R. Engeln: Uransklaven oder Sonnensucher?

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Titel
Uransklaven oder Sonnensucher?. Die sowjetische Aktiengesellschaft Wismut in der SBZ/DDR 1946-1953


Autor(en)
Engeln, Ralf
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen A, Darstellungen 19
Erschienen
Anzahl Seiten
297 S.
Preis
€ 37,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Burghard Ciesla

Bis 1990 wurden im Osten Deutschlands 221.000 Tonnen Uran gefördert. Die DDR gehörte damit nach den USA (bis 1990: 330.000 Tonnen) und Kanada (bis 1990: 231.000 Tonnen) zu den bedeutendsten Uranproduzenten der Welt.
Begonnen hatte alles 1946: Eine Einheit des sowjetischen Geheimdienstes begann im Erzgebirge mit dem Abbau von Uran. Am 10. Mai 1947 kam es durch eine Verordnung des Ministerrates der UdSSR schließlich zur Bildung der Aktiengesellschaft (AG) Wismut. Die Bezeichnung nach dem eher harmlosen Element „Wismut“ diente lediglich der Tarnung und sollte die eigentliche Aufgabe des Unternehmens verschleiern. Die AG Wismut besaß für die Absicherung der sowjetischen Atomrüstung höchste strategische Priorität und nahm von Anfang an eine Sonderstellung ein. In der Anfangsphase trug die Organisation des Uranbergbaus Züge des sowjetischen Straflagersystems (Gulag), aber sehr bald trat das Repressivsystem mehr und mehr in den Hintergrund, da durch Zwangsmaßnahmen die erhofften Produktionsleistungen nicht durchgesetzt werden konnten.
Der sowjetische Einfluss blieb bis zum Ende der DDR bestimmend.

Diese Anfangsgeschichte des Unternehmens erzählt der Bochumer Wirtschaftshistoriker und freie Journalist Ralf Engeln. Auf der Basis von Aktenbeständen des Bundesarchivs, der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv sowie des Staatsarchivs Dresden legt Engeln eine detaillierte und den Forschungsstand bereichernde sozial- und wirtschaftshistorische Studie über den Uranbergbau in der SBZ/DDR zwischen 1946 und 1953 vor. Er ergänzt das Quellenmaterial mit Zeitzeugeninterviews und beendet seine Untersuchung mit der Umwandlung der AG Wismut in eine gemischte Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft ab 1954.

Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile:
Im ersten Teil („Der Krieg als Vater des Strukturwandels“: S. 25-58) skizziert Engeln die Geschichte des Uranbergbaus, die Grundlinien der Atomforschung und die Entwicklungsgeschichte der ersten Atombomben in den USA und der Sowjetunion. Hiervon ausgehend wird auf die Entstehung der Uranförderung im Süden der SBZ/DDR eingegangen und erläutert, welche außerordentliche Bedeutung die Uranförderung im Erzgebirge, Thüringen und im Vogtland für die Nuklearrüstung der Sowjetunion erlangte. Immerhin lag der Anteil des von der AG Wismut geförderten Urans am gesamten Uranaufkommen des sowjetischen Machtbereiches (neben der Sowjetunion selbst, der Tschechoslowakei, Polen und Bulgarien) zwischen 1947 und 1950 bei 70 bis 75 Prozent. Doch dafür musste die SBZ/DDR einen immensen Preis zahlen, da die AG Wismut als Reparationsbetrieb entstand und die Kosten für den Uranbergbau die Deutschen allein zu tragen hatten.

Danach werden von Engeln die Grundzüge der Unternehmensgeschichte der AG Wismut aufgezeigt. Ein erstaunliches betriebliches Gebilde nach dem Muster eines planwirtschaftlichen Riesenkombinates tritt hervor: Neben den eigentlichen Abbau- und Aufbereitungsbetrieben gab es zahlreiche Betriebe für Bergwerksanlagen, für verschiedenste technische Ausrüstungen, Bergarbeiterbekleidung bis hin zu Wohnungsbaubetrieben. Beinahe alles, was das Unternehmen benötigte, konnte in den zur Wismut gehörenden Betrieben hergestellt werden. Dazu kamen eine wismuteigene Polizei, eine eigene Gerichtsbarkeit, eine auf das Unternehmen ausgerichtete Infrastruktur, eine Handelsorganisation, ein Feriendienst, soziale Einrichtungen und eine Wismut-Sozialversicherungskasse. Nicht von ungefähr nannte der Volksmund die AG Wismut sehr bald einen „Staat im Staate“.

Der zweite Teil („Uransklaven und Sonnensucher“: S. 61-145) fokussiert die Rekrutierung von Arbeitskräften für den Uranbergbau und die Beschäftigtenentwicklung im Unternehmen. In diesem Teil werden sowohl die erheblichen Belastungen des Arbeitsmarktes in der SBZ/DDR untersucht als auch die Auswirkungen des Arbeitskräftetransfers im ursprünglich ländlichen Ausdehnungsgebiet der Uranförderung aufgezeigt. Die Rekrutierung der Arbeitskräfte für die AG Wismut nahm vor allem sehr schnell eine gesamtzonale Dimension an und der Uranbergbau „entwickelte sich zum größten Industrialisierungsprojekt nicht nur der SBZ/DDR, sondern ganz Deutschlands seit dem Aufschwung des Ruhrgebietes im vergangenen Jahrhundert“ (S. 144). Immerhin waren am Ende der vierziger Jahre mehr als 200.000 Menschen im Uranbergbau beschäftigt. Diese Zahl verdeutlicht aber auch exemplarisch, dass sich der Uranbergbau zu einem irrationalen Störfaktor für den gesamten ostdeutschen Arbeitsmarkt entwickelte. Die Zwangseinweisungen von Arbeitskräften in den ersten Jahren des Bestehens der AG Wismut wurden von Seiten des Unternehmens zudem sehr bald als kontraproduktiv angesehen. Vielmehr suchten die Werber motivierte Arbeitskräfte und vor allem Fachleute. Zu diesem Zweck kam es ab 1948 zur Reduzierung des Einsatzes von Zwangsinstrumenten, und es wurden verstärkt lohnpolitische Anreize und andere Vergünstigungen geboten. Einen großen Anteil an den Beschäftigten hatten Vertriebene und Heimkehrer, deren berufliche und soziale Integration im Uranbergbau schneller als andernorts in der SBZ/DDR erfolgte. Ohne die Vertriebenen und heimatlosen Heimkehrer, so Engeln, wäre der Uranbergbau im Osten Deutschlands nicht oder nur als riesiges Straflager nach sowjetischem Vorbild (Gulag) denkbar gewesen.

Im dritten Teil des Buches („Staat im Staate“: S. 149—260) widmet sich der Autor den innerbetrieblichen Beziehungen in der AG Wismut zwischen 1946 und 1953. Seine wesentlichen Forschungsfragen lauten: Welche Rolle spielten die SED, die Gewerkschaft und staatliche Institutionen? Inwieweit konnten die Beschäftigten ihre Interessen direkt vertreten? Wie entwickelten sich die Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die Standards im Arbeits- und Gesundheitsschutz? Davon ausgehend untersucht er besonders die Entwicklungsprozesse im Bereich der Lohnpolitik und der Wettbewerbsbewegung. In diesem Zusammenhang behandelt Engeln auch die Rolle der Betriebsräte und die Eskalation des Lohnkampfes im Rahmen der Ereignisse des Aufstandes vom 17. Juni 1953.

Was die sozialpolitischen Maßnahmen betrifft, zeigt der Autor, wie sich seit dem Ende der vierziger Jahre in diesem Bereich beachtliche Entwicklungen vollzogen. Neben dem Feriendienst wurden beispielsweise gezielt Mittel in die medizinische Versorgung gesteckt. Gab es 1948, dem Jahr der Gründung der Sozialversicherungskasse der AG Wismut, zwei Polikliniken und fünf Ambulatorien, so hatte sich deren Zahl im Jahre 1952 auf 16 Polikliniken, 15 Ambulatorien und neun Bergarbeiterkrankenhäuser erhöht (S. 166). Die verstärkte Eröffnung solcher Einrichtungen deutet aber zugleich auf noch ganz andere Probleme: Den Umgang mit radioaktiver Strahlung und die mangelnde Arbeitssicherheit. Massenunfälle waren in den frühen Jahren an der Tagesordnung. Darüber hinaus wurde auf der Jagd nach Spitzenleistungen an gesundheitsschädigenden Produktionspraktiken wie dem Trockenbohren (Staubentwicklung) festgehalten. Als man letzteres Mitte der fünfziger Jahre verbot, war es für viele Bergleute längst zu spät: Von den bekannt gewordenen 8.000 Bronchialkarzinomfällen ging der überwiegende Teil auf die unzureichende Grubenbewetterung in den Anfangsjahren des Uranbergbaus zurück (S. 247-253).

Freilich erscheint manche Einschätzung von Ralf Engeln als überzogen. In den Schlussbetrachtungen geht er beispielsweise noch einmal auf die Rolle des Generaldirektors der AG Wismut Michail Mitrofanowitsch Malzew (1946-1952) ein und bemerkt: „Malzew besaß die nötigen Referenzen, die aus der Sowjetunion nach Deutschland exportierte Tonnenideologie im Uranbergbau umzusetzen.“ (S. 261) Ohne Zweifel stellt die „Tonnenideologie“ ein grundlegendes Problem des klassischen planwirtschaftlichen Systems dar, aber gerade im Uranbergbau war die Abrechnung nach Tonnen oder das „Denken“ in Tonnen sozusagen eine produktions- und bilanztechnische Grundvoraussetzung. Mit anderen Worten, mitunter schießt der Verfasser mit seinem theoretischen Anspruch über das Ziel hinaus.

Hinsichtlich der in der Einleitung gestellten Fragen wäre weniger wohl auch besser gewesen. Bei folgender Frage hatte der Rezensent jedenfalls Schwierigkeiten bei einer Deutung: „Gab es in den Aufbaujahren die Voraussetzungen und den Willen der Beteiligten zu einer die Interessen der sowjetischen Leitung an der Produktionssteigerung und der Produktivitätserhöhung mit denen der Werktätigen an der Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen zusammenführenden Politik von SED und FDGB?“ (S. 9)
Zudem soll auf zwei kleine Fehler gleich auf der ersten Seite der Einleitung hingewiesen werden, die bei einer Überarbeitung verbessert werden sollten: Die Worte Otto Hahns beziehen sich auf den sowjetischen A-Bombentest im August 1949 und nicht wie angegeben auf 1948. Darüber hinaus wird in Anmerkung 1 erwähnt, dass die ersten SAG 1947 entstanden. Hier muss es wohl 1946 heißen. Freilich verwendet der Autor in den darauf folgenden Seiten die richtigen Daten.

Zudem bleibt Ralf Engeln die Erklärung schuldig, warum er im Titel den Begriff „Sonnensucher“ benutzt. Er erwähnt zwar auf Seite 10 den gleichnamigen Film des DEFA-Regisseurs Konrad Wolf und äußert sich in wenigen Sätzen dazu, aber gerade eine etwas ausführlichere Auseinandersetzung mit diesem Film hätte dem Buch sicher nicht geschadet, zumal der Film eine Reihe interessanter und anregender Diskussionspunkte im Hinblick auf die Thematik des Buches bietet.

Insgesamt liegt eine gelungene Arbeit vor, die sicher sowohl eine freundliche Aufnahme als auch eine gute Resonanz finden wird.

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