A. Denk: Schauspielen im Stummfilm

Cover
Titel
Schauspielen im Stummfilm. Filmwissenschaftliche Untersuchungen zur Berufsentwicklung im Wien der 1910er und 1920er Jahre


Autor(en)
Denk, Anna
Anzahl Seiten
538 S.
Preis
€ 69,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claus Tieber, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität Wien

Die Mitwirkung im neuen Medium Film war am Beginn des 20. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit und schon gar kein Beruf. Schauspieler und Schauspielerinnen waren im Frühen Kino lange Zeit anonym. Ihre Namen wurden nicht genannt, sie wurden nur über ihre wiederkehrenden Filmnamen bekannt, die oftmals mit ihren echten Vornamen identisch waren, oder sie hießen nach der Produktionsfirma, beispielsweise „Biograph Girl“. In Wien verboten einige Theater ihren Schauspieler/innen sogar kurzfristig die Mitwirkung im Film. Erst seit 1910 wurden die Namen verbreitet, das Spielen im Film zum Beruf und Schauspieler/innen schließlich zu Stars. Diesen Prozess der Verberuflichung des Filmschauspiels und der damit verbundenen Diskurse in den Branchenblättern und Publikumszeitschriften der Zeit, analysiert und rekonstruiert Anna Denk in der vorliegenden Monografie. Am Beispiel der Wiener und österreichischen Filmgeschichte zeigt sie die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der nationalen Entwicklung auf und ergänzt die Forschung so um ein Desiderat.

Denks Buch widmet sich dabei sowohl dem Diskurs um die Ästhetik des Schauspiels im Film als auch jenem um den Professionalisierungsprozess. Als Material dienen der Autorin die Branchen-Periodika der Zeit, die sie in langwieriger Kleinarbeit durchgearbeitet hat. Dabei liefert sie weniger eine historisch-kritische Aufarbeitung von Quellen (wie von ihr einleitend angekündigt), als vielmehr eine Analyse der in diesen Periodika festgehaltenen Diskurse. So stellt sie etwa in Bezug auf die Schauspielästhetik im Film drei theoretische Ansätze fest: jene, die das zwangsläufig stumme Spiel im Film als Pantomime sahen; jene, die es als Fortsetzung des Spiels im Theater betrachteten und schließlich jene, die an der Formulierung und Theoretisierung eines genuin filmischen Spiels interessiert waren, wobei es hier nicht nur um ausformulierte Theorien ging, sondern auch um jene Dispositive, die im zeitgenössischen Diskurs sichtbar wurden.

Neben den Ansprüchen an und Sichtweisen auf das Schauspiel im Film rekonstruiert Denk auch die Arbeitsanforderungen, Arbeitsbedingungen und Ausbildungsmöglichkeiten von Filmschauspielern und Schauspielerinnen vor 1930. Eine der Besonderheiten der Darsteller im Film liegt bekanntlich darin, dass einige davon sich zu Stars entwickeln, zu einem Phänomen also, mit dem sich eine mittlerweile ausdifferenzierte und umfassende Starforschung beschäftigen. Bei Stars spielen Aussehen, Mode, Schminke und Styling eine ebenso gewichtige Rolle wie ihr Spiel, zudem entwickelt sich ein öffentliches Interesse an der Person, das über die gespielten Rollen hinausgeht. Die Entwicklung von Filmschauspieler/innen zu solchen Stars verlief in mehreren Phasen. Im österreichischen Kontext stellt Denk die folgenden Stadien fest: das Kino der Attraktionen nutzt hauptsächlich Kinotypen, picture personalities, die durch die immer gleich angelegten Rollen bekannt werden. Im französischen Film d’art und den davon beeinflussten Formen spielen bekannte Bühnenschauspieler/innen, deren Mitwirkung im Film auch besonders betont wird. Schließlich entsteht der genuine Filmstar. Denk merkt an, dass es in Österreich de facto keinen Filmstar gab, der keine Bindung zum Theater aufweist, an welcher Stelle seiner/ihrer Karriere und in welchem Ausmaß auch immer. Dies mag mit der besonderen Stellung des Theaters in Wien zu haben, die drei genannten Stadien entsprechen dennoch weitgehend jenen, die bereits Richard deCordova in seinem Buch „Picture Personalities“1 herausgearbeitet hat: Schauspieler/in, Picture Personality und Star. Sie verweisen damit auf eine internationale, zumindest westliche Entwicklung.

In den ausgewerteten Medien findet Denk auch Informationen und Diskurse zu Ausbildung und Organisation der Filmschauspieler und Filmschauspielerinnen. Angesichte ähnlicher Entwicklungen im Bereich anderer Filmberufe verwundert es nicht, dass es zum einen recht schnell private Ausbildungsangebote gab und dass gegen vermeintliche und tatsächliche Geschäftemacherei argumentiert wurde, sobald sich die Schauspieler/innen zu organisieren begannen. Die Gründung eigener Fachgewerkschaften wird jedenfalls als wichtiger Schritt im Professionalisierungsprozess gesehen. Ein anderer Schritt – die Einrichtung spezifischer seriöser Ausbildungsstätten – unterblieb. Auch heute wird im deutschsprachigen Raum (und nicht nur dort) Schauspiel zumeist für Theater und Film unterrichtet und nicht getrennt. Die Unterschiede der schauspielerischen Praxis im Film im Gegensatz zum Theater wurden von den Schauspielern und Schauspielerinnen der Zeit weitgehend auf die Produktionsbedingungen zurückgeführt. So werde das Spiel im Film improvisiert und nicht wie am Theater im Laufe der Proben erarbeitet. Auch der nicht-chronologische Ablauf der Produktion wurde als Unterschied hervorgehoben.

Im letzten Teil ihrer Arbeit widmet sich Denk sodann einigen ausgewählten Beispielen, so vor allem Liane Haid, dem ersten österreichischen Filmstar. Insgesamt kommt Denk auf nur neun genuine Filmstars in Österreich, zweifellos weniger als in vergleichbaren Ländern.

Anna Denks Arbeit ist umfassend und genau recherchiert, ihre Aufarbeitung der entsprechenden Medien erschließt damit auch die historischen Diskurse für weitere Lesarten, Diskussionen und internationale Vergleiche. Der Band schließt zweifellos eine Lücke in der filmhistorischen Forschung und rekonstruiert die österreichische Situation im Detail. Was mitunter etwas verwundert ist die Terminologie, die sich durch das Buch zieht. So ist durchgängig von Stummfilmschauspieler/innen und Stummfilmzeitschriften die Rede. Ganz abgesehen davon, dass es den „Stumm“-film erst seit dem Tonfilm gibt, suggeriert der Begriff auch, dass es eine deutliche Unterscheidung von Stumm- und Tonfilmschauspiel gibt. Für die Analyse des Diskurses zum Filmschauspiel im Stummfilm verstellt dieser Begriff meines Erachtens die Unterschiede von Theater- und Filmschauspiel. Diese liegen nicht ausschließlich darin, dass man im Film bis ca. 1927 die Stimmen der Darsteller/innen nicht hören konnte. Eine Differenzierung zwischen den Unterschieden, die das Medium als solches macht und jenen, die den Spezifika der ersten drei Jahrzehnte der Filmgeschichte geschuldet sind, hätte der Analyse sicher nicht geschadet. Zumal mit dem Begriff Stummfilmschauspiel auch diverse Vorurteile verbunden sind, die darin generell nur Outrage und Over-Acting sehen können. Doch gerade die Vielzahl an Schauspielstilen im österreichischen Film vor 1930 wird von Denk ja gerade herausgearbeitet und betont.

Darüber hinaus ist leider ein gewisser Mangel an theoretischer Kontextualisierung bemerkbar. Das untersuchte Material und die Schlüsse, die sich daraus ziehen lassen, werden mitunter nur präsentiert und kategorisiert, aber kaum interpretiert. So wären etwa mit Hilfe expliziter Bezugnahme auf diskursanalytische Theorien und Methoden und in Anlehnung an deCordova durchaus zusätzliche Einsichten, Interpretationen und Argumentationen möglich gewesen. Nichtsdestotrotz stellt die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Historiografie des österreichischen Films dar und ist eine willkommene Ergänzung zu der noch spärlich vorhandenen Forschung zu diesem Thema in anderen Ländern.

Anmerkung:
1 Vgl. Richard deCordova, Picture Personalities. The Emergence of the Star System in America, Urbana/IL 1990.

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