren (Appian, Plutarch) rekonstruiert Treggiari in einem plausiblen und dichten Gefüge das politische Geschehen in Rom. In Abwesenheit der Caesarmörder Cassius und Brutus agieren deren Angehörige: für Brutus seine Mutter Servilia und seine zweite Ehefrau Porcia (Catos Tochter und damit Servilias Nichte) – eine Zwangsallianz übrigens, wenn man Treggiaris Lesart folgt, dass die beiden Frauen einander nicht grün waren („A clash of two strong personalities, both jealous of their influence with Brutus, is highly plausible.“, S. 178). Für Cassius agierten seine Ehefrau Iunia und seine Schwiegermutter – Servilia. Treggiaris detaillierte Rekonstruktion macht deutlich, wie einflussreich – und in den turbulenten Wochen und Monaten nach der Ermordung des Dictators sicherlich auch: wie mächtig – Servilia war.

Hilfreich sind der systematische Überblick und Vergleich politischer Machtmittel und Einflussmöglichkeiten, die männlichen und weiblichen Mitgliedern der Elite auch in geregelteren Zeiten offenstanden, gefolgt von anregenden Überlegungen zur Verflechtung von gratia und beneficium und den daraus erwachsenden gesellschaftlichen und politischen Ressourcen, „gratitude, influence, power and authority“ (S. 225): die Grauzone zwischen Macht und Einfluss also, die in Rom beiden Geschlechtern offenstand. Dies zeigt ein Vergleich, den Treggiari mit Ciceros (gesellschaftlichen) Einflussmöglichkeiten während Caesars Diktatur zieht: „We might see his influence as a patron as comparable with that of a well-placed and intelligent senatorial woman.“ (S. 228) Zugleich wird hier aber auch deutlich, welche Bereiche einer politisch ehrgeizigen Frau praktisch immer (von ganz wenigen Ausnahmen wie Fulvia abgesehen) verschlossen blieben: Nicht umsonst reden wir bei allem Networking und aller indirekten Einflussnahme von Ciceros politischer Untätigkeit, klagt er selber in diesen Jahren darüber, dass er nicht auf dem Forum und im Senat wirken kann (siehe beispielsweise Cic. Att. 12.23.5).

Susan Treggiari hat eine anregende und kluge Biographie einer reichen, kultivierten, ehrgeizigen und einflussreichen römischen Aristokratin verfasst. Darin führt sie uns nicht nur plastisch vor Augen, welche Freiräume hochgestellten Frauen offenstanden (und welche nicht); sie zeigt auch, wie Servilia, Porcia, Iunia und andere vorgingen, um ihre Ziele – und das hieß in Rom immer auch: die Ziele ihrer Angehörigen, der Familie – zu erreichen. Vor allem aber macht „Servilia and her family“ deutlich, dass Politik in Rom immer auch Familiensache und damit eben auch Frauensache war.

Anmerkungen:
1 Damit widerlegt sie, m.E. überzeugend, Tom Hillards Position in Hillard, Republican Politics. Women and the Evidence, in: Helios 16 (1989),165–182.
2 Dies., Roman Marriage. Iusti coniuges from the time of Cicero to the time of Ulpian, Oxford 1991.
3 Dies., Roman social history, London 2002.
4 Dies., Terentia, Tullia and Publilia. The women of Cicero’s family, London 2007.

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