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Title
The Conquest of Ruins. The Third Reich and the Fall of Rome


Author(s)
Hell, Julia
Published
Extent
XIV, 618 S.
Price
$ 35.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Matthias Willing, Marburg

Das Römische Reich prägten über Jahrhunderte die Kulturen des Mittelmeerraums und der angrenzenden Gebiete. Als historische Formation forderte es aufgrund seiner fundamentalen Bedeutung immer wieder zu intensiven Reflexionen heraus. In der vorliegenden Studie lenkt Julia Hell, „professor of German“ an der Universität von Michigan (USA), den Blick auf die Rezeption der Ruinen des antiken Großreichs. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, „to reconstruct and analyze the long afterlife of the Roman Empire as Western Europe’s history of neo-Roman mimesis“ (S. 2). Die Autorin gliedert ihre umfangreiche „ruinography“ (S. 4) in ein halbes Dutzend Hauptkapitel, die chronologisch angeordnet sind und den Zeitraum von der imperialen Ausdehnung Roms bis zum Ende der nationalsozialistischen Ära umfassen. Die Thematik des interdisziplinären Diskurses geht dementsprechend weit über den Gegenstand des Untertitels hinaus. Zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen erhöhen die Anschaulichkeit. Die wissenschaftlichen Nachweise werden in einem elaborierten Endnotenapparat sowie einer 40-seitigen Bibliografie geliefert. Ein kommentierter Index zu Personen, Fachbegriffen und Geografie sowie „Conclusions“ erleichtern die Orientierung.

Der erste Teil von „The Conquest of Ruins“ wendet sich dem antiken Rom zu. Zum Auftakt dienen die Historien des Polybios dazu, anhand der Zerstörung Karthagos im Dritten Punischen Krieg (149–146 v.Chr.) aufzuzeigen, wie die Siegerin die Trümmer der Handelsmetropole instrumentalisierte und den Status als unumstrittene Großmacht festigte. Nach der Beseitigung der langjährigen Rivalin ging Rom daran, die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeerraum durch monumentale Prachtbauten zum Ausdruck zu bringen. Anschließend zeichnet die Monografie den Wandel dieses Bildes in der post-augusteischen Zeit nach, indem Werke von Vergil, Lucan, Josephus, Pausanias, Paulus und Tertullian untersucht werden. Insbesondere die Katechon-Vorstellungen der christlichen Schriftsteller werden als Ausdruck einer Roma aeterna gedeutet, als Sehnsucht nach dem ewigen Rom jenseits des irdischen Lebens und dem Fortbestehen des antiken Imperiums. Der zweite Abschnitt setzt rund 1000 Jahre später ein: Am Beispiel der Expedition nach Tunis und des Einzugs in die „ewigen Stadt“ durch den Habsburger Karl V. 1535 möchte Hell aufzeigen, wie der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches an die Res Gestae Divi Augusti anknüpfte und die Grenzen zwischen antiker Vergangenheit und der Gegenwart zu verwischen suchte.

Wie sehr die Adaption römischer Ruinen in der Moderne die epochalen und nationalen Dimensionen zu sprengen vermochte, demonstriert der dritte Teil der Analyse. Im Mittelpunkt stehen James Cooks zweite Reise in die Südsee sowie die französische Expansion in Nordafrika unter Napoleon I. Beide Ereignisse verkörpern die sekundäre Phase imperialer Ausdehnung, die weit über das Ende des 18. Jahrhunderts hinausreichte und von der Autorin bis in das 20. Jahrhundert fortgeführt wird. Die zentrale Matrix der Rezeption bilden die Werke der Historiker Johann Gottfried Herder und Edward Gibbon, des orientalisch und philosophisch gebildeten Reisenden Constantin François de Volney, des deutschen Schriftstellers Georg Forster, des neoklassizistischen Malers William Hodges und des vielseitigen Essayisten Louis Bertrand. Aber auch eindrucksvolle Gemälde und Kupferstiche von Giovanni Battista Piranesi, Emil Nolde oder Gustave Doré finden Berücksichtigung und schlagen den Bogen zu den Barbarenbildern, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet wurden. Hell bilanziert: „These modern acts of imperial mimesis and their ruinous imaginaries, centered on the Roman stage, thus continued to thematize and visualize the tensions at the heart of neo-Roman imperial mimesis“ (S. 139).

Das vierte Kapitel richtet den Fokus auf Deutschland. Werke des Philosophen Johann Gottlieb Fichte, „Die Hermannsschlacht“ Heinrich von Kleists, die Ruinen-Gemälde des Malers Caspar David Friedrich sowie die Bauten Karl Friedrich Schinkels werden als Ausdruck einer anti-napoleonischen Bewegung interpretiert. In diesem Sinne wird der Triumph der Germanen gegen die eindringenden Römer zum Vorbild des nationalen Widerstandes gegen Frankreich erhoben. Theodor Mommsens „Römische Geschichte“ und der weit verbreitete Roman „Ein Kampf um Rom“ von Felix Dahn firmierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Ausdruck einer ideologischen Transformation weg vom nationalen „Freiheitskampf“ hin zu einem gegenwartsbezogenen Imperialismus. Über Friedrich Nietzsche heißt es, er „was the Kaiserreich’s theorist of neo-Roman mimesis in the modernist mode“ (S. 241). Am Ende der Betrachtung erörtert Hell die Konzeptionen von Vertretern der sogenannten konservativen Revolution. Neben dem Geografen Friedrich Ratzel kommt die Kritik der westlichen Zivilisation zum Ausdruck, wie sie von Oswald Spengler in dem Bestseller „Der Untergang des Abendlandes“ formuliert wurde.

Der fünfte Teil löst die Aussage des Buchuntertitels ein und spürt den Zusammenhängen zwischen Nationalsozialismus und dem Untergang des Römischen Reichs nach. Dabei wird wiederum eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Personen und Disziplinen ausgewertet. Gleich zweimal ist die Rom-Visite Adolf Hitlers 1938 unter dem Motto „The Führer as Ruin Gazer“ (S. 378) Thema, die aus Anlass des 2000-jährigen Geburtstags von Kaiser Augustus erfolgte. Zurecht wird festgestellt, dass die Nazis in extremer Form an das antike Großreich anknüpften und es in ihrer Imitation an Pracht übertreffen wollten. Abzulesen sei dieses Bestreben auch an den Planungen für die neue Hauptstadt „Germania“ und anderen Monumentalbauten, die der Architekt Albert Speer verwirklichen sollte. Neben die Verehrung Roms trat die Bewunderung für die Germanen und die Konzeption eines Riesenreiches, die sich beispielsweise in Heinrich Himmlers berüchtigter „Posen Speech“ aus dem Jahr 1943 erkennen lässt. Die Überhöhung des antiken Sparta durch Gottfried Benn findet ebenso Berücksichtigung wie die Hellas-Glorifizierung durch den Olympia-Film der Regisseurin Leni Riefenstahl.

Die herausragende Bedeutung des römischen Imperiums für das „Dritte Reich“ unterstrichen nicht nur die Publikationen des Althistorikers Helmut Berve und des Klassischen Archäologen Gerhart Rodenwaldt. Auch Schriften von Johannes Stroux, Carl Weickert, Wilhelm Weber sowie Joseph Vogt sorgten für eine Wiederbelebung eines neo-römischen Imperialismus in der NS-Zeit. Angestrebt worden sei „A German Reich from the Atlantic to the Urals“ (S. 327). Dass „classicists“ mit historischen Vergleichen die Rassenlehre bedienten, lasse unter anderem das altertumswissenschaftliche Gemeinschaftsunternehmen „Rom und Karthago“ aus dem Jahr 1943 erkennen.1 Der sechste Abschnitt geht erneut auf Verfechter der „konservativen Revolution“ ein und behandelt ausführlich den Katechon Carl Schmitts, dem Überlegungen des Philosophen Martin Heidegger gegenübergestellt werden. Wie viele andere redeten sie dem „Abendland“ das Wort, hinter dem die Idee stand, das Deutsche Reich als letzten Retter der europäischen Zivilisation gegen die „Barbaren“ zu präsentieren. Ein Ausblick auf provozierende Fotografien mit antiken Ruinen des zeitgenössischen Künstlers Anselm Kiefer beschließt die Monografie.

Die vorliegende Studie widmet sich mit den römischen „ruin gazer scenarios“ einem originellen Thema, zu dessen Analyse geistesgeschichtliche Entwicklungslinien in West-Europa über einen Zeitraum von rund zwei Jahrtausenden aufgefächert werden. Die zutage tretenden Modelle und Theorien sind komplex, interdisziplinär und international ausgerichtet. Da auf den unterschiedlichsten Ebenen und in diversen Epochen argumentiert wird, stellt das Werk eine anspruchsvolle Lektüre dar. Hell erweist sich dabei als exzellente Kennerin von großen europäischen Intellektuellen aus Literatur, Philosophie, Psychologie, Politik, Altertumsforschung, bildender Kunst und Kultur. Die chronologischen Mustern geschuldete Struktur des Buches mündet in die neo-römischen Imitationen des Nationalsozialismus und verdeutlicht deren Wurzeln in Konzeptionen des Deutschen Kaiserreichs. Letztendlich bestätigte „The Conquest of Ruins“ die pointierte Beobachtung des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt: „Rom ist an allen Enden die bewusste oder stillschweigende Voraussetzung unseres Anschauens und Denkens“.2

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Michael Sommer / Tassilo Schmitt (Hrsg.), Von Hannibal zu Hitler. „Rom und Karthago“ 1943 und die deutsche Altertumswissenschaft im Nationalsozialismus, Darmstadt 2019.
2 Jacob Burckhardt, Historische Fragmente. Hrsg. von Emil Dürr, Nördlingen 1978, S. 18.

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