Cover
Titel
Humanitarianism and Media. 1900 to the Present


Herausgeber
Paulmann, Johannes
Reihe
New German Historical Perspectives 9
Erschienen
New York 2019: Berghahn Books
Anzahl Seiten
X, 305 S.
Preis
$ 130.00; £ 92.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karolin Wetjen, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Kassel

Wie beeinflussten Medien die Wahrnehmungen von humanitärem Engagement und wie nutzten Hilfsorganisationen mediale Darstellungen? Solche und weitere Fragen greift der von Johannes Paulmann (Mainz) herausgegebene Sammelband in historischer Perspektive auf. Beginnend mit dem Beispiel christlicher Mission in der Mitte des 19. Jahrhunderts spannen die insgesamt zwölf Beiträge einen Bogen bis heute und lassen einen umfassenden Blick auf die Entwicklung des Zusammenspiels von Medien und humanitärem Engagement zu. So wird auch die technische Entwicklung der Medienlandschaft von Fotografien bis hin zu Film und Fernsehen berücksichtigt und die Professionalisierung in der Medienlandschaft nicht nur bei Hilfsorganisationen einbezogen. Während im ersten Teil des Bandes die mediale Repräsentation von der Notwendigkeit zur Hilfe bzw. dem erfolgten humanitären Engagement selbst im Mittelpunkt steht, nimmt der zweite Teil die weite Definition von Medien ernst, wie Paulmann sie in der Einleitung formuliert: Demnach seien Medien sowohl ein konkretes Medienprodukt als auch Organisationen und Institutionen, die Medienerzeugnisse produzieren und verteilen; analysiert wird dementsprechend die Nutzung von Medien durch humanitäre Organisationen.

Die Beiträge in beiden Teilen basieren auf intensiven Archivrecherchen zu den vorgestellten Fallstudien, die durch kluge theoretische Überlegungen fruchtbar gemacht werden. Mehrere Autoren plädieren dafür, gängige Lesarten humanitärer Medien – wie beispielsweise diejenige Susan Sontags1 – durch eine sorgfältige Analyse zu hinterfragen, die nicht nur das Medienprodukt selbst, sondern auch den historischen Kontext berücksichtigt. Dadurch würde deutlich, so der Herausgeber in seiner konzeptionell angelegten Einleitung, wie sehr die Geschichte von humanitärem Engagement und Medien ineinander verwoben und gleichzeitig abhängig von politischen Entwicklungen, Konflikten, Machtungleichheiten sowie lokalen, nationalen und internationalen Debatten sei.

Den auch zeitlichen Auftakt des Bandes bildet der Beitrag Katharina Stornigs, die Kinderfotografien, wie sie in katholischen Missionsmedien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zirkulierten, in den Kontext erfolgversprechender und wirksamer Missionierung einbettet. Die Kinderfotografien, die zwar eine wirtschaftlich schwache, aber dennoch für die Verbreitung des Glaubens besonders vielversprechend scheinende und für die Mission wichtige Personengruppe zeigten, trugen durch ihre Medialität und Verfügbarkeit zu einer besonderen Verbindung von „Helfenden“ und „Bedürftigen“ bei.

Rose Holmes widmet sich ebenfalls Fotografien hilfsbedürftig gewordener Kinder. Sie untersucht deren Einsatz durch britische Hilfsorganisationen während der Zeit des spanischen Bürgerkriegs und beobachtet wie Stornig, dass bei diesen Fotografien nicht nur die Hilfsbedürftigkeit der Kinder, sondern auch deren Würdigkeit, Hilfe zu empfangen, sowie die Wirkung dieser Hilfe im Vordergrund standen. Es sei also nicht allein darum gegangen, schockierende Bilder hungernder und notleidender Kinder zu verbreiten, auch wenn solche Bilder bisher von der Forschung überwiegend so wahrgenommen wurden. Holmes plädiert dementsprechend dafür, bei der Analyse von humanitären Fotografien die Kontexte und Diskurse sichtbar zu machen, die die gezielte Auswahl der Fotografien in den Medien der Hilfsorganisationen bestimmten.

Hilfsorganisationen bzw. Fotograf/innen und Filmschaffende, die für humanitäre Zwecke arbeiteten, wählten bewusst Motive und deren Verbreitungsmedien aus. So fokussierten beispielsweise, wie Daniel Palmieri zeigt, die Filme des International Committee of the Red Cross (ICRC) die Helfenden, um dadurch Solidarität und Spendenbereitschaft anzuregen. Auch Ulrike Weckel betont in ihrem Aufsatz, in dem sie britische Filme über den Nazi-Terror analysiert, dass es wichtig sei, die Kontexte der Entstehung dieser Filme zu berücksichtigen. So seien diese Filme, denen häufig vorgeworfen wird, die Würde der Opfer nicht genügend zu berücksichtigen, vielmehr vor dem Hintergrund ihrer Entstehung und ihres Einsatzes zu sehen: Die Filme sollten didaktisch auf die deutsche Öffentlichkeit wirken und diese über die Nazi-Verbrechen aufklären; dass es dabei eher zu einer Universalisierung der Opfer gekommen sei, anstatt Juden als die Hauptopfergruppe zu betonen, füge sich, so Weckel, in diese Intention ein.

Wie sehr die intendierte Rezeption der Bilder und Filme für deren Produktion und Verbreitung wichtig war, macht Paul Betts deutlich. Er zeigt anhand von Fotografien des zerstörten Nachkriegsdeutschlands, dass gerade die Bilder der notleidenden deutschen Bevölkerung dazu beitrugen, dass sich in der britischen Öffentlichkeit eine Form des Mitleids gepaart mit Überlegenheitsgefühlen etablierte. Dadurch wurde die Vorstellung einer universalen Menschenwürde beförderte. Letztere greift auch Tobias Weidner in seinem Beitrag auf. Der Historiker analysiert am Beispiel der Ausstellung „The Family of Man“ im Museum of Modern Art (1955) die Entstehung und Konstruktion eines „human gaze“, einer spezifischen, fotografischen Darstellung von Menschlichkeit.

Während die Beiträge des ersten Teils somit auf konkrete Medienprodukte eingehen, steht im zweiten Teil die gezielte Nutzung von Medien durch humanitäre Organisationen im Mittelpunkt der Analyse. So fokussiert Heike Wieters die „Freedom from Hunger Campaign“ und deren vielfältiges Zusammenspiel mit anderen national agierenden Hilfsorganisationen. Valerié Gorin analysiert zwei politische Kampagnen zur Entwicklungszusammenarbeit in den 1960er- und 1980er-Jahren und kann dabei zeigen, wie Nichtregierungsorganisationen in diesem Zeitraum zu wichtigen Playern auf dem internationalen Politikparkett wurden.

Welche Macht Medien auf die Sichtbarkeit und Durchschlagskraft humanitärer Arbeit ausübten, analysiert schließlich Patrick Merziger. Presse und Fernsehen nahmen demnach in den 1970er-Jahren verstärkt Einfluss darauf, welche Ereignisse in der Bundesrepublik als humanitäre Desaster gesehen wurden. Bis in die 1990er-Jahre hätten humanitäre Organisationen massiv von der medialen Aufmerksamkeit auf humanitäre Katastrophen profitiert.

Dass diese Entwicklung jedoch innerhalb der Organisationen nicht kritiklos ablief, zeigt der äußerst lesenswerte Beitrag Mathias Kunerts über eine der wohl einflussreichsten und bis heute bekanntesten medialen Einflussnahmen auf humanitäre Katastrophen. Er beschreibt den Erfolg des Projekts Band-Aid um Bob Geldof im Zusammenhang mit der äthiopischen Hungerkrise 1984/85 und setzt sich auf Basis organisationsinterner Quellen mit dem Phänomen des „celebrity humanitarianism“ auseinander.

Besondere Aufmerksamkeit verdient zudem der Beitrag Ilana Feldmanns, weil er der einzige in dem Band ist, der eine nichtwestliche Organisation in den Blick nimmt. Mittels einer Auswertung der Publikationen der palästinensischen Organisationen Samed und der Palestine Red Crescent Society fragt sie nach der Verbindung von humanitärem Engagement, Medien und nationaler Befreiungsbewegung. Maria Kyriakidous widmet sich schließlich explizit der Rezeption von Medien und deren Folgen oder Nichtfolgen für humanitäres Engagement im heutigen griechischen Sprachraum.

Insgesamt lässt sich der über weite Strecken sehr gut lesbare Band als wichtiger Beitrag zu einer Geschichte humanitären Engagements beschreiben. Den Beitragenden ist es gelungen, Theorieangebote der Medien- und Kommunikationswissenschaft für eine historische Analyse fruchtbar zu machen und zudem methodische Anregungen für die historische Bild- und Filmanalyse zu bieten. Das übergreifende Plädoyer, vereinfachende Narrative oder Erklärungsweisen im Umgang mit Medien und humanitären Engagement zu hinterfragen und stattdessen der Komplexität des Einzelfalls Rechnung zu tragen, kann überzeugen.

Lediglich punktuell bleiben noch Wünsche offen: Für eine breitere Leserschaft, die dem Buch sicherlich zu wünschen wäre, fehlen in den Case Studies häufig genauere Charakterisierungen zur Zielsetzung und Mitgliederstärke der besprochenen Organisationen. Hier hätten einige Sätze mehr bei Leserinnen und Lesern, die sich dem Forschungsfeld erst annähern, sicher zum besseren Verständnis beigetragen. Zu bedauern ist auch, dass lediglich ein Beitrag ein nichtwestliches Beispiel wählt. So wird der westliche mediale Blick auf die Welt – und auf die „Hilfebedürftigen“ – nur selten reflektiert. Welchen Einfluss koloniale Bilderwelten auf mediale Darstellungen humanitären Engagements bzw. die Entwicklung der „westlichen Bilderwelt“ von Humanität nahmen und hier nachwirkten, kommt lediglich am Rande zur Sprache.

Auch für weitere Forschungen bleibt noch Raum: So wäre etwa nach Resonanzen der medialen Darstellung humanitären Engagements bei den Betroffenen, also den als hilfsbedürftig bzw. bemitleidenswert charakterisierten Personen zu fragen. Wie veränderten sich hier Narrative und Bilderwelten humanitären Engagements und welche Rückwirkungen ergaben sich aus dem komplexen Zusammenspiel von Medien und Hilfsorganisationen?

Anmerkung:
1 Susan Sontag, Regarding the Pain of Others, London 2004.